Hans Lutsch: Sündenbock – Mythos Stadttaube

Einflugbrett am Salzburger Bahnhof

Die öffentlichen Verwaltungseinrichtungen der Gemeinden bedienen sich gerne einer nur augenscheinlich bequemen Lösung für die Sorgen der Menschen mit den Stadt-Tauben. Ein ausgesprochenes Fütterungsverbot soll ausreichen, um der sogenannten „Überpopulation der Stadttauben“ Herr zu werden. Und damit hat sich die politische Seite ihre Verantwortung für das Thema, das eine ganze Gesellschaft spaltet, entledigt. Und es hat bis zu dieser doch von kurzsichtigen Wahrnehmungen geprägten Sicht der Dinge auch nichts gekostet!

Einflugbrett am Bahnhof

Diese Tiere bedienen den Sündenbockmythos in politischer, sozialer wie auch ge-sellschaftlicher Manier hervorragend. Sie sind schutzlos den unkommentierten und unüberprüften Vorurteilen einer sehr aggressiven Kampagne ausgesetzt: „Tauben sind die Ratten der Lüfte!“ So der gemeinsame Tenor all derer, die sich strickt dagegen wehren, die Realitäten ordentlich aufzuklären. Die Stadttauben werden für etwas gehasst, dem der Mensch selbst nicht beikommen kann. Und dies mit teilweise sehr aggressiven Mitteln. Berichte, wonach Menschen Tauben verletzen und auch quälen, sind nicht selten. Und dies tun sie ungeschoren, weil sie der Meinung sind, dass es kein Gesetz gibt, dass diese Tiere vor solchen Übergriffen schützt. Das Tierschutzgesetz in Österreich verbietet es aber: Wirbeltiere dürfen nicht mit Absicht verletzt, gequält und getötet werden.

Die große Frage, die die meisten Menschen im Zusammenhang mit den Tauben be-schäftigt, lautet: Wer ist Schuld an der Zerstörung unserer historischen Gebäuden, und wer kann dagegen etwas unternehmen? Ich will den philosophischen Diskurs draußen halten, und mich an das Eingemachte heran wagen. Es geht um den Dreck auf den Fassaden mancher denkmalgeschützter Häuser mit älteren zeitgeschichtlichen Daten. Und natürlich auch um die schönen Plätze in unseren Städten. Vielen Besitzern treibt der Anblick von Taubenkot auf ihren Häusern den kalten Schweiß ins Gesicht. Die Frage muss an dieser Stelle erlaubt sein: Haben wir in dieser Debatte nicht etwas wesentliches vergessen, dass uns viele ökologische Bewegungen in den späten achziger Jahren auch schon als Wahrheit aufgezeigt haben? Haben wir auf die Gefahren des sauren Regens diesbezüglich vergessen? Der ist ja nicht einfach über Nacht so mir nichts dir nichts verschwunden.

Einflugbrett am Bahnhof

Stimmen diese Behauptungen überhaupt? Lässt sich der Nachweiß wirklich erzielen, dass die Stadttauben daran schuld sind, wie viele meinen? Der Taubenkot hat einen pH-Wert von 6,5, der Normalwert liegt bei 7 – dies ergaben verschiedene Untersu-chungen, unter anderem auch eine vom bayrischen Amt für Denkmalpflege. Der Taubenkot ist also nicht ätzend, und schon gar nicht für den Mauerfraß verantwortlich. Wer ist nun der wahre Feind für die Zerstörung der alten wie auch neuen Mauern in unserer so hoch gelobten Bau- und Wohnbaukultur? Es ist nach wie vor der saure Regen, und für den sind wir Menschen ganz allein verantwortlich. Schade! Wie gerne hätten wir an dieser Stelle einen schwachen und verletzlichen Sündenbock gehabt, dem wir all die Last in die Schuhe schieben können.

