In der letzten Eiszeit reichten die Ausläufer des Salzachgletschers weit ins Voralpenland bis ins oberösterreichische Innviertel. Vor rund 12.000 Jahren begann eine wärmere Epoche, die Gletscherzungen zogen sich zurück und hinterließen einen gewaltigen See.
Von Wolfgang Bauer
Die Wassermassen suchten sich einen Ablauf über Salzach und Inn in die Donau. In den Senken aber blieben flache Seen und Sümpfe zurück. Durch Torfmoose wuchsen die Gewässer nach und nach von den Rändern her zu und im Laufe der Jahrtausende bildete sich eine dicke Torfschicht. Das Bürmooser Moor, das Weidmoos und das Ibmer Moor bildeten das größte zusammenhängende Moorgebiet Österreichs mit rund 2.000 Hektar.
Bild 1: Ein riesiges Moorgebiet dehnte sich vom Salzburger Flachgau bis ins Innviertel aus
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts begann man diese enormen Torfvorräte im Bürmooser Moor auszubeuten. Die bis zu 9 Meter mächtigen Torfschichten bildeten gewaltige Energievorräte, die man nutzen wollte. Die ersten Versuche schlugen allerdings fehl und die Firmen gingen in Konkurs. Im Jahr 1872 wurde die erste Glasfabrik gegründet, die aber ebenfalls nach 6 Jahren wegen technischer und organisatorischer Schwierigkeiten in Konkurs ging.
Im Jahr 1882 kaufte dann der jüdische Unternehmer Ignaz Glaser aus Prag die Konkursmasse, erneuerte die Glasöfen und hatte schließlich Erfolg. Die Glasöfen wurden dabei nicht mit Holz oder Kohle beheizt, sondern mit Torf. Durch das Verbrennen bringt aber der Torf nicht die benötigte Hitze für den Schmelzvorgang von rund 1500 Grad, sondern er muss vergast werden und erst das Gas erzeugt die nötige Hitze.
Die Glasarbeiter warb Ignaz Glaser in Böhmen an, bevorzugt im Böhmerwald. Aber es arbeiteten auch Glasarbeiter aus der Schweiz, dem Saarland, Russisch-Polen, Ungarn, Slowenien oder Serbien. Praktisch die ganze k.k. Monarchie Österreich-Ungarn war vertreten.
Die Torfstecher kamen ebenfalls aus dem Böhmerwald, dem oberösterreichischen Mühlviertel um Schwarzenberg, vor allem aber aus Norditalien, ebenso wie die Ziegelbrenner am Ringofen der 1896 neu errichteten Ziegelei. Dies waren allerdings Saisonarbeiten – die Arbeiter kehrten im Herbst wieder in ihre Dörfer zurück. Nur wenige Familien siedelten sich im Lauf der Zeit hier an.
In Bürmoos wurde nur Tafelglas (Fenster- und Spiegelglas) erzeugt. Die Fabrik war um 1900 eine der größten in Mitteleuropa. Für die Öfen der Glasfabrik, zum Betrieb der Ziegelei und für die Beheizung der Wohnungen und der Küchenöfen benötigte man enorme Mengen an Torf. Allein im Jahr 1900 wurden 100.000 m3 Torf gestochen, der mittels einer Schmalspurbahn (Bockerlbahn) in den Ort und zu den Fabriken gefahren wurde. Nach heutigen Maßstäben eine gewaltige Umweltzerstörung.
Durch den guten Geschäftsgang konnte Ignaz Glaser im Jahr 1900 auch das Gut Ibm im Innviertel mit einer Burgruine und riesigen Moorflächen am anderen Ende des Moorkomplexes erwerben. Er errichtete hier, ebenso wie in Bürmoos, eine Ökonomie und baute Hopfen an. In Hackenbuch, inmitten des Moores, errichtete er eine weitere Glasfabrik (Emmyhütte).
