Drittweltliche Gedanken über den Frühling

Frühlingsknotenbluem

Früher erkannten wir den Frühling an den immer länger werdenden Tagen; am Gesang der Amseln auf dem Weg zur Schule, zur Arbeit; am Geruch der feuchten Erde nach der Schneeschmelze; am “Ausschlag” der Bäume; an den kleinen “neuen Erdäpfeln” beim Röhrlsalat…

Reinhard Lackinger

Von Reinhard Lackinger

Auf dem Weg von heimischen Bergen nach Italien waren wir vor der Abreise noch auf den nahen und unverdreckten Wiesen mit dem halbrunden Messerl unterwegs, um Röhrlsalat zu stechen. In den Tälern und Niederungen blühte schon der Löwenzahn und irgendwo zwischen Bozen und Kaltern schauten wir nur noch auf die bereits abgeblühten und weissgrauen Sporenkugeln jener allerersten Boten des Frühlings.

Früher fühlten wir auch deutlich, wie es jeden Tag wärmer wurde. Es sprossen die Tulpen und die Narzissenköniginnen, und es blühten die Kirsch -, und die Marillenbäume, die es – im Vergleich zu heute – noch in großer Menge gab. Mit jedem Tag wuchs die Gewähr, daß Winter und Frost nun endlich vorbei und besiegt waren. Diese Gewißheit dauerte mindestens bis Ostersonntag oder 1. April. Dann schneite es wieder. Wir glaubten aber weiterhin und unbeirrt an Schönwetter und Sommer. Irgendwann wurden wir dann doch belohnt, und wir konnten den Wintermantel in den Kleiderkasten hängen und das schwere Schuhwerk weglegen.

Heute erkennen wir den Frühling mit dem plötzlichen Auftauchen bekannter Gesichter. Leute, die wir seit Ende des vergangenen Sommers nicht mehr gesehen hatten, beleben nun wieder leidlich und einigermaßen die sonst menschenleeren Straßen und Fußgängerzonen unserer Geburtsorte. Der Lenz bringt nun wieder Kinz und Kunz aus Mallorca, Anton und Pauline aus Gran Canária, den Sepp und die Rosi aus der Algarve, sowie den Franz und die Lotte aus Marbella. Wer die kalte Jahreszeit im sonnigen Süden Europas, oder gar irgendwo in den Tropen und in Übersee verbrachte, sparte nicht nur Heizkosten, sondern versäumte auch das langsame Wiedererwachen der Natur in der Heimat. Etwas, das an die Dezembertage unserer Kindheit erinnert, als wir frühmorgens das neue Fensterl des Adventkalenders öffnen durften.

Die stets während des Winters Abwesenden kennen die Zweifel nicht, die die Daheimgebliebenen mit jedem Einbrechen einer neuen und eisigen Schlechtwetterfront erfahren. Das sind Schicksale wie jene, die Einheimische von I…

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