Taubennetze

Und dann sind da noch die Krankheitserreger. Ja natürlich, jetzt haben wir es doch noch geschafft, diesen Tieren den Müllstein unserer Sorgen umzuhängen. Die Stadttauben übertragen alle möglichen Krankheiten. Um es mit den Worten eines Bauleiters zu sagen, der seine Mitarbeiter bei einer Dachbodensanierung mit dem Satz „Tauben können Krebs verursachen“ gänzlich in den Wahnsinn getrieben hat, woraufhin jeder der angesprochenen in völlige Panik verfallen ist. Wie absurd diese Behauptungen sind, und wie hartnäckig sich solche Klischees in den Köpfen der Menschen halten können, beweißt diese wohl entartete Panikattacke. Die größte Gefahr für eine Ansteckung des Menschen mit Krankheitserregenden Keimen ist der Mensch selbst. Allein ein Biss eines Menschen kann ungeahnte Folgen für den Betroffenen haben, bis hin zu Komplikationen der Wundheilung. Ich möchte aber nicht behaupten, dass Tauben keine Träger von Krankheitserregern sind. Bis heute konnten aber keine nennenswerten Übertragungen von Keimen durch Tauben auf den Menschen nachgewiesen werden.

Wie unüberprüft solche Behauptungen, die Stadttaube übertrage vielerlei Krankheiten, in die Öffentlichkeit transportiert werden darf, zeigt eine Gegendarstellung vom Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin in Berlin: Die wenigsten Stadttauben sind mit zoonotischen (auf den Menschen übertragbaren) Erregern infiziert. Und die wenigsten Krankheiten, die Tauben erleiden, sind auf den Menschen übertragbar. Vom normalen Kontakt mit Tauben geht keine Gefahr aus. Eine gesundheitliche Gefährdung durch Tauben ist nicht größer als die durch Zier- und Wildvögel, sowie durch Nutz- und Liebhabertiere.

Und noch einen weiteren Widerspruch gilt es aufzuklären: Die Kostenfrage! Taubenabwehrfirmen verdienen mit ihren aggressiven Abwehrmaßnahmen sehr viel Geld. Diese Abwehrsysteme sind aber nur von mäßigem Erfolg gekennzeichnet. Diese Firmen leben vom Krieg gegen die Stadttauben; sie fungieren in diesem Kampf als Waffenhändler, die sich gerne dieser Logik bedienen: Haus um Haus im Nahkampf gegen die „Taubenplage“.
Was ich nicht verstehen kann, ist, dass man dafür gerne bereit ist, viel, ja sehr viel Geld auszugeben. Mag an der Aggressivität der Mittel liegen, denn viele Gemeinden, große Geschäftshäuser, und auch Privatpersonen geben dafür eine Menge Geld aus, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Und andererseits gibt es ein Konzept dass auf Nachhaltigkeit aufgebaut ist. Dass wirkungsvoller ist, weil damit die Brutaktivität der Tauben sehr gut kontrollierbar ist. Und weil 80-90% der Verschmutzung in den Taubenschlägen gesammelt werden kann. Nach dem Motto: Weniger Aufwand an Kosten, ist gleich mehr Wirkung! Und dieses Konzept vermittelt auch ein tierartgerechtes Vorgehen mit den Stadttauben. Es wird damit ein kleiner gesunder Schwarm betreut, der sich über die Jahre auch noch verkleinert, weil die alten Tiere sterben, und keine neuen nachfolgen. Dieses Konzept gibt es zum kleinen Budget im Vergleich, und dennoch will es niemand den kostspieligeren Methoden vorziehen. An dieser Stelle möchte ich auch noch erwähnen, dass eine Kooperation mit verständigen Taubenabwehrfirmen sogar fruchtbar sein kann, wenn man sich über das Vorgehen verständigt.

Taubenfreie Bahnhofshalle in Salzburg.

Viele Menschen wählen dennoch die kurzweiligeren Mittel, die mit dem nur scheinbar geringeren Aufwand. Es sind die Mittel, mit denen die genannten gesellschaftlichen Gruppen schon seit Jahren versuchen, die Situation mit den Tauben in den Griff zu bekommen. Gelungen ist es ihnen aber bis heute nicht. Die Frage nach dem warum lässt sich nicht klären, ohne dass man die emotionalen Grundlagen der Akteure in Au-genschein nimmt. Es scheint eben eine Frage der Waffen zu sein, und nicht der Vernunft!

(Fotos + Text: Hans Lutsch)

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