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Bild 2: Die Glasbläser von Bürmoos – ältere Männer sind wenige dabei
Die Glasarbeiter holte sich Glaser, wie schon erwähnt, aus allen Teilen der Monarchie zusammen. Anfangs herrschte große Wohnungsnot. Die zuerst errichteten „Reihenhäuser“ hat-ten pro Wohnung eine Wohnfläche von 22 m2. Darin mussten die oft vielköpfigen Familien hausen. Später errichtete Wohnblocks brachten es dann auf bis zu 44 m2. Ein Platz für eine Hütte und einen kleinen Gemüsegarten war bei jeder Wohnung dabei. In der Hütte mussten nicht nur die Torfstecherwerkzeuge inkl. eines Radlbockes untergebracht werden, sondern auch eine Badewanne oder ein Zuber und ein Leiterwägelchen. Fast jede Familie hatte die für Bürmoos typischen Gänse (auch im Gemeindewappen), eventuell auch eine Geiß (Ziege) oder ein Schwein. Auch das Futter für die Tiere musste in der Hütte Platz haben. Später kam oft noch ein Fahrrad dazu. Der sich nur knapp über das Niveau des Moores erhebende Hügel des Ortszentrums erlaubte wegen des hohen Grundwasserspiegels nur beim „Herrenhaus“ und beim „Hüttenwirtshaus“, auf dem höchsten Punkt gelegen, einen Keller.
Bild 3: Gänse beherrschten das Straßenbild von Bürmoos
Um die hochspezialisierten und sehr mobilen Glasmacher zu halten, musste der Fabriksherr einiges anbieten. So war die Wohnung gratis, ebenso das Heizmaterial Torf. Die Fabriksarbeiter hatten auch schon eine Krankenversicherung, in die sie nur 2% des Verdienstes einzahlen mussten. Generell verdienten die Glasmacher gut. Ein Arbeitsbuch aus 1901 von Adolf Schmalzl zeigt einen Verdienst des Glasbläsers von über 200 Kronen monatlich, das war mehr, als Bauernknechte in einem Jahr bekamen.
Bei der Errichtung der späteren Wohnblocks wie dem „Bahnhofhaus“ achtete der Fabriksherr allerdings wenig auf Gemeindegrenzen. Der Ort wurde nämlich beiderseits der sehr verwinkelt verlaufenden Grenze zwischen den Gemeinden Lamprechtshausen und St. Georgen bei Salzburg errichtet. Dabei ergab sich die kuriose Situation, dass beim Bahnhofhaus die Grenze quer durch das Haus ging und sogar mitten durch die Wohnungen. Die Familien wohnten in der Küche in St. Georgen und schliefen in Lamprechtshausen.
Bild 04 Beim „Bahnhofhaus“ ging die Gemeindegrenze quer durch das Haus
Generell war die Zukunftsvorsorge bei den Glasmachern nicht sehr ausgeprägt, wussten Sie doch um die ihre geringe Lebenserwartung. In einer neuen, noch nicht veröffentlichten, Untersuchung konnte ich aufzeigen, dass die bisher geschätzte Lebenserwartung von 42 Jahren zu hoch gegriffen war. Im Durchschnitt starben Glasmacher (Glasbläser, Glasstrecker, Schmelzer, Hafenmacher, Glasschneider, Schürer=Heizer) im Alter von 39,3 Jahren, während die bäuerliche Bevölkerung in den beiden Stammgemeinden durchschnittlich 53,7 Jahre alt wurde. Bei einem durchschnittlichen Heiratsalter von 28,5 Jahren bei den Männern und 25 Jahren bei den Frauen hatten sie kaum eine Chance, die Großjährigkeit ihrer Kinder zu erleben.
Todesursache waren bei fast 60% der Männer Lungentuberkulose und andere Lungenerkrankungen. Die Weitergabe der Glasbläserpfeife an die Arbeitskollegen bei den Glasmachern, die Hitze und der Gasaustritt am Ofen, der Staub des Gemenges (Grundstoffe) beim Mischen, das Befüllen der Glashafen (Schmelztiegel) und der Staub bei den Hafenmachern waren die Ursache. Dazu kamen die beengten Wohnverhältnisse und die ungenügenden hygienischen Zustände, durch die dann die Krankheit auch auf die ganze Familie übertragen wurde.
