Hans Lutsch: Einfach nur Durst

Die eisige Kälte frisst sich in den Abend. Der Schnee klirrt unter den Schritten der sich ins Wochenende bewegenden Menschen. Man hat es eilig.

Eine stark geschwächte Taube versucht vor dem Eingang einer bekannten Salzburger Kirche einen geschützten Platz zu finden. Sie steht auf den Stufen vor dem Eingang und wartet zusammen gekauert auf das Sterben.

Oder auf ein Wunder. Nein, nicht einfach so steht die Taube in der dunklen kalten Nacht. Sie hockt mit gesträubtem Gefieder, gesenkten Kopf und müden Augen. Und sie sucht einen ruhigen Platz. Schutz vor den Bedrohungen, die auf sie warten, wenn sie ihre Schwäche nicht in den Griff bekommt.

Schutz vor den angeekelten Menschen, die das „Fütterungsverbot“ als Freibrief zum Jagen verstehen Aber wie soll das gelingen ohne Futter, ohne Wasser und ohne einen warmen Platz zum ausruhen? Die Menschen, die an ihr vorübergehen, scheinen sie nicht wahrzunehmen. Oder aber, sie ignorieren diese Häufchen Elend einfach, weil sie gerade sehr fromm gestimmt sind. Das die Taube als Symbol des Friedens in den heiligen Schriften stilisiert wird, schert hier niemanden. Und auch vor dem „Heiligen Geist“ zeigt kein Gläubiger Mitgefühl. Die Situation wirkt schon etwas grotesk vor den Toren einer Kirche. Stadttauben dienen den Menschen in unserer sogenannten zivilisierten Gesellschaft lediglich als Gleichnis für Schmutz und Ärger.

Unbemerkt von den vorbeigehenden Menschen, unbemerkt auch, von den in das heilige Haus einkehrenden Gläubigen, die sich ja mit diesen Symbolen in ihren schöngeistigen Allüren einer christlichen Gemeinschaft selbst heilig sprechen, zuckt die Taube bei den schwer aufstampfenden Schuhen zusammen. Sie muss sich in eine dunkle Ecke drängen, damit sie nicht von den angewiderten Menschen getreten wird.

Niemand nimmt von Churchi’s geschwächten Zustand Notiz. Niemand will sich einer leidenden Stadttaube annehmen, man könnte sich ja „wer weiß was holen“. Und niemand will eine humanistische Verpflichtung darin erkennen, auch einer leidenden Stadttaube die nötige Hilfe zu ermöglichen.

Die Vorurteile gegenüber den Tieren mit dem neuzeitlichen Stigma einer krankheitsübertragenden Spezies, sind so stark in den Köpfen der Menschen verankert, dass es für sie einfach kein normales Mitgefühl gibt. Keine Tierhilfe. Kein Erbarmen. Die Tierheime sind voll von Hunden und Katzen. Tauben finden kaum dieses tierschutzgerechte Engagement.

Diese Situation spielt sich vor den Toren einer großen Salzburger Kirche ab. In einer Stadt der Hochkultur. In einer Stadt, deren Menschen davon überzeugt sind, dass sie ein wesentlicher Bestandteil der zivilisierten europäischen Gemeinschaft sind. Und die kausalen Bedingungen für das Funktionieren einer zivilen Gesellschaft sind die humanistischen Wertigkeiten. Wie gehe ich mit den Schwachen in unserer Gesellschaft um?

Die wenigen Lichter, die auf dem Parkplatz vor der Kirche brennen, spenden kaum die nötige Wärme für diesen durchgefrorenen kleinen Körper, der einfach nur an einer allgemeinen Schwäche leidet. Churchi scheint zu frieren, er hat aber Glück. Gabriela von der ARGE-Stadttauben-Salzburg sieht die hockende und zusammen-gekauerte Taube auf den Stufen zur Kirche, in eine Ecke gedrängt, als sie im Buß sitzt, kann aber nicht sofort aussteigen. Also ruft sie eine Kollegin an. Brigitte Aschauer, die sich gerade in der Nähe befindet, und die Churchi auch sofort entdeckt, nimmt ihn gleich in Obhut. In einer kleinen Schachtel verstaut, wird die Taube in eine warme Herberge gebracht.

Heute erfreut sich Churchi einer ausreichenden Ernährung. Er war an dem Abend, an dem er gefunden wurde, einfach nur geschwächt von den Anstrengungen. Stadttauben finden im Winter, so wie auch alle anderen Vögel, kaum Futter. Die Kälte, und das verminderte Angebot an Futter, und auch Wasser, kann diesen Vögeln ganz schön zusetzten. Churchi war den strengen Bedingungen des Winters offensichtlich nicht gewachsen. Heute genießt er das warme zu Haus. Er hat sich auch schon mehrmals den Kropf voll geschlagen, und vor allem hatte Churchi an dem besagten Abend einfach nur Durst. Einfach nur Durst!

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Dorfladen

1 Kommentar zu "Hans Lutsch: Einfach nur Durst"

  1. Heide-Maria Müller | 14. Februar 2012 um 17:45 |

    Ich finde es toll, dass es Menschen gibt, die sich um die Tauben kümmern . Die Abneigung gegen diese eigentlich sehr hübschen Vögel resultiert ganz einfach daraus, dass es eine Zeit lang zu viele davon gegeben hat – mit allen unangenehmen Auswirkungen, die eben da waren. Jetzt müsste es eigentlich wieder gelingen, den Tauben ein gutes “Image ” zu verpassen. Die ARGE Stadttauben hat da sicher schon viel Positives geleistet.

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