Eine Pflegemutter von unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen erzählt

Flucht

Manchmal wäre ich gerne ein Mäuschen, um die Gespräche am Stammtisch im Wirtshaus in unserer kleinen Ortschaft zu hören. Ende August 2015 haben wir 4 UmFs (Terminus Technikus für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge) aufgenommen. Da wir bereits zuvor Krisenpflegeeltern waren, gab es ein abgekürztes Prozedere für die Aufnahme.

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Von Andrea Tews

Wir leben im Bezirk Rohrbach zwischen Oberkappel und Pfarrkirchen im oberösterreichischen Mühlviertel, ein sehr zweischneidiges Schwert. Außerhalb der Ballungszentren ist es einfacher Integration zu leben, aber hier am Land gibt es einige wesentliche Erschwernisse, genaueres weiter unten. Die Vertretung der Jugendwohlfahrt hat unsere Wohnverhältnisse begutachtet und ihr o.k. gegeben, vorerst für 2 Jugendliche, dann nochmals ein Hausbesuch, um die Gegebenheiten abermals zu kontrollieren und dann den Bescheid für 4 Jugendliche auszustellen.

Für einen Freitagabend wurde per Mail die Ankunft von 2 Kindern angekündigt. Niemand kam, auch keine Telefonnummer, die uns hätte weiterhelfen können. Da wir nicht wussten, ob es Überstellungen (einer dieser grauslichen Begriffe) auch am Samstag und Sonntag gibt, haben wir erst einmal gewartet. Erst am Montag kam ein Anruf: Man hat einen Buben in Helfenberg abgegeben, nur einen Buben, der zweite ist verschschwunden. Einer der zig-tausenden, die auf der Flucht verschwinden. Vielleicht nur weg aus Traiskirchen und auf nach Deutschland, darüber mache ich mir zum Selbstschutz keine Gedanken. Ein paar Tag später kam der Zweite.

Der Plan, die Buben in den Polytschnischen Lehrgang zu geben, ist an einer Weisung des Bildungsministeriums gescheitert. Der verweigerte Schulbesuch für die nicht mehr schulpflichtigen Buben ist auch jetzt noch unser größtes Problem. Unser wichtigstes Ziel ist es, den Buben eine Tagesstruktur zu geben, Motivation aufzubauen.

Ende Oktober und Anfang November kamen noch 2 weitere Burschen zu uns. Der Jüngste ist glücklicherweise schulpflichtig. Alle Burschen gehören in Afghanistan der ethnischen Gruppe der Hazaren an. Dazu in Wikipedia: Die Hazara, ebenfalls persisch-sprachig, jedoch größtenteils schiitischen Glaubens und mongolischer Abstammung, stellen etwa 9 % der Bevölkerung dar. Aufgrund ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit wurden und werden sie in Afghanistan verfolgt und gezielt getötet.

Zwischenzeitlich ist ein Bursche Kochlehrling im Gasthof Wundsam in Neustift, bisher funktioniert es gut. Für einen Burschen hab ich bei mir eine Lehrstelle als Tierpfleger geschaffen, ein weiterer soll ab August auch Koch lernen, dann hätte ich vorerst einen Meilenstein am Weg zu ihrer Selbstständigkeit geschafft.

Das Fordernste ist unsere Bürokratie, so gibt es zum Beispiel keine Lehrlingsfreifahrt, weil die an die Kinderbeihilfe gebunden ist und unsere jugendlichen Flüchtlinge keine erhalten. Und ohne Freifahrt gibt es auch kein begünstigtes Jugendticket: So schaut’s aus! Es gelten die gleichen Voraussetzungen wie für das OÖVV Schüler-Ticket bzw. das OÖVV Lehrlings-Ticket: Besuch einer Schule mit Öffentlichkeitsrecht oder Ausübung eines anerkannten Lehrberufs: Alter < 24, Wohnort und/oder Schulort bzw. Ausbildungsplatz in Oberösterreich und Bezug der Familienbeihilfe!

Für alle, die unser Bestreben, den Buben eine neue Heimat zu geben, genauer verfolgen wollen:
Tagebuch einer Familie mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen

Die Dorfzeitung zum Thema Flucht-Flüchtlinge:
Reinhard Lackinger: Europa braucht keine Handlanger, sondern Fachkräfte! Das sagen die Politiker.
Thomas Selinger/ Karl Traintinger: Die Flüchtlingsgaffer
Salzburger Landestheater: „Nach Europa/ Über das Meer“ | Flüchtlingsschicksale
Thomas Selinger/ Karl Traintinger: Der Preis ist unsagbar hoch.
Schauspielhaus Salzburg: „Illegale Helfer“ – Ist mein Staat menschlich?
Theater im Café Shakespeare: „Wir Kinder Babylons“ – zurück ist keine Option
Thomas Selinger/ Karl Traintinger: Über eine Lösung wird nachgedacht …
Thomas Selinger/ Karl Traintinger: Es ist schauerlich …
Sonja Schiff: Haben wir jetzt wieder Krieg, Schwester?
Thomas Selinger/ Karl Traintinger: Die Asylzelte, G7 und der Fussball.
Salzburger Landestheater/ OVAL: „African Spielzeugland“ – Ein englisch-deutsches Kinderstück
Theatergruppe MARAB: Krieg. Stell dir vor, er wäre hier. – ein Schreckensszenario
Johannes Voggenhuber: Flucht ist immer ein Notfall …
Richard Kienberger: Auf der Flucht.
Richard Kienberger: Zohre escaped
Salzburger Landestheater: „Fluchtwege: Ein Stationendrama“ – ein Theater auf der Flucht
Johann Toth: Nach dem letzten Karfreitag. Donauschwaben – Von der Befreiung in die Freiheit

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