Bei den Kindern betrug die Kindersterblichkeit unter 14 Jahren rund 25%, wobei man feststellen kann, dass jene, die das erste Lebensjahr überlebten, gute Chancen hatten, das Erwachsenenalter zu erreichen. Dies betrifft sowohl eheliche wie uneheliche Kinder. Es wurden in Bürmoos weit weniger uneheliche Geburten registriert als bei der bäuerlichen Bevölkerung, davon wurden wiederum mehr als 40 % in den nächsten Jahren als ehelich aner-kannt. Dieser Wert erreicht bei den Bauern und Bürgern nicht einmal die Hälfte.
Bei den Arbeiten war mein Archiv mit der Ahnenforschung mit mittlerweile 23.000 Namen sehr hilfreich. Bei diesen Leuten aus dem Moor gab man sich bei den Eintragungen in die Matrikenbücher nicht allzuviel Mühe. Die Namen und Herkunftsorte wurden oft verstümmelt oder in Lautschrift geschrieben oder tschechische Namen eingedeutscht. Auch bei den Adressen begnügte man sich oft mit „Bürmoos“. Starben Kinder waren manchmal nicht einmal die Namen der Eltern eingetragen. Bei den vielen Familien gleichen Namens eine zusätzliche Erschwernis.
Bild 5: Pfarrer und Kooperatoren hatten oft Schwierigkeiten mit tschechischen Namen
War die Zukunftsvorsorge bei den Arbeitern auch nicht besonders ausgeprägt, so gab es doch immerhin in der nächsten Umgebung des Ortes über 25 Bauernhöfe, die zwischen 2 und 4 Kühe besaßen, manche sogar mehr. Diese Bauern betrieben ihre Sölden im Nebenerwerb neben der Arbeit in der Fabrik oder auf den Torffeldern. Meist reichte es zur Selbstversorgung der Familie, teilweise auch zum Verkauf von Milch oder Erdäpfeln (Kartoffeln). Besonders letztere gediehen vorzüglich in der torfhaltigen Erde. Oft waren diese Bauern auch schon in den Herkunftsgebieten in der Landwirtschaft tätig gewesen.
Diese Herkunftsorte und Namen sind für die Kenner des Böhmerwaldes sehr vertraut. Wenn man die Grabsteine der Friedhöfe ansieht oder in die Pfarrmatriken von Obermoldau/Horni Vltavice, Außergefild/Kvilda, Buchwald/Bucina, Kaltenbach/Nove Hute oder Neugebäu/Novy Svet liest und dann diejenigen von Bürmoos, so findet man viele gleiche Namen. Zeitweise hat man den Eindruck, dass manche Gemeinden im Böhmerwald in den 1880-1900er Jahren fast entvölkert gewesen sein müssen. Einiges darüber habe ich in meinem Buch „Es begann im Böhmerwald“ geschrieben.
Durch die guten Verdienstmöglichkeiten in Bürmoos versäumten es viele Familien aber, sich in der neuen Heimat um das Heimatrecht zu bewerben. Auf dieses hatte man nach 10 Jahren in der neuen Gemeinde ein Anrecht. Es verpflichtete die Gemeinde, jene, die das Heimatrecht besaßen, zu unterstützen, wenn sie in Not gerieten.
Bild 6: Der Heimatschein war ein wichtiges Dokument
Das Problem war, dass die Familien öfters innerhalb des Ortes die Wohnung wechselten und dabei in der anderen Gemeinde landeten. Oder sie wurden in der Glashütte in Hackenbuch gebraucht. Dann begann die Wartezeit für die 10 Jahre wieder bei Null.
Diese Unterstützungen für Heimatberechtigte durch die Gemeinde waren meistens mehr als ungenügend. Bei den nicht Heimatberechtigten traf der Bann der Gemeinde immer auch die gesamte Familie.
