Vom Glück des Bahnfahrens. Deutschland. Ein Märchen

Deutsche Bahn

Im traurigen Monat April war’s … Naja, man könnte wohl jede Jahreszeit nehmen. Bei der Hinfahrt hatte ich wieder einmal Glück: nur 20 Minuten Verspätung bei 25 Minuten Umsteigezeit am Hauptbahnhof München.

Tomas Friedmann

Von Tomas Friedmann, Literaturhaus Salzburg

Alle drängen zum Zugkopf, um Zeit zu gewinnen, noch den Anschlusszug zu erreichen. Der Schweizer vor mir hat Pech. Bei der Einfahrt kommt die Durchsage: Der Zug nach Zürich kann leider nicht erreicht werden. Keine Ansage für Leipzig. Gewiss ein gutes Zeichen. Ich sprinte los, hinter mir andere. Wir schaffen es, weil der Zug (was auch nicht gesagt wurde) heute ausnahmsweise auf einem anderen, näheren Gleis steht. Dass die Plattform-Uhr eine falsche Zeit anzeigt, spielt keine Rolle. Der Zug rollt pünktlich los, ich sitze, sogar ein Platz mit Tisch zum Arbeiten. Welch Glück für die nächsten Stunden! Und mit nur zehn Minuten Verspätung erreiche ich mein Ziel und liege um Mitternacht im Bett.

In den darauffolgenden Buchmesse-Tagen passiert wenig – bezogen auf Öffis. Die überfüllten S- und Straßenbahnen fahren von A nach B. Oft sogar pünktlich. Mitgenommene Fahrräder in den S-Bahnen blockieren mitunter zusätzlich Gänge und bescheren Reisenden das längst vergessene Glück von Körperkontakt mit hustenden Unbekannten. Das fördert die Kommunikation, befeuert die gute Stimmung und beschert ein Gefühl der Befreiung, wenn man die Ausstiegstür in die Freiheit passiert.

Dann die Rückfahrt von Leipzig. Bei der Taxizentrale läuft das Band, niemand meldet sich. Wohl zu früh. Erst 9 Uhr vorbei. Kein Stress. Noch genug Zeit bis zur Abfahrt vom Leipziger Hauptbahnhof. Weiter anrufen. Runter zur Strasse. Telefonschleife mit beruhigender Musik. Keine menschliche Stimme. Also mit Koffer zum Taxistand. Der ist ja zum Glück nahe. Kein Wagen, niemand hebt ab. Nach acht Versuchen gebe ich auf. Die Straßenbahnhaltestelle wurde wegen Bauarbeiten verlegt, steht auf einem Schild. Glück im Unglück: Die S-Bahn fährt vis-à-vis unterm Bayerischen Bahnhof. Auf der Rolltreppe runter höre ich Ansage und Zugeinfahrt. Koffer schnappen, hurtig. Hin zum Eingang. Die Türen schließen vor der Nase. Schnell den grünen Knopf drücken. Leider zu spät. Naja, in ein paar Minuten … Durchsage: Der nächste Zug fällt leider aus, wir bitten um Verständnis. Natürlich. Vielleicht doch Taxi? Nein, die schlafen immer noch. Warten. Der Zug am Nachbargleis hat 15 Minuten Verspätung. Ich habe Glück, mein nächster soll schon in 8 Minuten kommen. Tut er auch. Und es gibt sogar Platz. Wir fahren. Nur ein Fahrrad beim Ausstieg. Jetzt sich gegen die hereindrängenden Massen durchboxen. Geschafft! Die Rolltreppe am Bahnhof funktioniert auch – also eine. Die rauf leider nicht. Die Mutter mit Kinderwagen, die ältere Dame und ich rollen unsere Koffer zum Lift – glücklicherweise gibt’s so einen. Wir warten. Da kommt ein freundlicher Herr in Uniform und sagt höflich, dass der Aufzug leider kaputt ist. Zum Glück ist die Treppe nicht eingestürzt. Keuchend oben angekommen schnell das Gleis suchen. Nichts auf der Anzeige. Aber da ist eine Info mit Menschen. Die Angestellte hinterm Glas erklärt geduldig den Wartenden in der Schlange nach und nach, welche Verbindung nach diversen Ausfällen und Verspätungen die jeweils beste ist. Das ist nett. Mein Zug ist derzeit bloß 30 Minuten zu spät. Blöd, dass die Anschlusszüge dann weg sind. Weil ich ja mehrmals umsteigen muss. Und dann die Baustellen zwischen München und Salzburg. Schienenersatz. Aber: Wenn ich 1 Stunde warte, dann kann ich direkt nach München fahren – und wohl auch einen Zug nach Österreich finden. Ich bin echt ein Glückspilz!

