„Wilhelm Tell“ – Der Mythos eines Helden

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Friedrich Schiller erzählt in seinem letzten Bühnenwerk vom Freiheitskampf des Schweizer Volkes Anfang des 14. Jahrhunderts. Das Drama stellt die Frage nach dem Recht auf Widerstand und thematisiert den individuellen Freiheitskampf ebenso wie den kollektiven. Regisseurin Agnessa Nefjodov lässt in ihrer Bearbeitung die personifizierte Legende auftreten und neue Fragen stellen. Die Premiere fand am 23. April 2016 im Salzburger Landestheater statt.

elipi_aVon Elisabeth Pichler

Die verängstigte, von der habsburgischen Besatzungsmacht unterdrückte Bevölkerung ruft nach einem Helden. Doch Tell hält sich zurück. Er greift nur ein, wenn Not am Manne ist. So wagt er es als Einziger, den von kaiserlichen Reitern verfolgten Baumgarten bei stürmischem Wetter über den Vierwaldstättersee zu rudern. Der Rütlischwur findet jedoch ohne ihn statt. Als er sich weigert, dem Hut des Reichsvogt Gessler die Ehre zu erweisen, kommt es zum berühmten Apfelschuss, der ihn zum Helden macht. Als Tell gesteht, dass der zweite Pfeil Gessler gegolten hätte, wird er verhaftet. Nach seiner Flucht lauert er in einer hohlen Gasse bei Küssnacht dem Tyrannen auf und ermordet ihn. Der allgemeine Befreiungskampf beginnt.

1_Gregor Weisgerber und Elisa Afie Agbaglah

Als das Volk nach einem Helden verlangt, erscheint Christoph Wieschke als personifizierte Legende. Er wirkt müde, möchte in Ruhe gelassen werden und seinen Wein genießen. Doch er weiß, es ist wieder einmal so weit, ein Land steht kurz vor dem Ausbruch einer Revolution. Diese „Stimmung“ ruft nach einem Helden, dem man vertrauen kann, dem man glauben kann. 12_EnsembleGregor Weissgerber hält sich in der an sich „einfachen Geschichte“ als Tell lange zurück, doch der Apfelschuss macht aus ihm einen Helden und Mörder. Damit ist seine Gattin (Sofie Gross) gar nicht einverstanden: „Euch alle rettete der Tell und wegen euch ist er zum Mörder geworden.“ Gegenüber dem Vatermörder Parricida (Marcus Bluhm) verteidigt er seine Tat, er fühlt sich unschuldig. Lautstark bejammert das gesamte Ensemble als unzufriedenes, gequältes Volk sein bedauernswertes Schicksal.

Ausstatterin Eva Musil lässt archaisch wirkende, massive Metallplatten von der Decke hängen, die vielseitig verwendbar sind. Sie bieten Deckung, kommen bei stürmischer See am Vierwaldstättersee zum Einsatz und sorgen, in Bewegung gesetzt, für eine bedrohliche Geräuschkulisse.

Agnessa Nefjodov legt großen Wert auf eine exakte Choreografie und so entstehen starke Bilder, die an die großen Revolutionen und politischen Umwälzungen in Frankreich, Amerika und Deutschland gemahnen. Mit einer gelungenen Mischung aus schillerschem Originaltext, Alltagssprache, lockeren Informationen aus Reiseführern und Wikipedia, wird das Stück von jeglichem Pathos befreit und das Thema Freiheit aus heutiger Sicht beleuchtet. Die eindringliche Schlussszene wirft viele Fragen auf: Wann gibt es für Gewalt und Mord eine Rechtfertigung? Warum suchen wir ständig eine Legitimation für unser Handeln? Brisanter Stoff zum Nachdenken für den Heimweg.

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Wilhelm Tell“ nach Friedrich Schiller, Bühnenfassung von Agnessa Nefjodov. Inszenierung: Agnessa Nefjodov. Ausstattung: Eva Musil. Mit: Gregor Weisgerber, Sofie Gross, Gero Nievelstein, Britta Bayer, Christoph Wieschke, Marcus Bluhm, Hanno Waldner, Elisa Afie Agbaglah. Fotos: © Anna-Maria Löffelberger

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