Ein Märchenerzähler in Brüssel

Chris Ploier

Chris Ploier | Foto: Karl Traintinger, Dorfbild.at

Kleine Momente vom Märchenerzähler Christian Ploier

Wie kommt ein Märchenerzähler, ein Alphornspieler und eine Malerin nach Brüssel? Ganz einfach. Mit dem Schlafwagen (zu dritt in einem weit zu winzigen Abteil!) und auf Einladung des Landes Salzburg.

Gritlind Kettl vom EU-Verbindungsbüro in Brüssel organisierte für alle MärchenliebhaberInnen einen Abend der besonderen Art. “Grüß Gott ich bin der Teufel” – alte Teufelsmärchen aus Österreich und Bayern. So bin ich mit einem Sack alter Geschichten, die in Österreich einst “volksmündlich” bekannt waren in eine mir bis dato unbekannte Stadt gereist. Begleitet von meinem langjährigen Freund dem Alphornvirtuosen Fritz Moßhammer und der Malerin Theresa Hültner.

Wir  bezogen für zwei Nächte ein kleines Hotel an einer sechsspurigen Autostraße mit Ausblick auf dieselbige. Ich verfolgte kein besonderes Ziel, als ich am Nachmitag mit der U-Bahn ins Zentrum fuhr: bummeln, shoppen und eine Kleinigkeit essen. Am Abend war ja eh ein Empfang des österreichischen Wirtschaftsbundes zu dem ich aus unerfindlichen Gründen eingeladen war. Man servierte auf Silberlöffeln kleine Häppchen. Lachs mit Marinade oder warmen Leberkäse mit einem Tupfen Senf darauf.

Man tauschte seine Visitenkärtchen (eine Art Pokemoon-Spiel für Erwachsene) und “Smalltalkte” zusammen, was sich ungefähr so anhörte: Ein mir Unbekannter schüttelt meine Hand murmelt seinen Namen und fügt hinzu “ich bin der Vertreter der deutschen Verkehrswirtschaft”. Worauf ich meinen Namen murmle und sage: “Angenehm, ich bin der Vertreter der  österreichischen Wildfrauen, Hexen, Riesen und kleinen Männchen der Gegend.” Außerdem versicherten mir gleich mehrere Wirtschaftsexperten wie wichtig Phantasie in wirtschaftlichen Prozessen ist. Ich höre das immer wieder und frage meist interessiert nach, in der Hoffnung dem Mysterium wirtschaftlicher Phantasie näher zu kommen. Z.B. ein gesundheitsfördernder Schokoriegel der beim Öffnen fleht: “bitte iß mich nicht, denke an die Folgewirkungen.” Oder essbare Reklamebroschüren als umweltverträglichen Sozialbeitrag für EU-Bürger unter der Armutsgrenze.

Auf jeden Fall wurden meine Vorschläge dezent belächelt und nach dem Empfang landeten wir in einem sehr alten Brüssler Wirtshaus neben dem Friedhof, das den sinnigen Namen “Zur letzten Illusion” trug. Man servierte als hauseigene Spezialität ein Bier, das am Dachboden in Wannen vergoren wurde.  Die Luft dort oben, erklärte man mir, sei mit einem besonderen Ferment durchsetzt. Das alchemistische Geheimnis wurde dann auch nach einem verschwörerischem Umtrunk preisgegeben. Es sei die Totenluft, die sich im Gebälk verfängt und dem Bier den säuerlichen Geschmack gibt.  Na, dann Prost!

Nachdem am nächsten Vormittag die Totenluft verflogen war widmete ich mich ausschließlich dem österreichischen Teufel. Wie sollte ich ihn für die höhere Diplomatie anlegen? Wie sicher, fragte ich mich plötzlich unsicher, bewegt sich der Teufel auf diesem glatten Parkett?  Und sein Imageverlust in letzter Zeit? Selbst seine Erfinder gingen auf Distanz zu ihm!  Gott sei Dank reagierte am Abend das Publikum wohlwollend.  Schließlich würdigte man eine historisch bedeutende Persönlichkeit, die aus wirtschaftlicher Phantasie geboren den Kapitalfluß einst “vati-kanalisierte”. Ähnlichkeiten mit derzeit lebenden Personen waren  an diesem Abend nicht beabsichtigt und  höchst zufällig.

Später dann, als die Lichter gelöscht, der Spuk verflogen war, wurde  im Gasthaus “Zur fliegenden Wildsau” Abschied gefeiert. Aber darüber schweige ich und wie es scheint erzählt man sich in Brüssel noch heute von diesem Abend. Und wenn ich nicht gestorben bin, dann lebe ich noch heute.


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