Straßenzeitung APROPOS. Michaela Gründler

11 Jahre bei Apropos. Sie gehört seit 1. Februar 1999 zur Straßenzeitungswelt. Was Apropos-Chefredakteurin Michaela Gründler in den vergangenen 11 Jahren beschäftigt, geärgert und gefreut hat.

Plötzlich Chefin. Mit 28 Jahren übernahm ich die Leitung von Apropos, das war 2002 und ich schon drei Jahre lang Teilzeit-Redakteurin. Plötzlich war ich für alles verantwortlich: für Blattinhalt, Inseratenakquise, Öffentlichkeitsarbeit, Betreuung von AutorInnen und PraktikantInnen, Vertrieb und mein Team. Das bereitete mir fachlich keine Schwierigkeiten. Aber anfänglich durchaus persönliche. Wie einen Kollegen „leiten“, der doppelt so alt ist wie ich? Wie dem stark männerdominierten Verkaufsteam in meiner neuen Rolle begegnen? Ich wählte einen freundschaftlichen Weg, legte Wert auf Konsens-Entscheidungen im dreiköpfigen Kernteam. Wie sich bald zeigte, der richtige Weg. Beim Verkaufsteam merkte ich, dass ich es „geschafft“ hatte, als mich einer der dienstältesten Verkäufer nicht mehr „Dirndl“ sondern „Chefin“ nannte.

Toleranzgrenzen gedehnt. Im Laufe der Zeit habe ich gelernt, meine Toleranzgrenzen auszudehnen, Angriffe nicht persönlich zu nehmen, wenn jemand in einem psychisch labilen Zustand tobend um Aufmerksamkeit suchte, mit Bierdosen warf, mich anschrie. Und fand Strategien, um dem- und derjenigen zu helfen. Die beste bislang: Zuhören, Verständnis zeigen, Lob für das Erreichte bekunden, mitfühlen und fürsorglich, aber manchmal auch streng sein.

Ich bin Journalistin… und hier auch immer wieder Sozialarbeiterin. Das ist erfüllend, wenn ich sehe, dass mein Zuhören und meine Worte etwas bewirken: Wenn mein Gegenüber „runterkommt“, vielleicht sogar lächelt, Argumente annimmt, es ihm oder ihr nach einem Gespräch besser geht. Das kostet aber auch Kraft und manchmal stoße ich an meine Grenzen.

Heute werden wir gelesen. In meiner Anfangszeit habe ich manchmal beobachtet, wie Käufer die Straßenzeitung ungelesen wegwarfen – das schmerzte. Mein erklärtes Ziel als Blatt-Chefin war und ist: Die Menschen sollen die Zeitung nicht nur kaufen, weil sie damit Gutes tun wollen, sondern weil sie Apropos auch gerne lesen. Das bedeutete für mich: keine „Jammergeschichten“ à la „Ich bin so arm und die Welt so böse“, sondern Geschichten, die Probleme aufzeigen und durchaus Hoffnung vermitteln; eine Mischung aus journalistischen und Betroffenen-Texten, die Themen aus einem anderen Blickwinkel zeigen und in dieser Form von anderen Medien nicht aufgegriffen werden. Mittlerweile beobachte ich voller Freude, wie Menschen in Cafés, Bussen oder Zügen, beim Arzt oder beim Friseur in Apropos versunken sind.

Viele wollen für uns schreiben. Unsere Autorinnen und Autoren kommen aus allen Ecken und Enden der Gesellschaft – aus der Wirtschaft, der Kultur, den Medien, der Wissenschaft und dem Sozialbereich. Weil wir sie gesucht oder sie uns gefunden haben. Immer öfter wollen auch Journalisten-Kollegen für Apropos schreiben, weil sie das textliche Umfeld schätzen und hier Artikel veröffentlichen dürfen, die sie in ihrem täglichen Arbeitsumfeld nicht schreiben können. Was Apropos zudem ausmacht, sind die authentischen Beiträge der Schreibwerkstatt, in der wohnungslose, arbeitslose und psychisch kranke AutorInnen ihre Anliegen, Gedanken und Träume formulieren. Diese unglaubliche Vielfalt macht die Arbeit für Apropos so bereichernd.

