In Mike Kennys Theaterstück werden einem jugendlichen Publikum (empfohlen ab 10 Jahren) die Erfahrungen des jungen Flüchtlings Naz auf seinem gefährlichen Weg nach Europa nahegebracht. Der ständige Wechsel zwischen temporeichen, spannungsgeladenen Szenen und leisen Zwischentönen kam bei den Schülern gut an. Der Premierenapplaus am 7. Oktober 2016 war zwar kurz, aber umso heftiger.
Von Elisabeth Pichler
Jeden Abend erzählt der Vater seinem Sohn Naz Geschichten. Besonders fasziniert ist der Junge von den Abenteuern des kleinen Seefahrers Sindbad, der aufbricht, um auf dem Meer Abenteuer und Glück zu suchen. Die Schrecken eines Krieges zwingen seine Familie, die Heimat zu verlassen. Nach einer strapaziösen Flucht über Berge, Prärien und Wüsten landen sie schließlich in einem Flüchtlingslager. Das endlose Warten zehrt an den Nerven und so geben die Eltern schließlich ihr ganzes Geld aus, um Naz eine Reise nach London zu ermöglichen. Dort lebt seit einiger Zeit der älteste Sohn der Familie. Auf einer Postkarte schwärmt dieser von seinem Leben „in einem Land wie Milch und Honig“.
Alleine macht sich Naz auf den Weg, doch Gefahren lauern überall. Auf seinem Weg ins „Paradies“ trifft er auf geldgierige Schlepper, zwielichtiges Gesindel und grausame Soldaten. Die junge Krysia befindet sich ebenfalls auf der Flucht und wird zu seiner Reisegefährtin. Gemeinsam schaffen sie es, sich aus vielen gefährlichen Situationen zu befreien. Eine zarte Freundschaft zwischen den beiden Jugendlichen entsteht, versteht es doch Naz, dem traumatisierten Mädchen mit seinen zauberhaften Geschichten Trost und Hoffnung zu spenden.
Jonas Breitstadt überzeugt als stets freundlicher, optimistischer, liebenswert naiver Naz. Rührend, wenn er unverdrossen der anfangs doch ziemlich beleidigenden Krysia seine phantastischen Geschichten erzählt. In dieser Rolle versucht Magdalena Oettl mit einer gehörigen Portion Zynismus über die erlebten Gräuel hinwegzukommen. Die Flucht und das Leben im Lager setzen Vater (Moritz Grabbe) und Mutter (Ute Hamm) zu, doch für das Glück ihres Sohnes sind sie bereit, ihr letztes Hab und Gut zu verkaufen.
Neben der Mutterrolle löst Ute Hamm als schlagkräftige Ladeninhaberin beim Publikum Begeisterungsstürme aus. Auch Lukas Bischof, der einige Bösewichte verkörpert, kommt bestens an. Nico Raschner sorgt an seinem Schlagzeug für spannungsgeladene Töne. Auf einer großen Leinwand wird die Geschichte mit einfachen Zeichnungen und einem beeindruckenden Sturmvideo noch lebendiger gemacht.
Christoph Batscheider hat Mike Kennys dramatisches Jugendstück temporeich inszeniert, wobei durch die Vergleiche mit Sindbads sieben Reisen auch die phantastischen Elemente nicht zu kurz kommen. Eine für Lehrkräfte erarbeitete Materialmappe gibt praktische Beispiele zur Behandlung der Flüchtlingsthematik im Unterricht vor und nach Vorstellungsbesuch. So soll etwa diskutiert werden, welch große Veränderungen auf einen Flüchtling zukommen. Naz sieht das nach seiner Flucht so: „Als ich zu Hause war, da wusste ich, wer ich bin. Ich war einfach ich. Jetzt war ich ein Flüchtling.“
„Der Junge mit dem Koffer“ – Jugendstück von Mike Kenny. Schauspielhaus Salzburg. Ab 10 Jahren. Regie: Christoph Batscheider. Bühne: Vincent Mesnaritsch. Kostüme: Elke Gattinger. Video: Michael Winiecki. Mit: Jonas Breitstadt, Magdalena Oettl, Moritz Grabbe, Ute Hamm, Lukas Bischof, Nico Raschner. Fotos: Jan Friese
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