Einige Beispiele:
Der Witwe K., die das Heimatrecht besaß und deren aus Schüttenhofen/Susice stammender Mann Selbstmord verübt hatte, erhielt 1912 für vier Minderjährige ihrer noch lebenden 10 Kinder je 4 Kronen monatlich. Da blieb wohl nur betteln gehen um zu überleben.
Bild 7: Unterstützung der Gemeinde für die Witwe Kopelent
Die Witwe Theresa Hirsch aus Bürmoos wurde 1905 wegen gänzlicher Subsistenzlosigkeit und wiederholter Inanspruchnahme der öffentlichen Armenpflege aus dem Gemeindegebiet ausgewiesen.
Bild 8: Ausweisung der Witwe Hirsch wegen gänzlicher Subsistenzlosigkeit und wiederhol-ter Inanspruchnahme der öffentlichen Armenpflege
Konnte jemand nicht mehr arbeiten, so wurde er als Einleger von einem Bauern zum anderen weitergereicht, je nach Größe des Hofes verschieden lang. Wenn es ein Armenhaus gab, so wurden die Leute dort untergebracht. Ein solches gab es aber in beiden Gemeinden nicht, auch nicht in Bürmoos, wo der Fabriksherr dafür aufkommen hätte müssen. Dieses Armenhaus war geplant, wurde aber nie gebaut. Die Leute durften bei Verarmung aber weiterhin in ihren Wohnungen bleiben.
Ignaz Glaser setzte sich sonst immer für seine Leute ein und vertrat „seinen“ Ort bei den Obrigkeiten. Es gab ja laufend Reibereien. Zu unterschiedlich war die Lebensweise auf den seit Jahrhunderten bestehenden Bauernhöfen und den eher leichtlebigen Industriearbeitern. Die Bauern nannten sie „Moosgfrast“ und die Arbeiter konterten mit „Gscherte“.
Bild 9: Ignaz Glaser, Glasfabriksbesitzer und Patriarch der Siedlung im Moor
Schlimm wurde es für jene, die kein Heimatrecht besaßen, wenn sie invalide wurden, der Familienvater starb oder jemand straffällig wurde. Sogar Raufereien oder kleine Diebstähle genügten da schon.
Sie wurden per Gemeindeausschuss-Beschluß der Gemeinde verwiesen und mußten notfalls in ihre Herkunftsgemeinden zurückwandern:
Adam K., abgestraft „wegen Majestätsbeleidigung, Wachebeleidigung, Betteln und Land-streicherei, letzthin in gerichtliche Untersuchung gezogen wegen Diebstahl“, wurde samt Familie 1906 aus dem Gemeindegebiet ausgewiesen.
Oft war dies Jahrzehnte nach ihrer Auswanderung oder die Kinder hatten noch nie etwas von diesen Herkunftsorten gehört. Daß die nicht gerade wohlhabenden Gemeinden z. B. im Böhmerwald keine Freude mit diesen Rückkehrern hatten, versteht sich von selbst.
Witwen, oft noch mit kleinen Kindern suchten sich möglichst schnell einen neuen Mann, oft einen Witwer, der selbst noch kleine Kinder hatte. Andere wieder wechselten die Gemeinde, ohne den Ort oder den Arbeitgeber verlassen zu müssen. Einige der ausgewiesenen Familien findet man heute noch hier.
Als sich das Ende des Torfvorrates auf den Gründen des Ignaz Glaser abzeichnete, kaufte dieser 1913 in Brüx/Most in Nordböhmen eine stillgelegte Zucker-Fabrik und verlegte das Hauptwerk der Glashütte dorthin. Dort gab es als Energielieferant Kohle, die im Tagebau gewonnen wurde. Da war man witterungsunabhängig, während es in Bürmoos in verregneten Sommern oft Probleme gegeben hatte, weil man zuwenig trockenen Torf einfahren konnte und als Ersatz Holz kaufen musste.
