Karl Traintinger: Wortklaubereien. Gedichte

Karl Traintinger, Petersdom, Rom 1982

Karl Traintinger, Petersdom, Rom 1982

Karl Traintinger hat während seiner Studienzeit in Wien an der Veterinärmedizinischen Universität (Linke Bahngasse 11 im 3. Bezirk) in der Protteserstraße 29 Gänserndorf im Marchfeld gewohnt und in dieser Zeit als Redakteur und Fotograf bei den Marchfelder Nachrichten (Faber Verlag Krems) gearbeitet.

Er gründete damals die Fotogruppe Marchland. Legendär war die Vernissage der ersten Ausstellung seiner Fotogruppe Marchland in der Raiffeisenkasse Gänserndorf. Die Veranstaltung wurde mit einer Lesung des Marchfelddichters Helmut Pacholik umrahmt und war ein voller Erfolg.

Traintinger hat sich auch mit Literatur auseinandergesetzt. Das Forum Z in Zistersdorf im nördlichen Weinviertel war eine der Kulturinitiativen, in der er mitarbeitete. Zu dieser Zeit wurde auch die Kulturzeitung ZEITGEIST ins Leben gerufen, die er mehrere Jahre als verantwortlicher Redakteur betreute. Im Folgenden einige seiner freien Texte, die in den Jahren 1983 bis 1984 entstanden sind.

Marchfeldherbst

Gänserndorf, 29. 11. 1983

Die Kornkammer ist abgeerntet.
Die Brauntöne der umgeackerten Felder beherrschen das Bild.
Die Bäume der Windschutzgürtel verlieren ihre Blätter.
Jäger blasen zum Halali.
Der Wind streicht nahezu ungehindert über das Land.
Bald wird Schnee fallen und das Marchfeld zudecken.
Nur mehr selten verirrt sich ein einsamer Wanderer auf die Felder.
Es ist ruhig geworden.
Das Marchfeld sammelt Kraft für das neue Jahr.

Anglo Elementar oder Laudation auf eine Versicherungsagentin

Cafe Hahn in Gänserndorf, 30. 11. 1983

Wasserstoffblond, braungebrannt.
Adlernase.
Das Rot der Lippen zum Rot der Fingernägel passend.
Seidenhalstuch. Altmann-Bluse, Adlmüller-Strickjacke.
Nappalederhose in beige, italienische Stöckelschuhe in beige.
Ton in Ton.
Schwere, goldene Ringe an den Fingern,
Dunhill Zigaretten.
Beim Lachen entblößt sie die Zähne
und man glaubt, es wiehert ein Pferd.
Es lässt sich halt doch nicht alles kaschieren …

Zehn nach Sieben

Gänserndorf, 10. 10. 1983

Der Wecker rasselt,
zehn Minuten dazugeben,
schnell aufstehen,
anziehen, waschen,
aus dem Haus stürzen,
am Bahnhof schnell in die Gastwirtschaft
auf einen Steh-Kaffee,
nebenbei Zigaretten und die Krone kaufen,
zum Zug laufen,
einsteigen und sich abgekämpft
vom morgendlichen Stress in
den Sitz fallen lassen.
Tief atmend die ersten Lungenzüge
der ersten Beruhigungszigarette
in sich hineinsaugen.
Gerade noch geschafft.
Es ist zehn nach Sieben.

Kapriolen

Gänserndorf, Cafe Hahn, 19. 11. 1983

Sind es Kapriolen der Mode
oder entspricht es dem Zeitgeist,
dass Gymnasiastinnen ihre Lambswoolwesten
verkehrt herum anziehen?

Bewusst Kulturschaffende sind auch hin und wieder solche Menschen,
die sich auf Kosten anderer ihre Verrücktheiten leisten
und von Kritikern umso mehr gelobt werden,
je weniger diese das Dargebotene verstehen.

Am Bahnhof

Gänserndorf 15. 10. 1984

Spielende Kinder mit ihren Müttern, Schüler, Studenten,
schöne Geschäftsreisende und Pendler. Gastarbeiter.

Alte Männer und Frauen zurück am Weg ins Altersheim
oder sonst wohin.

Wieviele von ihnen warten wohl auf den Zug,
der schon lange abgefahren ist?

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