S. Schiff: Haben wir jetzt wieder Krieg, Schwester?

Sonja Schiff

Sonja Schiff | Foto: Rochus Gratzfeld

Seit uns die aktuelle Flüchtlingswelle beschäftigt, geht mit eine berufliche Erinnerung nicht mehr aus dem Kopf. Daher möchte ich sie an dieser Stelle erzählen.

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Von Sonja Schiff. Vielfalten.com

Jänner 1991. Ich bin eine junge Krankenschwester und arbeite in der Hauskrankenpflege, pflege und betreue also alte Menschen in ihren eigenen vier Wänden. Mein Haupteinsatzgebiet ist die Bessarabiersiedlung, das sogenannte Glasscherbenviertel von Salzburg, entstanden aus Flüchtlingsbaracken, für Flüchtlinge aus dem Banat und Bessarabien. Bessarabiersiedlung, das sind 1991 vor allem Sozialbauten und es heißt, wer hier einmal gewohnt hat, kommt nicht mehr raus aus dem Elend.

Seit etwa einem Jahr besuche ich täglich zwei Mal die gehbeeinträchtigte und leicht demente Martha Gerner (Name frei erfunden, Anmerkung der Autorin), 85 Jahre alt. Eingezogen in eine Flüchtlingsbaracke in der Bessarabiersiedlung irgendwann gegen Ende des zweiten Weltkriegs als junge Frau, hat sie tatsächlich ihr gesamtes Leben in dieser Siedlung verbracht. Aus der ehemaligen Baracke wurde irgendwann eine kleine Wohnung, mit einer richtigen Toilette und einem eigenen Bad. Hier lebte Frau Gerner ihr Leben, sie heiratete, bekam drei Kinder, wurde Witwe.

Martha Gerner kann sich nicht mehr alleine waschen, braucht Hilfe beim Anziehen und beim Ausziehen und bekommt als Diabetikerin von mir täglich zwei Mal ihre Insulininjektion. Neben der Pflegearbeit sprechen wir viel miteinander und so erfahre ich von Martha Gerners Flucht, von den Ängsten die sie durchlebt hat, davon wie sie im Winter tagelang barfuß lief und ihre Zehen erfroren. Heute noch schmerzen diese und erinnern sie bei jedem Schritt an die lange beschwerliche Reise.

Als junge Krankenschwester höre ich mir ihre Geschichten an. Es ist Teil meiner Arbeit, mir die Geschichten der alten PatientInnen anzuhören. Aber wer täglich sieben oder acht solcher Geschichten hört, kann nicht jedes Gefühl an sich heranlassen. Was es bedeutet auf der Flucht zu sein, welche Ängste man durchlebt, das alles perlt an mir ab. Bis zu dem einen Tag im Jänner 1991.

Saddam Hussein hat vor einigen Monaten Kuweit besetzt. Amerika erklärt dem Iran den Krieg. Der Golfkrieg beginnt. Der erste Krieg, der via Fernsehen in …

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