Studenten des Thomas Bernhard Instituts haben über ein Jahr lang intensiv über Salzburger recherchiert, die zur Zeit des Kriegsausbruchs im August 1914 genauso alt waren, wie sie es nun sind.

Von Elisabeth Pichler
Im Rahmen des Young Directors Projects, das heuer zum letzten Mal stattfindet, präsentieren sie in 16 Stationen Szenen, Monologe, Rauminstallationen und akustische Räume, von denen das Publikum leider nur einen Teil zu sehen bekommt.
Der vierstündige Abend beginnt im KunstQuartier. Hier werden von den mitwirkenden Studierenden des 2. und 4. Studienjahres Schauspiel in einem Prolog die historischen Hintergründe erläutert. Die Sonne schien aufzugehen über Großösterreich, als am 5.10.1908 Bosnien einverleibt wurde, doch nach dem Attentat in Sarajevo war es auch in Salzburg vorbei mit der friedlichen Atmosphäre. Die Frage „Haben Sie schon jemals einen Toten gesehen?“ wird aktuell.
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Das Publikum wird in zehn Einheiten/Kompanien eingeteilt und mit einem Zugsführer zu der 1848 erbauten ehemaligen Kaiser-Franz-Josefs-Kaserne (heute: Thomas Bernhard Institut der Universität Mozarteum) losgeschickt. Hier warten 16 Stationen auf die Besucher, doch – wie im Krieg – kann man auch hier nicht auf allen Kriegsschauplätzen dabei sein. Mit einem dunkelblauen Band versehen erwartet meine Gruppe zu Beginn ein „Krieg zu Elft“, in dem sich zwei Studenten mit der Gründung des ersten Salzburger Fußballvereins im Jahre 1914 auseinandersetzen. Bei Kriegsbeginn war Schluss mit der sportlichen Ertüchtigung, doch „Laufen und Schießen“ blieb weiterhin aktuell.
Sylvia I. Haering begeistert am Klavier mit einem musikalischen Dialog, in dem sie eine Eigenkomposition mit der vor 100 Jahren komponierten Musik Otto Rippels kombiniert. Tief betroffen zeigt sich das Publikum nach der Station „Heimweh“, in der auf dem trostlos wirkenden, leergeräumten Parkplatz das Schicksal eines Deserteurs hautnah miterlebt werden darf. Wolf Danny Homann und Cornelia Maschner schenken sich nichts – bedenklich, dass sich die Zuseher beim militärischen Drill als grausam erweisen und immer noch mehr Liegestütze verlangen.
Mit einer Hommage an den in Vergessenheit geratenen Dichter Karl Schoßleitner (1888 – 1959) sorgt in „Eiszeit“ Simon Rußig mit Kriegsgedichten für Gänsehaut. Nach einer kurzen Verschnaufpause in einem gemütlichen Alt-Salzburger Kaffeehaus finden wir uns in einer Zelle im Kriegsgefangenenlager Grödig wieder. Wir bewundern das kunstvoll gestaltete Spinnennetz und lauschen am Boden sitzend einem Verhör, in dem eine Krankenschwester wegen Beihilfe zum Fluchtversuch eines Kriegsgefangenen des Landesverrats angeklagt wird. Wirklich schade, dass man nur einen Teil der liebevoll und mit viel Mühe erarbeiteten Projekte zu sehen bekommt.
Anschließend versammeln sich alle Gruppen wieder im KunstQuartier zu einem kurzen Epilog. Bei einem Gläschen Wein kommt es dabei zu einem regen Austausch über das Erlebte und man erfährt auch einiges über die verpassten Stationen.
Das aufwendige Generationen-Panorama entstand auf Anregung des Schauspieldirektors der Salzburger Festspiele, Sven-Eric Bechtolf. Begleitet wurden die Arbeiten der Studenten von einem der renommiertesten Regisseure des Dokumentartheaters, Hans-Werner Kroesinger, und den Dramaturgen Christoph Lepschy und David Tushingham. Der außergewöhnliche Theaterabend, ein überaus wertvoller und informativer Beitrag der Salzburger Festspiele zum Themenschwerpunkt 1. Weltkrieg, macht betroffen und wird den Besuchern noch lange in Erinnerung bleiben. Der Titel „36566 Tage“ bezieht sich auf die Zeitspanne zwischen dem Attentat in Sarajevo und dem Premierendatum 8. August 2014.

„36566 Tage“ – YDP 2 – Universität Mozarteum Salzburg. Veranstalter: Abteilung für Schauspiel/Regie – Thomas Bernhard Institut. Mitveranstalter: Salzburger Festspiele. Leitung: Hans-Werner Kroesinger. Dramaturgie: Christoph Lepschy, David Tushingham. Mitwirkende: Alexander L. Bauer, Valentin Baumeister, Peter Blum, Anna Brandstätter, Sophia Burtscher, Sergej Czepurnyi, Eric Droin, Martin Esser, Sylvia I. Häring, Kathrin Herm, Ludwig Hohl, Wolf Danny Homann, Sascha Thomas Koch, Adrienne Lejko, Niklas Maienschein, Cornelia Maschner, Maria Moser, Dominik Puhl, Dejana Radosavljevic, Vassilissa Reznikoff, Simon Rußig, David Schnaegelberger, Rebecca Seidel, Nina Steils, Caner Sunar, Alexander Tröger, Jana Vetten, Elisabeth Wegener, Anna Zadra. Fotos: © Salzburger Festspiele / Bernhard Müller
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