Am 16.11.2009 findet die Uraufführung des Stücks „Allegretto“ von Gustav Ernst im Theater Drachengasse statt. Mit der Eintrittskarte wird mir eine Mirabell Mozartkugel gereicht. Und zum ersten Mal schaue ich mir als Salzburgerin, hier in Wien, die goldene Kugel genauer an. Hat er denn wirklich so ausgesehen, der Mozart?

Von Nina Groß
Auf der Bühne ein weißer Flügel, darauf eine Mozartbüste. Sie zeigt ein anderes Gesicht des Komponisten als die Praline. Vier schwarze Säulen. Musik. Ein Ehepaar kleidet sich an. Anna ( facettenreich: Doris Hindinger) und Robert ( überzeugend: Simon Hatzl) machen sich schön, für eine Opernpremiere : „ Così fan tutte“. Sie lieben die Oper. Er kann nur bei Mozarts Musik aufhören, über seine Arbeit, die Operationen nachzudenken und das Geklimper des OP Geschirrs zu hören. Und in ihr, da „löst sich etwas“. Jede Mozart Oper rührt sie zu Tränen. Die Oper scheint die beiden noch zu verbinden. Kriegenstein fährt heute mit ihnen zur Oper. Kriegenstein (begeister das Publikum mit vollem Stimm-und Körpereinsatz: Kriegenstein) ist ein Bekannter, ein Schriftsteller, Philosoph, Dramatiker. Man trinkt Champagner zusammen und diskutiert über die Flüchtigkeit der Liebe, der Treue, über Ursache und Wirkung, und wer wen verführt hat, ganz am Anfang. Anna Robert oder Robert Anna? ___STEADY_PAYWALL___
Wieso können Gespräche über das Hohe der Kunst plötzlich Gespräche über die Abgründe des Lebens sein? (Gustav Ernst: Allegretto – Fragen, die das Stück stellt)
Frau und Herr Hohenemser ( Susanne Altschul und Ludwig Kaschke) fahren auch mit zur Oper. Fünf Menschen halten sich an ihren Champagnergläsern fest und versuchen zu plaudern, ganz unverfänglich, ganz leicht. Sie sprechen über Mozarts Musik und ihre Zugänge dazu. Doch mit dem Champagner verflüchtigt sich auch die Unverfänglichkeit der Plauderei.
Welche Interessen stecken dahinter? Welche Ängste und welche Sehnsucht? (Gustav Ernst: Allegretto – Fragen, die das Stück stellt)
Langsam lassen die Personen ihre Masken, ihre Fellstola und Abendkleider fallen. Sie geben Angst, Wut, Leidenschaft und Stolz frei. Die Wut der Opernsängerin, ihr Leben, ihren Traum geopfert zu haben, für ihre Ehe, ihre Familie. Das Geheimnis des Orthopäden, der seine Frau im Ausverkauf ersteigert hat. Die Sehnsucht Annas, der Klinikvorstandsgattin, aus dem Schatten ihres Mannes heraustreten zu können, schreiben zu können. Ihren Zorn auf Mozarts Musik, die sich in ihre Ehe drängt. Die Leidenschaft des Chirurgen, die nur mehr von der Oberärztin der Geriatrie und Mozarts Musik erwidert wird. Der Dichter Kriegenstein sitzt am weißen Flügel und schreibt, während neben und um ihn herum die Personen buchstäblich zu Fall gehen. Mit der Mozartbüste in der Hand gehen sie aufeinander los, bis sie alle ausgestreckt und regungslos am Boden liegen.
Die Inszenierung von Johanna Tomek beginnt stockend und steif, die Lichter verändern sich, Musik setzt immer wieder als Akzent ein, die Champagnerflasche leert sich, das Spiel wird schneller, lauter, fasziniert mit Humor und Tiefgründigkeit. Das Publikum wischt sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln, tanzt mit, im schnellen Takt der Monologe, der gesprochenen Arien, der kleinen und großen Tragödien. Die erst harten und spröden Töne werden bunt und beweglich, die Schauspieler laufen, fallen hin und übereinander her, spielen das Klavier, schreien, lachen, singen. Schweigen.
„Alegretto“ kratzt an der Oberfläche der „Freunde der Wiener Staatsoper“, an ihren roten Lippen und Hochsteckfrisuren, so wie es die Kunst tut. Allegretto ist einer der mittleren Tempi in der Musik, übersetzt: etwas munter. Das gleichnamige Stück von Gustav Ernst ist munter, witzig, schwungvoll und stellt dabei unentwegt Fragen.
Was verändert Kunst? Verändert sie etwas? (Gustav Ernst: Allegretto – Fragen, die das Stück stellt)
Die Gesellschaft streicht ihre Haare zurecht, zieht sich die Reißverschlüsse wieder zu und stellt die Büste auf ihren Platz. Sie fährt zu Mozart. Der, der alles – oder auch nichts? – verändert.
Foto: Theater Drachengasse ©Andreas FRIESS / picturedesk.THEATER DRACHENGASSE / ALLEGRETTO von Gustav Ernst / Urauffuehrung / Regie: Johanna Tomek / Ausstattung: Werner Schoenolt / Musik: Paul Winter / Es spielen: Susanne Altschul, Simon Hatzl, Doris Hindinger, Ludwig Kaschke, David Oberkogler / Fotos: ©Andreas FRIESS / picturedesk.
Kommentar hinterlassen zu "So machen es alle (Frauen) oder Die Schule der Liebenden"