Zwar lief die Glasproduktion in Bürmoos weiter, viele der guten Glasmacher hatte man jedoch zu einen Umzug nach Brüx bewegen können. Das bedeutete für den Ort einen bedeu-tenden Rückgang der Bevölkerungszahl. Ein Jahr später aber war sowieso alles anders: Der Erste Weltkrieg begann, viele der Männer wurden eingezogen und die Glashütte, die Ziegelei und die Torfstecherei in großem Umfang wurden stillgelegt. Die verbliebenen, meist alten, Männer durften mit Frauen und größeren Kindern, oft für mehrere Familien, den nötigen Torf für Heizung und Kochen auf Firmengrund stechen. Jedes Stück Garten wurde für den Anbau von Gemüse und Kartoffeln genutzt.
In den jetzt leerstehenden Baracken der Torfstecher und Ziegelarbeiter wurden Internierte Personen aus russisch-Polen untergebracht, hauptsächlich wohl Frauen und alte Männer. In diesen zugigen Baracken brachten vier Frauen von Oktober bis Dezember 1914 ihre Kinder zur Welt. Sie waren so arm, dass bei zwei Kindern die Hebamme als Patin fungierte. Dann verliert sich die Spur dieser Leute, sie werden in andere Lager verlegt worden sein.
Danach kamen galizische Juden in die Baracken. Sie hatten kaum genug zu essen und bettel-ten in der Umgebung. Auch sie wurde bald in andere Lager verlegt.
Im Mai 1915, nach dem Eintritt Italiens in den Krieg gegen die Mittelmächte trafen überra-schend über 300 Flüchtlinge aus dem Trentino ein, dem südlichsten, italienischsprachigen Teil von Südtirol. Der größte Teil kam aus Trambilleno in der Nähe des Nordufers des Gardasees, wo die Front verlief. Rasch mussten Notquartiere organisiert werden. Erst nach und nach konnte ein Teil der Leute auf die umliegenden Gemeinden verteilt werden. Sie erhielten von der Kirche und von Bauern kleine Grundstücke, wo sie selbst etwas anbauen durften. Nach Kriegsende kehrten alle wieder in ihre Bergdörfer zurück.
Bild 11: Russische Kriegsgefangene werden beim Torfstechen eingesetzt
Ebenfalls im Mai 1915 kamen die ersten russischen Kriegsgefangenen. Sie wurden bei den Bauern in St. Georgen und Lamprechtshausen verteilt, um die eingerückten Männer als Arbeitskräfte zu ersetzen. Nach und nach ersetzten einige von ihnen aber nicht nur die an der Front stehenden Ehemänner und Verlobten bei der Arbeit, sondern auch in den Betten von Bäuerinnen und Mägden, wie der Dechant von St. Georgen in seinen Aufzeichnungen missbilligend feststellte. Bürmoos hatte in diesem Krieg nach dem Wegzug von Glasmacherfamilien nach Brüx nochmals einen gewaltigen Aderlass an Gefallenen zu verkraften.
Diesen Abschnitt der Geschichte habe ich in einem Bändchen mit dem Titel „Flüchtlinge, Internierte und Kriegsgefangene 1914 – 1918 im nordwestlichen Flachgau“ beschrieben.
Während des Krieges, im Jahr 1916, starb Ignaz Glaser, der Patriarch dieses Imperiums im Moor. Sein einziger Sohn Dr. Hermann Glaser übernahm die Leitung der Betriebe. Nach dem Krieg wurden die Firmen wieder in Gang gesetzt. Durch die Ausbesserung der Kriegsschäden gab es eine kurze Hochblüte des Geschäftes mit Glas und Ziegeln. Anfang der zwanziger Jahre kaufte Hermann Glaser noch eine große Fläche Moorgrund dazu. Die Schwierigkeit der Glashütte war jedoch, dass jetzt in verschiedenen Staaten produziert wurde. Der Hauptsitz war in der Tschechoslowakei, die restlichen Öfen in dem kleinen Restösterreich, dem die riesigen Absatzmärkte der Habsburger k.k. Monarchie fehlten. Dazu kam die technische Entwicklung bei der Tafelglasproduktion. Die gutverdienenden Glasbläser wurden in modernen Fabriken durch Maschinen ersetzt, die ein vielfaches an Glas mit weit weniger Arbeitern erzeugen konnten.
