Elisabeth Pichler. Ein junger Mann, ein 17-jähriger Schüler, stellt sich vor: „Ich bin Christopher, die meisten kennen mich ja, ich war vorher eins drüber.“ Er behauptet, dass er an der Nordsee seine kranke Lunge auskuriert habe, doch schon bald stellt sich heraus, dass er im Jugendarrest war, denn seine dunkle Seite hält nichts von Lügen und Vertuschen und sie ist in diesem Stück sehr real. Dieser „Andere“ versucht, den neuen Langeweiler wieder zum „Saufen und Klauen“, zu all den Hobbys, die früher so viel Spaß gemacht hatten, zu überreden. Wie ein Mantra sagt sich Christopher immer wieder vor: „Ich muss besser werden“, „Ich kann alles was ich will“, doch so einfach ist die Sache nicht, denn seine alten Freunde machen ihm das neue Leben schwer. Als er keinen Ausweg mehr sieht, wendet er sich schutzsuchend an sein Alter Ego, welches ihn verständnisvoll in den Arm nimmt, hatte er doch prophezeit: „Wer Freunde einfach abserviert, wird bis zum Tode schikaniert.“ Sie kommen sich wieder näher und planen gemeinsam einen „legendären“ Abgang.
Tim Oberließen gibt sich als Christopher große Mühe, vom bösen Buben zum Musterschüler zu mutieren. Er liest gute Bücher, ja sogar Klassiker, und versucht sich an einem Referat über die EU. Doch Peter Marton, sein zweites Ich, macht ihm die Sache nicht leicht. Energiegeladen und stets bester Laune kommt er beim jugendlichen Publikum trotz oder wegen seiner flotten Sprüche besonders gut an. Das Böse übt in dieser freundlichen Maske eine gewisse Faszination aus. Das Publikum wird immer wieder in die Handlung miteinbezogen, ersetzt das fehlende Klassenzimmer, darf an einem Anti-Mobbing-Projekt mitarbeiten und sich überlegen, wie Wut und Hass entstehen.
Die völlig in Weiß gehaltene Bühne (Manuela Weilguni) mit ihren papierenen Wänden eignet sich hervorragend zum Besprühen und Beschreiben. Hier werden nicht nur die desolaten Familienverhältnisse vermerkt, auch der Weg vom guten Vorsatz bis zum endgültigen Scheitern lässt sich hier leicht nachvollziehen. Das Chaos aus weißen Pappschachteln wird ständig umgeschichtet, eine Baustelle ohne Stabilität. Marco Dott ist eine temporeiche, aber beängstigende Inszenierung gelungen, in der es keinen eindeutigen Sympathieträger gibt.
Jugendgewalt nimmt immer bizarrere Formen an: Diebstahl, Erpressung, Körperverletzung, Mobbing. Auch das „Happy Slapping“, eine neue Form von Gewalt, die immer mehr um sich greift, wird in diesem Stück angesprochen. Dabei werden die mit einer Handykamera aufgenommenen Bilder einer sinnlos scheinenden Gewalttat zur Demütigung des Opfers ins Internet gestellt. Die Ursachen für die zunehmenden Schwierigkeiten der Jugendlichen sind vielfältig, familiäre Probleme stehen jedoch ganz am Anfang der Reaktionskette. „Kopf oder Zahl“ ist ganz nahe an den Jugendlichen und wirkt dadurch erschreckend auf die Erwachsenen.
„Kopf oder Zahl“ von Katja Hensel, ein Jugendstück ab 14 Jahren / Inszenierung: Marco Dott / Ausstattung: Manuela Weilguni / Dramaturgie: Angela Beyerlein / Besetzung: Christopher – Tim Oberließen, Der Andere – Peter Marton / Fotos: Jürgen Frahm
Views: 1
Kommentar hinterlassen zu "„Kopf oder Zahl“ – ein Jugendstück im Salzburger Landestheater"