„Auf der Flucht gibt es immer einen Ort, wo es besser ist.“ Eine junge Frau freut sich über die Sicherheit, die ein verlassenes Kellergewölbe bietet, doch die Angst vor dem Morgen will nicht weichen. Angeregt durch die aktuelle Flüchtlingssituation präsentieren Max Pfnür und Christine Winter (Theater StattGeflüster) einen eindringlichen Monolog. Die Premiere fand am 28. Dezember 2015 im Theater im Café Shakespeare statt.

Von Elisabeth Pichler
Die Freude über eine gefundene Kartoffel ist bei Maya groß, denn im Moment ist so eine Knollenfrucht mehr wert als ein Golf-Cabrio. Der wertvollste Besitz aber ist ihr Goldfisch, ein Hoffnungsschimmer in all dem durch den Krieg verursachten Chaos. Nach der Sprengung der letzten Brücke ist ihr schnell klar geworden, dass es kein Zurück mehr gibt. Um in ihrem Nichtstun nicht zu verstauben, hält sie lange „Zwiegespräche“ mit ihrem Goldfisch. Sie macht ihn aufmerksam auf die kleinen Schönheiten, die es auch hier noch zu entdecken gibt. Mit Begeisterung nimmt sie eine Spinne samt ihrem faszinierend kunstvollen Netz als Gast bei sich auf. Um der Einsamkeit zu entfliehen, hält sie ständig Kontakt mit dem Morgen.
Das Gestern hat sie schon verloren, vielleicht verliert sie ja bald auch noch das Heute, doch „mein Morgen kriegen die nicht“. Als sie entdeckt, dass es sich bei ihrem Zufluchtsort um ein ehemaliges Theater handelt, ist sie überglücklich, doch auch überrascht, hat es doch immer geheißen, westlich der Brücke gäbe es keine Kultur. Auf ihrer Flucht ist sie einst einem alten Mann begegnet, der von den katastrophalen Bedingungen in einem Lager erzählte, denn dort gäbe es eine ganz spezielle Hackordnung. Die Alteingesessenen würden die Frischling hassen, seien diese doch nur halbe Menschen, die den Krieg noch in sich trügen. Da stellt sie sich lieber alleine den Gefahren des Krieges.
Die Erinnerungen an ihr früheres Leben sind stets präsent, lassen sich nicht vertreiben, sie geben ihr Halt und Sicherheit. Das ist gut so, denn „erinnern muss sich nur, wer am Leben ist, damit er daran erinnert wird, dass er noch am Leben ist“. Und so feiert Maya, den widrigen Umständen zum Trotz, mit Goldfisch und Spinne ein richtiges Weihnachtsfest, denn „heute wird gefeiert“.
Die kleine Bühne im Café Shakespeare eignet sich hervorragend für den kraftvollen, doch auch intimen Monolog, den Christine Winter mit Bravour meistert. Umgeben von den angsteinflößenden Geräuschen eines Krieges erlebt das Publikum ihre Angst und Verzweiflung sowie ihre Euphorie bei aufkeimender Hoffnung hautnah mit. 90 Minuten, die nachdenklich stimmen, weil sie Einblicke in das Seelenleben einer Flüchtigen, eines Kindes Babylons, für das die Zukunft kein Gesicht hat, gewähren. Ein wichtiges Stück zur aktuellen Lage, auf das man sich einlassen sollte.
„Wir Kinder Babylons“ – von und mit Christine Winter und Max Pfnür

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