Die Anti WEF Demonstration in Salzburg

Salzburg Anti WEF

Ein Drama in drei Akten

von Hans-Peter Graß

I Der Brief

Die Anwesenheit des „World Economic Forums“ (WEF) in Salzburg Anfang Juli hatte schon länger ihren Schatten vorausgeworfen. Protestmaßnahmen inhaltlicher und aktionistischer Art waren in Vorbereitung. Das Team des Friedensbüros Salzburg hatte sich entschieden, vorwiegend die Alternativ-Tagung der Gruppe „ATTAC“ zu unterstützen. Von der anfangs überlegten Mitveranstaltung an der geplanten Kundgebung bzw. der nicht genehmigten Demonstration hatten wir wieder Abstand genommen. Grund dafür, war die u. E. nach zu unklare Behandlung der sog. „Gewalt“-Frage. Ein Brief der Gruppe „Antiwef“ als Antwort auf die Ereignisse in Göteborg bestätigte uns in dieser Einschätzung. Ich schrieb daraufhin im Namen des Friedensbüros einen Brief an die Verfasser einer Aussendung mit dem Titel: „Wer mit Gewalt beherrscht wird, wird sich auch gewaltig wehren“:

An die AktivistInnen von antiwef:

„Wenn ich mir Euren Kommentar zu den Ereignissen in Göteborg zu Gemüte führe, gibt es lediglich einen Argumentationsstrang, der ich inhaltlich nachvollziehen kann und der mir teilweise auch sehr sympathisch ist: Eure Sensibilität gegenüber struktureller Gewalt, der wütende Aufschrei gegenüber der diesbezüglichen Ignoranz der Öffentlichkeit und das Bewusstsein, dass direkte Gewalt wahrscheinlich das wirkungsvollste Mittel ist, medial wahrgenommen oder sogar gehört zu werden. In der Tat stehen die Konferenzen in Göteborg oder die in Salzburg für eine geballte Ladung an struktureller Gewalt. Ihr habt lediglich einige davon thematisiert: Das Schengener Abkommen, die Dominanz der Finanzmärkte über die Politik, Neoliberalismus und Entsolidarisierung stehen für Entwicklungen, die breiten Widerstand provozieren. In Eurem gewaltsamen Protest habt Ihr außerdem ein Janus-Gesicht der Medien (insbesondere des Boulevards) auf Eurer Seite und die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass die mediale Wahrnehmung Eures Protestes eine hohe sein und Aktionen gewaltfreien zivilen Widerstands in den Schatten stellen wird.

Ich muss mich jedoch nicht auf das Glatteis einer moralischen Gewaltdebatte begeben, um mir sicher zu sein, dass der Erfolg Eurer Mittel lediglich ein kurzer sein dürfte, wenn er nicht überhaupt Eurer Sache zuwiderläuft – wovon ich überzeugt bin:

Direkte Gewalt drängt die inhaltliche Konfrontation in den Hintergrund und desavouiert sie. Außerdem schwächt sie den zivilen Widerstand im entscheidenden Kampf um die Bilder.

Dafür gibt sie Personen ein Podium, denen Euer inhaltlicher Protest völlig egal ist und lediglich die Gelegenheit nützen, ihre unpolitische Randale vor einem faszinierten Publikum zu inszenieren.

Eure Stilisierung von legitimer Gegengewalt muss schon im Ansatz scheitern. Diese Positionierung gelingt dem staatlichen Gewaltmonopol weit besser. In dieser Frage habt Ihr die Medien nicht mehr auf Eurer Seite. Gewaltsamer Aufruhr sieht in der Regel  Polizei und Militär als Sieger im Kampf um die öffentliche Gewalt-Legitimation.

Nicht zuletzt wirkt direkte Gewalt phantasielos, angstmachend und unsympathisch. Dieser Verlust an Sympathie in der öffentlichen Meinung schadet der Sache, die breite Unterstützung und Mobilisierung verdient, am nachhaltigsten.

Was wir brauchen ist ein breiter gewaltfreier ziviler Widerstand, der seinen Fokus auf inhaltliche Konfrontation und langfristige strukturelle Änderungen setzt. Ein Widerstand, der auf Gewalt verzichtet, dadurch breite öffentliche Sympathie und Solidarisierung bewirkt und gerade durch diesen Verzicht die Fratze struktureller Gewalt offen legt und schwächt.

Davon ist die zivile Gesellschaft derzeit weit entfernt. Eure Kritik an ihrer Wirkungslosigkeit ist berechtigt und wichtig. Aber Euer Ansatz bringt uns diesem Ziel nicht näher. Im Gegenteil: Der Frage der Effizienz müsst auch Ihr Euch stellen und die scheint mir nach den Ereignissen von Göteborg mehr als fragwürdig.