Jetzt sitze ich im Zug, habe einen Platz – und kann in Ruhe die nächsten 5 Stunden lesen. Wenn da nicht die Dauertelefonierer wären. Das ununterbrochen seit Abfahrt schreiende Kind nebenan konnte die Mutter schon nach 15 Minuten beruhigen. Wir fahren. Spätestens um Mitternacht liege ich daheim im Bett. Wenn nichts dazwischenkommt. Aber ich habe bestimmt wieder Glück …

Danke, liebe DB, dass du deinen Gästen stets neue Abenteuer und so viel Zeit schenkst, uns sportlich fit hältst – und uns glücklich machst, wenn wir schließlich doch noch ankommen! Dass man überlegt, lieber wieder Auto zu fahren, liegt bloß daran, dass auf den Straßen immer noch nicht genug Staus sind. Aber mit deiner Hilfe, kann sich das ändern …

Mit besten Grüßen an die verantwortliche Politik 🚂,
ein leidenschaftlicher Bahn-Reisender, der mit dem Zug auf allen Kontinenten unterwegs war! 

Fortsetzung:

Die Auskunft der DB-Info in Leipzig, dass in München ein Zug nach Salzburg fährt, erweist sich als Irrtum. Die bayrische Info schickt mich zur Schienenersatzverkehrshaltestelle: raus und dann links. Tatsächlich findet man so etwas mit dem Schild SEV. Warten. Zur Sicherheit fragen: einen Bahnbediensteten, einen Busfahrer, dann noch einen. Ja, sie bestätigen. Nur: kein Bus. Nach 45 Minuten zurück in den Bahnhof. Anstellen bei der Info. Man war falsch, die Abfahrt sei noch zehn Minuten weiter entfernt gewesen. In zwei Stunden wieder. Die andere Möglichkeit der regionalen Zugumfahrung ist schon weg. Aber in einer dreiviertel Stunde fährt ein Zug nach Budapest – über Salzburg. Ein Glück. Lounge? Wird umgebaut. Wie das Reisezentrum. Auf zum Bahnsteig 12. Ach, da steht plötzlich, dass heute dieser Zug über Passau, Linz und Wien nach Ungarn fährt. Zurück zur Info. Wir bleiben ruhig. Man weiß nichts. In zwei Stunden. Wahrscheinlich. Sicher? Nein. Kann man nach Rosenheim – Ja, aber davon rät sie ab, weil dort wäre dann Schluss. Wann? In dreißig Minuten, Gleis 7, könnte auch 8 – Danke. Auf zu den Bahngeleisen außerhalb der Halle. Glücklicherweise regnet es nicht. Dort im vollen Zug dann der Witz des Tages: Fahrgastbefragung durch zwei Beamte. Das alte Paar aus Norddeutschland ist seit 9 Uhr unterwegs, aufgestanden um 6, das Auto hat man vor kurzem verkauft. Er – wohl rüstige Anfang 90 – ist etwas gereizt. Bis Hamburg sei alles gut gegangen, dann aber … Nach unzähligen Stopps erreicht unser Bummelzug Rosenheim. Es gäbe einen Bus nach Übersee am Chiemsee. Am Bahnhofsvorplatz, sagt der Schaffner. Von dort fahre dann nach ca. zwanzig Minuten ein Zug nach Salzburg. Warum mein Ticket -? Es gab bisher keine Kontrollen. In Rosenheim irren Menschentrauben herum. Angeschrieben ist nichts. Das Gefühl leitet zu einem roten Bus. Die Türen sind zu. Ein zweiter Bus mit dem Schild SEV nähert sich. Die Leute eilen dorthin. Nein, es ist doch der andere, aber wir sind zu viele. Plötzlich geht die Vordertür auf, eine Gelbjacke ruft Übersee. Könne man bitte unten die Lade für das Gepäck öffnen? Nichts. Man drängt in den Bus, Rucksäcke, Taschen, Koffer auf Sitzen. Im Gang zwängen sich Jugendliche stehend – draußen bleiben einige zurück. Aber wir fahren! Neugierig, wie die Geschichte weitergeht, schaue ich aus dem Busfenster auf Dorfkirchen, Wiesen und die dunklen Wolken am Himmel. Langsam dämmert es.

Das Handy läutet. Lily wartet in Übersee auf mich: mit dem Auto. Glücklich gerettet. Vor Mitternacht im Bett daheim dürfte sich ausgehen …

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