Schmerzlich vermisst: Höflichkeit, Respekt und ein ehrliches Lächeln

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Unhöflichkeiten an der Supermarktkasse, der Shitstorm auf Twitter und der Artikel mit der gesperrten Kommentarfunktion. Was ist bloß los? Ist uns die Höflichkeit abhanden gekommen?

Muttis Nähkästchen

Von Birgit Strohmeier

Brennpunkt Supermarktkasse

Die Supermarktkasse scheint ein Brennpunkt der zwischenmenschlichen Eskalation zu sein. Wir hatten ja schonmal so eine „herzallerliebste“ Begegnung an der Kasse: Jetzt weiß ich, warum es so viele gestörte Kinder gibt … Und vor ein paar Wochen dann das:

An der Supermarktkasse, lange Schlange, alle legen eifrig auf’s Förderband – auch mein Sohn (8). Vor uns eine Mutter mit Kind, 4-5 Jahre. Ich denk mir nix, tu was ich immer tu: Platzsparend auflegen, warten bis wir an der Reihe sind. Auf einmal klascht mir die Mutter vor mir ohne Vorwarnung ins Gesicht: „Von Privatsphäre halten Sie aber gar nix!“ Ähm … Ich falle aus allen Wolken, weiß nicht, was ich falsch gemacht hätte … „Hoppala, was habe ich getan?“ Darauf sie: „Sie stehen zu knapp hinter mir, schon die ganze Zeit – das tut man nicht!“ Oh … Sohnemann steht zwischen uns, hat eifrig mitgeholfen beim Auflegen. Ist er das Problem? Ich kann erst gar nix antworten, bin mir keiner Schuld bewusst. Schließlich erwidere ich, denn ich habe aus meiner ersten „Kassenbegegnung“ (siehe oben) gelernt: „Verzeihung, aber ich bin mir keiner Schuld bewusst. Ich respektiere ihr Bedürfnis nach mehr Abstand gerne. Aber bitte respektieren Sie mein Bedürfnis nach mehr Höflichkeit. Denn das hätten sie mir auch anders sagen können.“ (Ich klopf mir ja insgeheim immer noch auf die Schulter für diese besonnene Reaktion …) Sie rauscht beleidigt ab.

Im Anschluss hab ich mich übrigens noch bei der Kassiererin erkundigt, ob ich denn wirklich zu aufdringlich war. Sie verneinte, konnte an der Situation nix Ungewöhnliches und nix Verwerfliches erkennen. Auch mein Mann war dabei. Auch er war sprachlos – leider im wahrsten Sinne des Wortes.

Weh tut es trotzdem.

Ist Höflichkeit sowas von gestern?

Damit bin ich nicht allein …

„Generell ist eine Verrohung unserer Gesellschaft zu bemerken, die von den Sozialen Medien in das reale Leben herüberschwappt.“ Das sagt der deutsche Publizist und Ethik-Experte Rainer Ehrlinger in der aktuellen Welt der Frau. Er hat ein neues Buch über Höflichkeit geschrieben: Höflichkeit. Vom Wert einer wertlosen Tugend. Und seiner Meinung nach ist diese Tugend heute in keinem guten Zustand mehr. Die sprachliche Verrohung im Internet sei eine Art Trockenübung, bei der man Umgangsformen vergisst. Schließlich entsteht der Eindruck, dass es normal ist, andere Leute anzupöbeln. Und Derbheit und Lautstärke steigen mit der Frustration.

Ganz wichtig: „Höflich zu sein bedeutet nicht, auf seine eigene Position zu verzichten. Sondern lediglich, sie in einer zivilisierten Form zu vertreten, die den anderen respektiert und nicht verletzt.“

Tja – tatsächlich. Das ist Mangelware.
Das zeigen auch diese Beispiele:
Trolle, Shitstorms und verbohrte Rechthaber

Vor kurzem wurde dieser Artikel: Homöopathie bei Autismus: Erfahrungsbericht ein Jahr danach auf Twitter als Bullshit bezeichnet und zum Boykott meiner Seite aufgerufen. Von einer Seite, auf der Autisten über Autismus aufklären. Und ich frage mich: Warum?

Warum können sich andere Menschen nicht einfach für uns freuen? Dass wir mit Bravur die Kurve gekratzt haben, dass das Kind nun statt in die Sonderschule aufs Gymnasium geht! Dass er wieder offener und fröhlicher ist, dass er mit seiner Umwelt besser zurecht kommt? Dass es uns allen besser geht? Nein, alles pauschal Bullshit – weil wir einen Weg gegangen sind, der nicht in jedermans Weltbild passt?