Hans Peter Graß
für das Friedensbüro Salzburg

II Von „Chaoten“ und anderen „Gewalttätern“

Ich hatte mich privat bewusst dafür entschieden, an der Demonstration gegen das WEF teilzunehmen, weil ich mir durch meine Erfahrungen mit der Berichterstattung über die sog. „Chaostage“ diesmal meine Meinung über die Ereignisse selber machen wollte. Außerdem erachtete ich es als wichtig, dieses Feld nicht der explosiven Mischung aus gewalttätigen Demonstranten, der Polizei und den Medien zu überlassen. Durch meine Teilnahme war es mir möglich, Begriffen aus der Berichterstattung konkrete Bilder zuordnen zu können.

Was habe ich wahrgenommen: Vermummte Demonstranten, deren Parolen mir teilweise sehr zuwider waren.  Vermummte Polizisten, die nach ihren Kurzkommentaren zu schließen nicht minder gewaltbereit waren und sich später auch als durchaus gewalttätig geoutet haben. Journalisten, die sich gebannt auf die Gruppe der sog. gewaltbereiten Chaoten konzentriert haben und denen ein Motiv, das mich sehr fasziniert hat, keine Bilder wert waren: Eine Gruppe junger friedlicher DemonstrantInnen, die sich auf gelockerte Pflastersteine gesetzt hatten, um zu verhindern, dass jemand auf die Idee kommen könnte, diese einzusetzen.

Außerdem konnte ich mich überzeugen, wer die 400 eingekesselten „Chaoten“ waren. Es handelte sich dabei großteils um viele junge und ältere SalzburgerInnen, die durch ihre Geduld und ihre Anwesenheit dazu beigetragen haben, dass die Situation im sog. „Kessel“ nicht schon früher eskaliert ist. Die Bilanz des Abends und die Berichterstattung am nächsten Tag wäre ohne deren Anwesenheit mit Sicherheit noch unerträglicher gewesen.

Auch als die Gruppe von etwa 1000 Personen in dem sog. „Kessel“ eingesperrt war, verwunderte mich die Gelassenheit und Geduld der TeilnehmerInnen. Einzelnen versuchten Provokationen von DemonstrantInnen und Polizisten wurde relativ entschieden entgegengetreten. Nie hatte ich das Gefühl, dass die Stimmung kippen oder eskalieren könnte. Erst nachdem wir ein bis zwei Stunden eingekesselt waren, begannen einzelne Leute unruhig zu werden, insbesonders diejenigen, die den Kessel verlassen wollten, aus privaten oder beruflichen Gründen oder einfach aus Angst. Bis zum Schluss schien mir dieses Problem das drastischste zu sein, was mich bewog, einzelne dabei zu unterstützen. Sehr erfolgreich war ich nicht: Lediglich in einem Fall gelang es mir, einen Polizisten davon zu überzeugen, eine junge Frau, die weinte, weil sie dringend zu ihrer Arbeitsstelle musste, durch die Absperrung zu lassen. Dieselbe wurde jedoch von zwei seiner Kollegen unmittelbar nachher wieder in den Kessel zurückgebracht.

Solche Ereignisse schürten unseren Unmut genauso wie die wiederholten Ankündigungen von Veranstaltern und Einsatzleitung über „verhandelte“ Ergebnisse. Dreimal wurde den Eingeschlossenen angeboten, über einen Korridor zurück zum Bahnhof zu ziehen und dort die Kundgebung gewaltfrei zu beenden. Solche Ankündigungen wurden von den DemonstrantInnen mit Applaus quittiert, jedoch von der Polizei niemals umgesetzt. Dies schien mir besonders unverständlich, zumal ich glaubte, die Stimmung im Kessel so einschätzen zu können, dass, wenn zu diesem Zeitpunkt die Gruppe zum Bahnhof geleitet worden wäre, es mit großer Wahrscheinlichkeit zu keiner Eskalation gekommen wäre. Warum ist das nicht geschehen? Aus meiner Sicht, als einer der in der ersten Reihe zwischen DemonstrantInnen und Polizisten gestanden war und die Verhandlungen, sowie die Reaktionen darauf genau beobachten konnte, ergab sich das Bild eines Polizeiapparats, dessen Führungsstrukturen nicht mehr funktionierten, weil sich ein Teil davon (namentlich die WEGA) nicht mehr an Verhandlungsergebnisse halten wollte und den Abzug der DemonstrantInnen boykottierte.

