„Feed and bleed“ – eine außergewöhnliche Tanzperformance im Toihaus

Kann man ein technisches Verfahren, mit dem man Atomreaktoren im Notfall kühlt (Feed and bleed), als unterhaltsame Produktion auf die Bühne bringen? Den beiden Tänzerinnen und Choreografinnen Cornelia Böhnisch und Katharina Schrott gelingt dies, indem sie eine wundersame Welt voll berührender Bilder entstehen lassen, eine Geschichte vom Werden und Vergehen.

Von Elisabeth Pichler.

Beim Einlass erhält man eine optische Spezialbrille und man muss sich entscheiden, ob man die beruhigende Fassung (blaue Brille) oder eher die wilde Version (rote Brille) sehen möchte. Ich entschied mich für die blaue Brille und war mit meiner Wahl sehr zufrieden, denn so durfte ich ein wunderbar poetisches Stück mit Zitaten von Hölderlin erleben. „Heute ist dreifach schön“ stand da zu Beginn – nur mit Hilfe der blauen Brille – zu lesen. Die beiden Tänzerinnen, mit romantischen Blumengebinden vor der Brust, erwachten nur ganz langsam zum Leben, bewegten erst nur die Gesichtsmuskulatur, begannen dann zaghaft zu flattern und sich schließlich unsicher fortzubewegen. In meinen Augen wirkte es wie der Frühlingsbeginn, die Vögel zwitscherten und die Natur erwachte zum Leben. Die beiden Kreaturen mutierten im Laufe der einstündigen Performance zu den verschiedenartigsten Geschöpfen, zu Pflanzen und Tieren. Besonders beeindruckend fand ich den Kampf zweier Hirschkäfer, den Ausritt auf einem Pferd und die wunderschöne Seeanemone. Doch gab es das alles auch wirklich zu sehen, oder hatte mein Sitznachbar – der mit der roten Brille – völlig andere Bilder im Kopf? Die wilde Version ist mit Zitaten des jungen österreichischen Autors jopa unterlegt und die sind alles andere als romantisch, da geht es um Zerstörung und Vermüllung, das gibt den Bildern eine ganz andere Aussagekraft. Handelt es sich etwa um die „Welt danach“, die Welt nach dem Super-Gau?

Begleitet und unterlegt wurde die Tanzperformance wieder einmal mit der hinreißend kraftvollen Musik von Hüseyin Evirgen. Diese verschmilzt gekonnt mit der eigenwilligen Tanzsprache, unterstreicht das Flattern, das Kriechen, das Schwimmen, aber auch das tragische Vergehen. Marc Ischepps, ein junger Industrie-Designer, schuf das schlichte, aber eindrucksvolle Bühnenbild mit seinen kippenden Wänden. Cornelia Böhnisch und Katharina Schrott, beide bekannt durch ihre eigenwilligen Choreografien, überzeugen mit einem spannenden Projekt voll wunderschöner Bilder.

Die Brillen tauchen das Geschehen auf der Bühne in ein sehr intimes Licht. Während mit der roten Brille von „Zerstörung“ und „blutleeren Gedanken“ zu lesen ist und die Wahrnehmung auf eher düstere Wege gelenkt wird, ist mit der blauen Brille von „zwei freundlichen Regentagen“ oder „der Boden ist grüner“ zu lesen, und das gibt Hoffnung. Es wäre durchaus spannend, sich das Stück ein zweites Mal anzusehen, denn es gäbe noch unendlich viel zu entdecken, der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt.

„Feed and bleed“ – Tanzperformance mit Cornelia Böhnisch und Katharina Schrott (Tanz, Choreografie), Hüseyin Evirgen (Musik), Marc Ischepp (Bühne & Kostüme) Anette DellÀere (Licht und Technik), Robert Schmidjell (Technik) Idee & Konzept: Cornelia Böhnisch und Katharina Schrott / Fotos: toihaus

Die verwendeten Texte sind Auszüge aus „Hyperion oder der Eremit in Griechenland“ von Friedrich Hölderlin und „Kopfsteinpflaster – streinbruch von jopa“, erschienen in der Anthologie „Das Buch zum Vierten Buch“, aroma romane amore, edition exil, 2010


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