Dabei bekommen ich unter anderem gerade für diesen Artikel so viele dankbare Rückmeldungen von anderen betroffenen Eltern. Aber in Autistenkreisen ist man fixiert darauf, dass man Autismus nicht heilen kann. Und jeder Versuch sei eine Beleidigung für die Autist*innen.
Das ist auch durchaus verständlich – wer will schon, dass andere an der eigenen Persönlichkeit herumdoktern? Auch mein Sohn wird immer besonders bleiben – er ist nicht „geheilt“, aber er kommt jetzt viel besser mit anderen Leuten zurecht. Und ganz ehrlich? Hätte ich einfach zuschauen, mit den Schultern zucken und ihn – trotz überdurchschnittlicher Intelligenz – in die Sonderschule gehen lassen sollen? Hätte ich ihm damit nicht die Zukunft verbaut? (Er geht jetzt ins Gymnasium – und er ist dort vollkommen richtig!)

Aber:
Weh tut es trotzdem.

Kann nicht sein, darf nicht sein – Basta! Abgeurteilt.

So ähnlich ging es mir bereits vor Jahren, als ich dieses Buch hier am Blog rezensiert habe: Medizin zum Aufmalen – Neue Homöopathie für Kinder. Ja, ich steh dazu. Und finde es bedeutend besser, erst einmal so einen Weg zu probieren, ehe ich meine Kinder mit Chemie vollstopfe. Und gar nicht selten können wir uns dadurch Medikamente komplett sparen. (Gerade seit ich immer mehr Details über vermeintlich harmlose Schmerzmittel gelesen habe, finde ich das noch wichtiger.)

Ich akzeptiere es voll und ganz, dass andere Leute andere Meinungen haben. Ich glaube, ich habe das auch bei meinen Antworten auf einzelne Kommentare so ganz gut dargestellt. Einziger Wunsch wäre halt gewesen, dass andere Leute, meine Meinung umgekehrt auch akzeptieren – und einen eben nicht von vorne herein abkanzeln.
Als es mir dann Schritt für Schritt zu bunt wurde und die Argumente zu sehr unter die Gürtellinie rutschten, habe ich die Kommentar-Funktion für diesen Artikel deaktiviert.

Und auch hier gilt: Trotz aller Contenance …
Weh tut es trotzdem!

Ausweg und Neujahrsvorsatz

Sollte nicht auf einen Neujahrvorsatz reduziert werden! 🙂 KTraintinger
Ehrlinger empfiehlt allen, die Wert auf Höflichkeit legen: Selbst höflich sein.
Und über Unhöflichkeiten anderer höflich hinwegsehen.
Im Extremfall einen unhöflichen Menschen auf seine Unhöflichkeit aufmerksam machen. Und höflich, aber bestimmt sagen, dass man sich das verbittet.

Darum:
Mein Neujahrsvorsatz lautet: Mehr Lächeln. Darüber hab ich bisher nicht geschrieben, weil’s mir einfach zu banal vorgekommen ist. Aber ich musste erkennen: Es ist ganz und gar nicht banal. Diese Welt braucht mehr davon!
Don’t forget to smile!
Das einzige Urteil können nur die Betroffenen selbst treffen

Das letztendliche Urteil wird wohl mein eigenes Kind fällen. Ob wir richtig gehandelt haben oder nicht, kann am Ende nur er alleine beurteilen.
(Oder vielleicht nichtmal das …)
Wer kann schon wirklich beurteilen, was richtig ist und was falsch. Gibt es das überhaupt?

Ich kann für mich jedenfalls behaupten: Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Wir haben nichts unversucht lassen und geleichzeitig die Integrität unseres Sohnes nicht angegriffen. (Wie denn auch? Mit 5 Kügelchen? Da werden mir wohl die militantesten Homöopathie-Gegner nicht widersprechen können.)

Hier sieht man wieder: Eltern sein ist nicht leicht.
Und alles richtig machen – in den Augen ALLER Mitmenschen – geht schon gar nicht.

Try walking in my shoes!
Aber geht doch erst mal einen Tag in unseren Schuhen, ehe ihr voreingenommen urteilt!

Dieser Beitrag wurde erstmals am 5. 2. 2017 auf Muttis Nähkästchen, dem Familien-Blog von Birgit Strohmeier veröffentlicht.

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Dorfladen

1 Kommentar zu "Schmerzlich vermisst: Höflichkeit, Respekt und ein ehrliches Lächeln"

  1. Nur dumme Menschen/ Eltern bringen ihnen Kindern keine guten Manieren bei. Sie werden es immer schwer im Leben haben. Das fängt bei schlechten Tischmanieren an und hört beim Nicht-Grüssen auf. Arme Würstchen.

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