Ähnlich verhielt es sich anläßlich des Vermittlungsversuchs von Bürgermeister Heinz Schaden. Dieser bot den DemonstrantInnen über ein Megaphon zuerst an, nach einer jeweiligen Perlustrierung den Kessel verlassen zu können. Nachdem dieses Angebot nicht angenommen wurde – einige hatten keinen Ausweis, andere hatten bereits gesehen, wie mit Leuten umgegangen wurde, die freiwillig den Kessel verlassen wollten – handelte der Bürgermeister aus, dass es auch ohne Perlustrierung möglich wäre, den Kessel zu verlassen. Ich befand mich in unmittelbarer Nähe des Bürgermeisters und beobachtete, dass zwei Personen, die das Angebot des Bürgermeisters angenommen hatten, unmittelbar nach Verlassen des Kessels von Beamten der WEGA an die Wand gestellt, perlustriert und in einen Polizeiwagen verfrachtet wurden. Ich versuchte noch BM Schaden nachzurufen: „Herr Bürgemeister, die beiden werden verhaftet!“ als mich bereits ca fünf Polizisten der WEGA bestürmten, mich an die Wand drückten, aus dem Kessel  zerrten, mir äußerst  brutal die Hände ausdrehten und mich fesselten. Ich machte den WEGA-Beamten lauthals klar, dass mir ihre Behandlungsweise körperliche Schmerzen verursachten („Laßt mich aus, das tut mir weh!“), was den einen Polizisten bewegte, den anderen zu fragen: „War das Widerstand gegen die Staatsgewalt?“ und der andere ihm versicherte: „Na sowieso.“ Nachdem ich noch versuchte Cyriak Schwaighofer, Ltabg. der Grünen, mit dem ich in den letzten Minuten vor der Verhaftung, gesprochen hatte, zuzurufen, er möge mir helfen, wurde ich von den WEGA-Beamten mit der Bemerkung „Geh eini, du Scheißer“ in ein Polizeiauto gesperrt. Dort wurden mir meine Dokumente, Geld und Schlüssel abgenommen. Es scheint mir auch besonders wichtig zu bemerken, dass die mich überfallenden und beleidigenden Beamten mehr als eine Stunde Zeit hatten, mich und meine beschriebene Rolle in der Demonstration wahrzunehmen.

Nachdem ich nach etwa einer Stunde in das Salzburger Polizeigefängnis gebracht worden war, machte ich die sehr bereichernde Erfahrung, was man sich so unter elf „festgenommenen Gewalttätern“ vorzustellen hat.

Außer mir waren da auch die beiden jungen Männer dabei, die das Angebot des Bürgermeisters Schaden angenommen hatten, außerdem eine Frau, die versuchte, den Verhafteten eine Telefonnummer einer Rechtshilfeorganisation zukommen zu lassen und dabei selbst mitgenommen wurde. Da gab es auch noch den Journalisten, wobei es wohl eher um dessen Kamera gegangen ist und weitere junge Leute, die ich in der Demonstration als ruhig und gelassen wahrgenommen habe und die sich auch im Polizeigefangenhaus verdächtig zivilisiert verhalten.

Nach äußerst diskriminierenden und demütigenden Behandlungsweisen durch das Personal des Polizeigefangenenhauses Salzburg wurden wir noch in der selben Nacht vernommen und wieder freigesetzt.

III …und das nächste Mal?“

Die Umstände meiner Verhaftung und deren Veröffentlichung mögen dazu beigetragen haben, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen, die der massiven skandalisierenden und eskalierenden Berichterstattung über die Anti-WEF-Demonstration eine subjektive und audentische Erfahrung entgegenzusetzen vermochte. Zudem bewirkten sie – zumindest bei den Beteiligten – eine enorme Sensibilisierung gegenüber den Gefahren sich verselbständigender polizeistaatlicher Apparate und inhumanen Formen von Kriminalisierung und Inhaftierung.

Doch trotz dieser nicht beabsichtigten Nebenwirkungen kann man nicht darüber hinwegsehen, dass wohl keiner der Inhaftierten ähnliche Erfahrungen noch einmal machen möchte. Nicht nur aus diesem Grund erscheint es mir besonders wichtig, bereits zum einem Zeitpunkt, in dem die Betroffenheit noch merklich spürbar ist, darüber nachzudenken, was zu tun sei, um ähnliches in Zukunft vermeiden zu können. Nachdem bereits die Entscheidung gefallen ist, das WEF auch in den nächsten fünf Jahren in Salzburg zu beherbergen, wird uns auch nichts anderes übrig bleiben.

Nachzudenken empfehle ich jedoch nicht nur den scheinbaren Hauptakteuren, der Exekutive und gewaltbereiten Demonstranten, sondern auch den Veranstaltern, den Medien, der Kommunalpolitik und der Salzburger Bevölkerung.

