Von Lebenskrisen und der Hilflosigkeit des Gegenübers

Geminiden neben der Milchstrasse. Foto: Hermann HermeterOpen Space. Sternenhimmel. Geminiden neben der Milchstrasse. Foto: Hermann Hermeter

In Lebenskrisen trennt sich die Spreu vom Weizen, heißt es, und man erkennt seine wahren FreundInnen. Seit ich die Diagnose Ovarialtumor bekommen habe, erfahre auch ich viel über mein Umfeld. Dabei mache ich wunderbare wie auch sehr schmerzvolle Erfahrungen. Außerdem denke ich nach über die Frage, wieviel Hilflosigkeit beim Gegenüber ich verzeihen muss.

Sonja Schiff

Von Sonja Schiff

Wer kennt nicht Situationen, in denen sie/ er sich unsagbar hilflos gefühlt hat und vor der sie/ er davon gelaufen ist? Ich kann mich an zwei solcher Situationen in meinem Leben erinnern. Für beide habe ich mich von Beginn an geschämt, konnte trotzdem nicht anders, und schäme mich bis heute.

In der ersten Situation war ich eine junge Pflegedirektorin. Eine Mitarbeiterin, Mutter von drei kleinen Kindern, erkrankte an Krebs. Es hätte sich in meiner Funktion gehört, diese kranke Mitarbeiterin zu besuchen. Ganz klar. Ich habe einen Besuch damals aber nicht geschafft, war irgendwie wie gelähmt. Hilflos. Die Mitarbeiterin ist dann auch noch verstorben, als ich gerade auf Urlaub war. Also war ich auch nicht auf ihrem Begräbnis und ehrlich gesagt,  war ich heimlich froh über diesen Zufall. Bis heute schäme ich mich zutiefst für mein Verhalten und in meiner derzeitigen Betroffenheit denke ich sehr, sehr viel an diese Kollegin, die ich damals im Stich gelassen habe.

Die zweite Situation betrifft meine Großmutter. Ich war eine frisch diplomierte Krankenschwester als ich erfuhr, dass meine über alles geliebte Oma dement geworden war. Mehrere Monate lang war ich unfähig sie zu besuchen, konnte den Gedanken nicht ertragen, dass sie sich womöglich nicht an mich erinnern könnte. War hilflos. Auch für dieses Verhalten schäme ich mich bis heute. Meinen Verwandten gegenüber, meiner mittlerweile verstorbenen Oma gegenüber, aber vor allem vor mir selbst.

Heute stehe ich auf der anderen Seite. Ich habe einen Ovarialtumor, warte auf die Operation, auf den histologischen Befund, erlebe eine Lebenskrise voller Angst, rudere um Mut und Zuversicht. Die Menschen in meinem Umfeld zeigen unterschiedliches Verhalten, manches Verhalten überrascht mich positiv, anderes wieder enttäuscht mich,  das Verhalten einer bestimmten Person tut mir auch unendlich weh.

Besonders positiv berührt hat mich etwa unser ungarischer Nachbar, ein sehr einfacher, schüchterner Mann mit großem H…

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Dorfladen

1 Kommentar zu "Von Lebenskrisen und der Hilflosigkeit des Gegenübers"

  1. Liebe Sonja,
    herzlichen Dank für diesen Artikel. Meine Freundin hatte vor über 10 Jahren Brustkrebs und hat das alles gut überstanden. Einzig ihre Ehe ist damals in die Brüche gegangen, ihr damaliger Mann ist mit der Situation nicht fertig geworden. Ihr persönlich hat eine Psychotherapeutin geholfen. Heute ist sie wieder glücklich verheiratet.
    Dir liebe Sonja, auch wenn ich Dich nicht persönlich kenne, wünsche ich alles Gute!
    Raphaela

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