Reinhard Lackinger: Ostern in Brasilien

Hierzulande spricht man/frau von “Semana Santa”, von der Heiligen Woche. Möglicherweise wird am Rande der katholischen Osterliturgie Brasiliens ähnliches Brauchtum kultiviert wie in Europa. Vor den Augen meiner Erinnerungen defilieren die ernsten Gesichter der frömmsten Pfarrmitglieder meiner Kindheit und Jugendzeit. Jede/r bereit, mit Jesus zu wachen, die Nacht betend in der Kirche zu verbringen.

Angesichts der Banalisierung des Lebens und des Todes, fällt es mir immer schwerer, die Auferstehung des Fleisches zu verstehen. Erst vor wenigen Tagen erschoss in Rio de Janeiro ein verrückter Bursche ein Dutzend SchülerInnen. Andere sechs bis zehn liegen weiterhin verwundet im Krankenhaus. An einem einzigen Wochenende sterben allein in Salvador zwei Dutzend Menschen eines gewaltsamen Todes. In der Nacht von Samstag auf Sonntag wurde an der Küste São Paulos aus einem schwarzen Auto auf mehrere Gruppen Fußgänger geschossen. Einer starb, andere schweben in Lebensgefahr. Vier oder fünf, oder gar sieben… Ich weiß es nicht, habe den Zeitungsbericht nur kurz überflogen.

Wie kann sich eine/r die vielen Toten, Ermordeten, Gemeuchelten und Gefallenen heute überhaupt noch merken?

An verschiedenen Orten dieses Planeten wird jetzt und in dem Moment gemetzelt und hektoliterweise Blut “verpritschelt” und unsinnigerweise vergossen, iImmer öfter vor laufender Kamera. Die Mörder – mit oder ohne Uniform – scheinen sich an die Gegenwart der Journalisten bereits gewöhnt zu haben. So wie wir daran sind, die grausigen Fotos der Ermordeten natürlich und banal zu finden. Der Anblick eines toten Menschen bewegt uns kaum mehr als das Bild eines verendeten Tieres, eines halben Ochsen, eines Brathuhns.

Was ist mit dem Ausdruck “Lamm Gottes” überhaupt gemeint? Ich kann mich nicht erinnern.

Der Korb mit Geselchtem, mit hart gekochten und bemalten Eiern, mit Brot und Krenwurzel wird in der Karwoche nur noch bei den Tirolern in Dreizehnlinden, Santa Catarina und in ähnlichen Orten Südbrasiliens zur Weihe in der Kirche getragen. Die Krenwurzel, wenn sie überhaupt neben den anderen Speisen liegt, wird nicht dicker sein, als ein kleiner Finger…

Vor Jahren wurde ein von Ukrainern abstammender Brasilianer nach Kiev eingeladen, um den heutigen Ukrainern zu zeigen, wie man/frau Ostereier bemalt. Die Sowjetunion habe auch dieses Brauchtum ausradiert, erzählte man/frau mir. Auch ich bemalte jahrelang Ostereier, verschenkte sie an die Kundschaft unserer Taverne hier in Salvador, Bahia. Heute tue ich mir diese Arbeit nicht mehr an.

Gründonnerstag koche ich mir und meiner Frau Spinat mit gerösteten Erdäpfeln und gebe pro Teller ein Spiegelei mit weichem Dotter auf den schön nach Knoblauch riechenden Spinat…
Am Karfreitag gibt es Kabeljau, also Stockfisch nach portugiesischer Art, gekocht mit Kohl, Zwiebeln, hartgekochten Eiern, gekochten Erdäpfeln und schwarzen Oliven. Dazu die Sauce aus gehacktem Knoblauch, Salz, Pfeffer, Essig und Olivenöl. Zu dieser Speise paßt sowohl weisser, als auch roter Wein. Am besten “Vinho Verde”… branco oder tinto! Am Karsamstag und am Ostersonntag ist unsere Diät wieder alpenländisch. Das Fehlen der Krenwurzel mache ich mit scharfem Senf wett, den ich mit Wasabi abrühre. Den Gurkensalat zum Schweinsbraten mache ich mit Tafelöl an. Das Kernöl ist mir beim letzten Sauren Rindfleisch ausgegangen.

Wichtiger, aber leider immer weniger kultivierter brasilianischer Brauch ist: “a malhação do Judas”, das Schlagen des Judas! Warum wohl? Noch nie war es so einfach, unter uns Menschen einen Judas zu erkennen.

Früher nahmen wir uns noch Zeit, um so einen ausgestopften Judas aus alten Kleidern herzustellen, ihm die Gesichtszüge eines allgemein verhaßten Politikers zu geben. Früher nahmen wir uns noch Zeit, um das Testament des Verräters Christi in langen Versen zu erdichten. Allen Awesenden wurde irgendein ulkiger und fiktiver Gegenstand hinterlassen. Kleine Knallkörper zwischen den Ballen Zeitungspapier sorgten nach dem Schlagen und
Anzünden des Judas für Überraschungen.

Am Karfreitag essen wir im größten katholischen Land der Erde kein Fleisch. Auch wird an diesem Tag nicht gearbeitet. Ebenso wird nur selten noch gebetet und Ostern in der Familie verbracht. Am Karfreitag sind alle längst ausgeflogen, verbringt ein jeder, eine jede, ihre, seine Osterferien an einem anderen Ort… irgendwo am Strand, im Landesinnern, oder gar in Rio de Janeiro. Vom Auferstandenen sehen sie dann höchstens die Christusstatue hoch auf dem Corcovado.

Frohe Ostern!

Reinhard Lackinger, Salvador, 12. April 2011

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