  • Die künftigen Veranstalter von Protestaktionen werden sich noch viel mehr damit zu beschäftigen haben, phantasievolle und betont gewaltfreie Aktionsformen zu entwickeln, denen es gelingt, breite Sympathie und Verständnis für ihr Anliegen in der Öffentlichkeit zu schaffen. Zudem wird man nicht umhin kommen, sich auf Störungen oder Provokationen von innen und außen vorzubereiten, um entsprechend darauf reagieren zu können. Dazu gab es bereits heuer kreative Ansätze, die jedoch offensichtlich nicht ausgereicht haben, auch von Medien, der Exekutive, der Öffentlichkeit und einem Teil der TeilnehmerInnen wahrgenommen zu werden.
  • Die angekündigte Deeskalationsstrategie der Polizei scheint im Nachhinein entweder nicht existiert zu haben oder kläglich gescheitert zu sein. Die offensichtlichen Mängel in Bezug auf einheitliche Befehlsstrukturen, vertrauensbildende Maßnahmen und verbindliche Kommunikationsformen mit den DemonstrantInnen gipfelten in der offenbar bewusst inszenierten Eskalationsmeldung über den verletzten Exekutivbeamten. Die Polizisten in den ersten Reihen wurden durch diese Meldung über ein „Schädel-Hirn-Trauma“ eines ihrer Kollegen unnötig emotionalisiert und radikalisiert (im Polizei-Gefängnis wußte man ihn  bereits im Koma; am nächsten Vormittag befand er sich jedoch weitgehende genesen wieder in der Einheit – und gleichzeitig auf allen Titelblättern der Salzburger Tagespresse). Auch wenn die Nachricht gestimmt hätte, müsste man sie im Sinne einer ernst zu nehmenden Deeskalierungsstrategie zurückhalten. Die neue Führung der Salzburger Exekutive ist aufgerufen, ihre BeamtInnen in dieser Frage besser vorzubereiten und auszubilden. Erleichtert würde eine Deeskalation allein schon durch die Maßnahme, auf Hilfe von unberechenbaren und unkontrollierbaren Einheiten (z. d der WEGA) das nächsten mal zu verzichten.
  • Die Salzburger Medienlandschaft hat sich zwar anfangs – wohl inspiriert vom Desaster um die „Chaos-Tage“-Berichterstattung – sehr zurückgehalten. Die letzten Tage vor und die ersten nach der Demonstration waren jedoch ein Tiefpunkt an Medienkultur – und nicht nur die des sog. „Boulevards“. Bilder mit auffahrenden KFOR-Panzern vor dem Kongresshaus, offensichtliche Persiflagen aus dem Internet als Tatsachenmeldungen präsentiert, die Kriminalisierung einer großen Anzahl von DemonstrantInnen, die Reduzierung der Berichterstattung über die Tagung von ATTAC auf die Wahrnehmung Coca-Cola-Trinkender TeilnehmerInnen war schier unerträglich. Lediglich freie Medien und die Möglichkeiten von TeilnehmerInnen, sich mit Leserbriefen zu Wort zu melden sicherten Ansätze einer audenten Berichterstattung. Bereits nach den ersten Tagen mussten zahlreiche Meldungen zurückgenommen werden. Was hätte man außer verkaufsintensivierende Schlagzeilen verloren, wenn man wenigsten zwei Tage gewartet hätte, um an gesicherte Informationen zu kommen? Eine freiwillige Selbstbeschränkung von Medien in ihrer absoluten Focusierung auf Gewalt hätte uns allen sehr gut getan.
  • Die Salzburger Kommunalpolitik hat sich mit Ihrer Entscheidung, den WEF-Gipfel auch in den nächsten fünf Jahren durchzuführen, auch in Bezug auf zu erwartende Proteste in Zugzwang gebracht. Gefordert ist die Gewährleistung der Demonstrationsfreiheit, die Unterstüzung alternativer Parallelveranstaltungen zur Globalisierungsproblematik, die Schaffung von Raum und Mittel für Dialogprozesse zwischen den Konfliktparteien. Wenn sich die Stadt Salzburg durch den Schwerpunkt der WEF-Tagung als Podium für osteuropäische Interessen profilieren möchte, wäre es doch auch sehr spannend, NGO´s aus dem besagten Raum einzuladen, um Globalisierungsfragen aus deren Sicht zu erörtern.
  • Last but not least wünschte ich mir von der Salzburger Bevölkerung ein lauteres Raunen und Aufschreien über die Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit, bürgerkriegsähnlichen Sicherheitsmaßnahmen und präpotenten Perlustrierungen aller derer, die auch nur in Ansätzen jung, bunt und aufsässig wirkten.

Hans Peter Graß,
Mitarbeiter des Friedensbüro Salzburg

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