Untertagsblues – Allerweltsbeschimpfungen in der U-Bahn

Die Studiobühne EXTRA München war mit Peter Handkes hochexplosivem Monolog eines „Wilden Mannes“ am 13. und 14.10.2014 zu Gast in der ARGEkultur. In der Inszenierung von Katrin Kazubko tobt Jurij Diez wütend durch den Waggon einer U-Bahn, beleidigt und vergrault alle Fahrgäste.

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Von Elisabeth Pichler

„Schon wieder muss ich mit euch zusammen sein. Halleluja. Miserere. Erlöse mich von eurem Übel. Mach mich die Leute meiden. Wenigstens für einen Augenblick.“ „Warum bin ich nicht zu Hause geblieben, allein in meinem Zimmer.“ Das klingt ja noch recht harmlos nach einer frühmorgendlichen Depression. Doch nach und nach schwingt sich dieser schlecht gelaunte Fahrgast zu sehr persönlichen Beleidigungen auf.

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Die Fahrt von Station Alpha nach Station Omega ist lange, es bleibt genug Zeit, die ständig wechselnden Mitreisenden fertigzumachen. Ob Pfarrer, Universalpreisträger, Pensionist, Pelzmantelträgerin, Perspektivenverdränger, Fernsichtverhinderer, sie alle sind für ihn erbarmungslos hässlich, trostlos, rettungslos. Besonders abgesehen hat er es auf ein junges hübsches Parr, das seiner Meinung nach in einer U-Bahn überhaupt nichts zu suchen habe. Er wendet sich mit seinen aggressiven Beleidigungen auch an das Publikum, findet diesen zu blond, jenen zu schwarz und behauptet, dass kleine Ohren ein schwaches Gedächtnis bedeuten.

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Endlich allein im Abteil kann er sein Glück kaum fassen: „keine in die Hose gesteckten Pullover, keine Uniformen, keine schönen Frauen, kein Mobiltelefon, keine Tätowierten, keine herabgezogenen Lippen, keine Aktenkoffer, keine Flüchtlinge, keine Arbeitslosen, keine Bettler…“ Da taucht eine selbstbewusste Dame in einem eleganten Abendkleid auf und liest nun ihrerseits dem Wüterich die Leviten: „Mann, wie hältst du dich bloß selber aus, du verkümmerst vom Schönheitssuchen.“

Jurij Diez kann sich in der Rolle des wütenden jungen Mannes richtig austoben und Dampf ablassen. Da ihm ja keine Gegenspieler zur Verfügung stehen, bedient er sich schamlos im Publikum. Jaime Villalba-Sanchez in der Rolle der wilden Frau strahlt Autorität aus und schlägt den Wüterich mit seinen eigenen Worten. Ein amüsanter, ironischer, sarkastischer Abend, der auch nachdenklich stimmt, indem er – wenn auch überzogen – menschliche Schwächen aufzeigt. So fühlte ich mich ertappt, als der „Wilde Mann“ gegen Leute, die beim ersten Regentropfen den Schirm aufspannen, wetterte.

„Untertagsblues“ von Peter Handke mit Jurij Diez und Jaime Villalba-Sanchez. Regie: Katrin Kazubko. Fotos: ARGEkultur/ Studiobühne EXTRA München/ Franz Kimmel


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