Martinigansl, 24 Jahre alt

Traditionell geht um den 11. November vielen Gänsen an den Kragen: Es ist Martiniganslzeit. Unzählige Varianten werden gekocht und verspeist, ein Klassiker ist das Martinigansl mit Rotkraut, im Osten Österreichs mit Erdäpfelknödel, im Westen eher mit Semmelknödel bekannt.

Karl Traintinger

Von Karl Traintinger

Schon den ganzen Sommer über sehe ich bei uns im Dorf eine Gruppe Gänse auf der Weide friedlich vor sich hin grasen. Sie gehören der Familie Gangl, Kollmannbauer in Lamprechtshausen. Der Biobauer produziert heuer zum 2. Mal Österreichische Bioweidegänse. Er bekommt sie im Mai als Jungtiere und sie dann im Herbst, rechtzeitig vor Martini von einem kleinen, aber professionellen Geflügelverarbeiter geschlachtet und küchenfertig hergerichtet.

Heuer habe ich ein Gansl bestellt, mir ist wichtig, dass es dem Gansl, das ich in einem Monat verspeisen werde, zu Lebzeiten gut gegangen ist und das konnte ich mit eigenen Augen sehen. Mein Martinigansl wird zum Schlachtzeitpunkt etwa ein halbes Jahr alt sein.

Omas Gans

Meine erste Gans habe ich 1978 im Marchfeld/ NÖ fotografiert und war fasziniert, als mir die alte Bäuerin erklärte, die Gans wäre 24 Jahre alt. Versonnen zupfte sie einzelne, fast lose Federn aus und gab sie in einen Sammelsack. Anschließend wurde das Federkleid liebevoll glatt gestrichen.

Ich konnte es anfangs gar nicht glauben, fuhr nach Hause und schaute im Lexikon nach, ob dies möglich wäre. Nachdem ich die Gewissheit hatte, das Gänse über 20 Jahre alt werden können, fuhr ich wieder zum Bauernhof hin und fotografierte das Tier. Das war damals mein erstes mehrfach verkauftes Pressefoto, es ist das SW Bild in der Fotoauswahl.

Damit mir der Gänsebraten einmal im Jahr gut schmeckt, muss ich wissen, woher das Gansl kommt und wie die Tiere gehalten werden. Das Fleisch darf dann auch den Preis haben, den der Landwirt für eine verantwortungsbewusste, tierschutzgemäße Tierhaltung und Fütterung braucht, um vernünftig und kostendeckend produzieren zu können. Sonderangebote mit verwirrenden Herkunftsangaben sind mir sehr suspekt. Die Gänse heutzutage dürfen nur mehr kurz leben und werden in dieser Zeit maximal ausgebeutet. Das fängt mit noch immer erhältlichen Gänsestopfleber an, geht über das Rupfen der Federn bei lebendigem Leib bis hin zur Fleischverwertung. Es ist erstaunlich, wozu der Mensch aus Profitgier fähig ist.

Weiterführende Infos:
Vier Pfoten – Lebendrupf Factsheet
Die Gans – Wikipedia >
Das Martinigans-Drama >

Dorfzeitung.com

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Dorfladen

2 Kommentare zu "Martinigansl, 24 Jahre alt"

  1. Lieber Karl, es freut mich, wie gefühlvoll Sie über die Gänse schreiben. Ich erinnere mich auch noch mit Freude an die letzte Weihnachtsgans bei meinen Schwiegereltern, sie schmeckte köstlich und stammte sicher nicht aus der Massentierhaltung. Nach den Feiertagen habe ich dann die Bücher “Tiere essen” und “Anständig essen” gelesen – seitdem ist es vorbei mit der Fleisch-Esserei. Ich kann nicht absehen, ob es dabei bleibt.

    Wenn die Mehrheit der Menschen Ihre Einstellung zu den Tieren teilen würde, wäre mir wohler. Ich glaube zwar mittlerweile, dass wir ohne Fleisch leben können. Aber wenn man sich die Verhältnisse genauer anschaut, ist auch die Milchproduktion so übel (unter anderem, weil Kühe schon im jungen Alter kalben müssen, das jährlich, und dann wird ihnen das Kalb weggenommen), dass die vegane Ernährung als einzig tierfreundliche übrig bleibt. Heute koche ich Hirse-Nuss-Taler mit Kürbisragout.

    Wenn wir die Gans wenigstens 12 Jahre alt werden ließen … ich aß schon lange Zeit keine Tierkinder mehr, wusste aber nicht, dass eigentlich das gesamte Fleisch von allenfalls Jugendlichen Tieren stammt. Eine Kuh kann 30 Jahre alt werden. Das Rind auf unserem Teller ist ungefähr zwei Jahre alt.

  2. Rochus Gratzfeld Rochus Gratzfeld | 3. Oktober 2011 um 16:31 |

    lieber karl, ob gansl, ferkel oder kalb, lamm…. es sind alles lebewesen. mit gefühlen. unser massenhafter bedarf an fleisch lässt aber für gefühle wenig raum. um so wichtiger ist dein beitrag. um so wichtiger ist es, dass wir uns bewusst machen, dass für unseren fleischHUNGER lebewesen sterben. ich esse weiterFLEISCH. aber ich versuche, dies mit achtung vor der kreatur zu tun.

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