Karriere Straßenzeitung. In den Anfängen belächelte so mancher Journalistenkollege meine Tätigkeit bei der Straßenzeitung. Mittlerweile höre ich manchmal: „Sag mir Bescheid, wenn du jemals aufhörst – ich hätte gerne deinen Job.“ Und das, obwohl sie bei uns deutlich weniger verdienen würden als im klassischen Medienbereich. Aber sie sehen das, was ich täglich erlebe und schätze: Die Freiheit im Gestalten, das Gefühl, eine sinnvolle Tätigkeit zu machen, das Positive, das zurückkommt. Und sie zollen uns dafür Anerkennung: „Ihr macht eine klasse Zeitung.“ Viele unserer mittlerweile rund 50 PraktikantInnen der Publizistik- und Kommunikationswissenschaften haben ihren Weg im Journalismus gemacht: bei der Kronen Zeitung, den Salzburger Nachrichten oder der Onlineplattform 24.

Kein 9-to-5-Job. Nicht immer ist das Abschalten leicht und nicht immer gelingt es. So kann es schon des Öfteren passieren, dass sich Stichworte zu möglichen Verbesserungen, Schwerpunktthemen, Vernetzungen oder Verkäufern auf einem Taschentuch oder einem Stück Klopapier auf meinem Nachtkästchen wiederfinden. Oder dass mich Verkäufer oder Schreibwerkstatt-Autoren am Feiertag anrufen.

Obdachlosigkeit in Mainstream-Medien … In den vergangenen elf Jahren hat sich die Art und Weise, wie Obdachlosigkeit in den Medien wahrgenommen wird, kaum verändert. Unlängst hätte ich beinahe einen Leserbrief an eine Tageszeitung geschrieben, weil ich mich über einen Bericht über ein Obdachlosenheim in Westösterreich geärgert habe. Der Artikel hat sämtliche Klischees bedient und die Leute wie kleine, unmündige Kinder vorgeführt, dass er nur knapp an einer Verletzung der Menschenwürde vorbeischrammte. Mir ist bewusst, dass es nicht einfach ist, das eingespeicherte klassische Bild vom alkoholisierten „Sandler“ auf der Bank durch ein vielschichtigeres zu ersetzen. Aber man sollte es wenigstens versuchen.

…und in Straßenzeitungen. Straßenzeitungen weltweit arbeiten daran, diesem Bild andere entgegenzusetzen. Das fällt uns natürlich leichter, weil wir täglich mit Menschen zusammenarbeiten, denen es nicht gut geht. Die wenigsten aus unserem Verkaufsteam sind obdachlos, aber alle sind sozial benachteiligt. Daher wählten wir mit unseren beiden Kochbüchern auch den Weg, sie nicht als „arm“ zu präsentieren, sondern als Menschen, die gerne kochen, essen und genießen. Und zu zeigen, dass sie viele Facetten haben. In der Vergangenheit wurden immer wieder Projektideen an Apropos herangetragen, die „Obdachlosigkeit“ als Thema aufgreifen wollten. Ein Findiger schlug uns vor, unsere VerkäuferInnen für ein Fotoprojekt in Business-Kleidung zu stecken und mit Luxusautos posieren zu lassen, um den Kontrast stärker herauszustreichen und die Leute dadurch zum Nachdenken anzuregen. Nicht diskussionswürdig.

Misserfolge & Erfolge. Ein Rechtsstreit um den Namen brachte die ersten Jahre viel Unfrieden und Unsicherheit. „Ich bin gespannt, wie lange es uns noch gibt“, dachte ich mir damals oft. Erst 2003 gab es ein Aufatmen: Wir mussten uns zwar blitzschnell von „Asfalter“ auf „Apropos“ umbenennen, aber dafür war klar: Wir können unsere Energie nun voll auf die Zeitung und das Verkaufsteam richten. Seitdem geht es aufwärts: Die Menschen kennen und kaufen Apropos, sie lesen und schätzen uns. Unsere Auflage liegt heute bei 13.000 Stück monatlich – eine schöne Bestätigung. Auch im internationalen Straßenzeitungsnetzwerk sind wir führend mit dabei. 2008 würdigte der Bundespräsident bei einem Besuch in der Redaktion unsere Zeitung und im März 2009 erhielten Apropos-Redakteurin Anja Keglevic und ich den renommierten René-Marcic-Preis für glaubwürdigen Journalismus und „herausragende journalistische Leistungen.“ Die Salzburger Straßenzeitung gibt es jetzt seit 12 Jahren. Das ist der größte Erfolg für alle, die Apropos ein Gesicht geben.

APROPOS Strassenzeitung für Salzburg >

Text: Mag. Michaela Gründler | Foto: Luigi Caputo

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