Christian Ploier: Die Wacholder

Wacholderbeeren

Wacholderbeeren | Foto: ©Karl Traintinger

“Ich kenne dich Tschutscha. Hunde wühlen in den Geschichten.”
“Und Eulen?”
“Kennen alles von oben.”
“Oben wächst nicht viel, Ethel.”
“Es ist zum Aussicht halten, Tschutscha.”
“Erzähl’ mir Ethel. Erzähl mir die Nacht herbei.”
“Höre Tschutscha. So wird es erzählt.”

Es war einmal irgendwo in dem Land hier unten. Da lebte einst ein armer Junge, der ohne Eltern heranwuchs. Und als elternloses Kind groß werden müssen ist nirgends fein. “Weil die Mutter eine Solchige war und der Vater ein Strolch”, sagten die guten Leute im Dorf, “tut’s keinen wundern, daß der Junge verschlossen ist und kaum redet. Als seine Mutter starb wurde sie hinter dem Friedhof in nichtgeweihter Erde beerdigt und er kam zu einem Wirten in Obsorge. Der Wirt zeigte ihm einen Stock und murrte: “Der hier wird mit dir oft reden, wenn du nicht parierst.” Er wuchs heran, mißtraute allen Leuten und scheute jede Geselligkeit. Kurzum der Jüngling mied das Dorf und die Leute, lebte mehr und mehr in einer Hütte im Wald, sammelte Pilze und Beeren und stahl dem Wild nach.

Kam er manchmal ins Dorf, blickten die jungen Mädchen verstohlen nach ihm. Doch er, er war scheu und mied alle Tändeleien . Er liebte die Einsamkeit.
Einmal besuchte er einen Senner um Butter zu tauschen. Am Heimweg bei einer großen Tanne hörte er eine Stimme: “Dreh´ dich nicht um, sei nicht dumm.” Erschrocken blickte er um sich. Darauf tönte wie von Fern ein Lachen. “Dreh´ dich nicht um, Wilderer.” Diesmal blieb er stehen. Plötzlich packten ihn von hinten zwei starke Arme. Er wurde zu Boden geworfen. Verzweifelt schrie er auf. “Sei nicht dumm, Wilderer”, lachte die Stimme, “ich bring’ dich schon nicht zur Strecke wie du das Wild. Wäre ja jammerschade um dich.” Dann drehte ihn die Unbekannte um und er blickte in das Gesicht einer Frau, die er nie zuvor gesehen hatte.

“Bist aber stark”, rief er heftig und versuchte sich aus ihren Armen zu befreien. “Mußt mich nicht umbringen wenn du ein Stückl Butter brauchst, du närrisches Weib.” Sie aber lachte nur noch mehr und ritt auf ihm wie auf einer Ziege. Jetzt erst sah er ihre blitzenden schwarzen Augen und roch den Duft des Wacholders in ihren Haaren. Ein seltsamer Herzschlag umfing ihn. “Du bist keine Hiesige. Bist von einem Nachbartal?”, fragte er verwundert. Wieder lachte sie und ihr Griff wurde sanfter. “Keine Hiesige und keine von anderswo. Bin eine von Drüben”, raunte sie. “Riechst nach Wacholder. Und du hast viel Kraft in dir stecken. Aber jetzt laß mich los, du hast schon ein rotes Gesicht. Ich hab’ ohnehin keine Angst mehr vor dir”. “Keine Angst mehr. Das ist gut. Dann mußt mich küssen. Für einen Kuß laß ich dich frei”, rief sie und beugte sich langsam zu ihm. Ihm war als löste sie singend ihr Haar. Und weil’s nicht weit zu ihrem Mund küsste er sie.

Lange, lange lag er in ihren Armen und roch den Wacholder. “Von wo bist du wirklich und wie tust heißen”, wollte er schließlich wissen. “Von Drüben bin ich, Wilderer. Einen Namen hab’ ich keinen. Du mußt mir schon einen geben. Aber mehr darfst mich nicht fragen.” “Du bist scheu aber schöner als der Mond”, sagte er und glaubte, daß sie von einem anderen Tal hergekommen wäre.

