Elfriede Jelinek hat das ungeheure Massaker, das in der Nacht zum 25. März 1945 im Schloss Rechnitz an der österreichisch-ungarischen Grenze stattfand, in einen melodisch prallen Text voller Widersprüche und doppelter Böden verpackt. Peter Arp lässt in seiner Inszenierung fünf Boten von der Dekadenz in diesem „Heim voller Lüste und Laster“ berichten. Die Premiere fand am 3. März 2015 im Schauspielhaus Salzburg statt.

Von Elisabeth Pichler
An den Wänden im Studio hängen gesichtslose Porträts von Gefangenen stellvertretend für die über 180 ermordeten jüdisch-ungarischen Zwangsarbeiter. Der ungeheuerlichen Tat war ein rauschendes Gefolgschaftsfest der Gräfin Margit von Batthyány-Thyssen vorausgegangen, die lokale SS- und Gestapo-Männer auf ihr Schloss geladen hatte.
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Der Krieg stand kurz vor dem Ende, die russische Armee war nahe. Gegen Mitternacht wurde zum Halali geblasen, woraufhin 15 Männer das Schloss verließen, um als eine Art Partyvergnügen Jagd auf die Gefangenen zu machen. Bis heute ist der Fall nicht aufgearbeitet, das Massengrab wurde nie gefunden, den Tätern gelang die Flucht.

Trotz strenger Uniform machen die fünf Boten (großartig Ulrike Arp, Bernadette Heidegger, Marcus Marotte, Olaf Salzer, Christiane Warnecke) einen gut gelaunten Eindruck, als sie die kleine Showbühne betreten, vor der sich ein riesiges Kreuz bis dicht an die Zuschauerreihen erstreckt (Ausstattung: Isabel Graf). „Sie wissen ja, wie weit man uns glauben kann.“ Diese Warnung ist ernst zu nehmen, denn niemand von ihnen war dabei, keiner hat etwas gesehen oder gehört. Sie geben nur wieder, was man ihnen aufgetragen hat. Zur Ablenkung und Vertuschung der Gräuel bauen sie Klatsch und Tratsch in ihre grausamen Geschichten ein.

Es kann ja wohl nur ein Gerücht sein, dass die Gräfin bei ihrer Flucht in die Schweiz eine unrühmliche Jagdtrophäe im Gepäck hatte. Langsam tasten sich die Boten an das Unsagbare heran, doch trotz aller Bemühungen – sie rappen, singen und schunkeln – holt sie das Grauen immer wieder ein. „Ich bin ja nur ein Bote, das vergesse ich manchmal und dann muss ich kotzen.“
Der Untertitel des Stücks „Der Würgeengel“ weist auf Luis Buñuels gleichnamigen surrealistischen Film aus dem Jahre 1962 hin, in dem die Dekadenz der Bourgeoisie angeprangert wird. Elfriede Jelinek gräbt gerne Leichen aus und zwingt das Publikum, sich mit unangenehmen historischen Fakten auseinanderzusetzen, von denen man lieber nichts wissen möchte. Ein großer Theaterabend, der unter die Haut geht, wohl ganz im Sinne der Autorin.

„Rechnitz (Der Würgeengel)“ von Elfriede Jelinek | Premiere: 3. März 2015 | Schauspielhaus Salzburg | Regie: Peter Arp. Ausstattung: Isabel Graf. Musik: Peter Valentin. Mit: Ulrike Arp, Bernadette Heidegger, Marcus Marotte, Olaf Salzer, Christiane Warnecke. Fotos: Manuela Seethaler
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