Von dem Tag an trafen sie sich jeden Tag zur Dämmerzeit. Sie liebten sich im Moos und sie roch nach Wacholder und mehr. In ihrem Schenkelzelt schien Sonne und Mond gleichzeitig den Himmel zu überqueren und in seinem Herzen wuchs eine nie dagewesene Liebe zu dieser Unbekannten. “Wennst mir deinen Namen nicht sagst, nenn ich die Wacholder”, raunte er ihr einmal zu. Sie lachte weil ihr der Name gefiel. Da nannte er sie so. Doch manchmal da ließ er ihr keine Ruh’ und fragte nach ihrem richtigen Namen und von wo sie wirklich käme. Dann schüttelte sie traurig den Kopf und einmal geschah es, daß sie fest seine Hand nahm und weinte: “Sag keiner Menschenseele von mir, sonst bin ich fort und komm’ nicht wieder, hörst du.”

Der Sommer ging und in einer kalten Herbstnacht zeigte die Wacholder ihrem Wilderer tief in den Bergen einen Platz, da lag reines Gold. ” Du kannst einen großen Hof und Vieh dazu kaufen, und in der Nacht kann ich kommen und bei dir liegen”, raunte sie ihm ins Ohr. Und weil er sich nach ihr sehnte und wollte daß sie bei ihm blieb nahm er genug Gold um sich´s stattlich einzurichten.

Er kaufte einen großen Hof und dazu alles, das not tat. Er hoffte insgeheim, daß die Wacholder eines Tages die Seinige werden würde, da ihm so um ihr war. Im Dorf wuchs der Neid über den plötzlichen und unerklärlichen Reichtum des einst so armen Kindes. Besonders die frommen Gemüter redeten sich das Maul schief. Bald hieß es, daß er mit dem Teufel im Bunde sei, da er nie zur Kirche oder ins Wirtshaus ging und den großen Hof ganz ohne junge Bäuerin bewirtschafte. Gut stehe es um den Hof, sagten die Neider, das Vieh auf der Weide ist gesund und die Wiesen sind fett. Das aber kam davon, daß die Wacholder jeden Abend wenn sie über die Wiesen zu ihrem Liebsten ging ihre Zauberreime sang und das Vieh mit Lebenswasser besprengte.

Viele Sommer vergingen und aus dem Wildburschen war der reichste Bauer der Gegend geworden. Die Liebe der Wacholder hatte ihn ganz und gar umfangen. “Bist die Meinige”, flüsterte er ihr oft ins Ohr und dafür liebte sie ihn mit einer tiefen Leidenschaft. Oft fühlte er, daß sie wild und schreiend nach seinem Herzen griff und wenn er bei ihr lag wurde sie zum Feld, zum Bach und zum Himmel darüber. Kein Glück und kein Feuer waren mit dem zu vergleichen.

An einem Winterabend kam es, daß die Wacholder still in sich gekehrt und frierend vorm Feuer saß. Schließlich seufzte sie und weinte: “Meine Zeit geht um, Mann. Weil ich dich liebe, bin ich schon zulange die Deinige. Kann bald nicht mehr kommen.” Ihren Liebsten packte bei diesen Worten das Entsetzen. Er flehte sie an zu bleiben, doch sie schüttelte nur stumm den Kopf. Am dritten Abend schließlich, der Wind fegte wild ums Haus und die Wacholder saß bei ihm, sagte sie: “Ich war hier lange die Deinige. Weit zu lang für mich. Soll ichs weiter bleiben mußt mit mir gehen.

“Und sie sang:
Geh´ dir vor, geh´ dir weit voraus
Hüt´ dir Hof und Haus.
Will dich lieben machen,
dich weinen sehn und lachen.
Geh mit mir,
komm sei mein.
Komm rüber und hüt’ mir
Stock und Stein.”

“Ich geh’ mit dir, ich geh’ dich begleiten”, flüsterte ihr Liebster, stand auf und schnürte sein Bündel. “Weißt wohin? Weißt auch wohin wir gehen?”, fragte sie und lachte. “Nach drüben Wacholder, nach drüben “, sagte er und lachte auch. “Dann ist’s gut!”
Drei Tage später hat man ihn gefunden. Erfroren lag er hoch im Gebirge, zusammengekauert unter einen Felsen mit einem Lächeln das sein ganzes Gesicht umfing. Man brachte ihn ins Dorf um ihn dort zu begraben. Nicht am Friedhof, nicht in geweihte Erde, legt ihn neben seine Mutter, sagten die Leute im Dorf. Und das war gut so.

“Hunde meiden Friedhöfe, Ethel. Sie sind nicht gerne gesehen dort.”
“Und die Geschichte?”
“Hmm, Hunde sind anders. Menschen leben so.”
“Schläfst du, Tschutscha?”
“In den Tag hinein. So ist die Welt still.”
“Und später, Tschutscha?”
“Gehe ich rund um den See.”

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