Bild 12: Die Glashütte von Bürmoos um 1900
Diese Entwicklung hatte man verschlafen. Die Firma kam in finanzielle Schwierigkeiten und mußte 1926 Konkurs anmelden. Ein Konkurrent kaufte die Glasfabrik und betrieb sie weiter bis Ende 1929. Dann war endgültig Schluß mit der Glasproduktion.
Mit einem Schlag herrschte in Bürmoos eine Arbeitslosigkeit von 80 Prozent. Arbeiten bei anderen Glashütten gab es kaum. Die 1930er Jahre waren eine Katastrophe. Die einst so stolzen Glasmacher mussten sich als Arbeiter beim Bau der Großglockner-Hochalpenstraße verdingen, beim Autobahnbau in Bayern arbeiten oder sonstige Taglöhnerarbeiten suchen. Die Familien pflückten im Sommer und Herbst Beeren, suchten Schwämme, die Männer gingen in mondhellen Nächten wildern oder schwarzfischen. Sie konnten auch auf Landes-grund Torf stechen und diesen verkaufen, mussten aber ein Drittel davon dem Land abliefern.
Die Arbeitslosigkeit war dann schlagartig vorbei, als der „Führer“ die Österreicher heim ins Reich holte. Seinem Größenwahn waren bis 1945 80 Bürmooser Soldaten zum Opfer gefallen.
Bild 13: Das Herrenhaus mit Büros der Glashütte (re.) und das frühere Hüttenkaufhaus (li.) das heute das „Torf- Glas- Ziegelmuseum“ beherbergt
Auch aus der großen Sippe des früheren Glasfabrikbesitzers hatten nur wenige überlebt. Dr. Hermann Glaser war schon in ein KZ eingeliefert worden, kam durch Glück aber nochmals frei und konnte mit dem letzten Schiff nach Shanghai fliehen. Seiner Frau mit den drei Kindern war vorher schon die Flucht über England nach Amerika geglückt. Im Jahr 2014 gelang es mir, durch das Internet und mit Hilfe von Dr. Gert Kerschbaumer, mit den Enkeln Hermann Glasers Kontakt aufzunehmen. 2016 besuchten sechs dieser Nachkommen Bürmoos und wurden mit der Geschichte ihrer Vorfahren bekannt gemacht.
Von den übrigen Verwandten der Glaser Familie überlebten nur wenige das „Tausendjährige Reich“. Sie wurden von den Nazis gnadenlos in den KZs ermordet. Nur einer entkam durch den Eintrag in „Schindlers Liste“ (verfilmt von Steven Spielberg).
Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es mit dem Ort Bürmoos langsam wieder aufwärts. Es entstanden neue Arbeitsplätze und durch viel Nachbarschaftshilfe bauten sich viele Familien ein eigenes Häuschen. Probleme zwischen den zwei Gemeinden gab es aber immer dann, wenn Geld in den zweigeteilten Ort zu investieren war. Ob bei Kindergarten, Friedhof oder Schule, man wollte möglichst wenig dafür ausgeben.
Bild 14: Bürmoos 1964 kurz vor der Gemeindegründung
Als dann aber die schnell wachsende, überwiegend rot (sozialdemorkratisch) wählende Bürmooser Bevölkerung bewirkte, dass nach der Wahl 1964 in beiden Gemeinden erstmals ein roter Bürgermeister aus Bürmoos gewählt wurde, handelte die schwarz (konservativ) dominierte Landesregierung. Mit 1. Juli 1967 wurde eine eigene Gemeinde Bürmoos gegründet. Die Gemeindefläche sollte nicht ganz 7 km2 betragen, zusammengesetzt aus Teilen der vier Katastralgemeinden (= Steuergemeinden) St. Georgen, Holzhausen, Lamprechtshausen und Arnsdorf. Sie bestand praktisch nur aus dem Ort selbst und dem umgebenden Natur-raum, hauptsächlich Moorgrund.
In diesem Arnsdorf wurde übrigens vor genau 200 Jahren das heute weltberühmte Weihnachtslied „Stille Nacht, heilige Nacht“ komponiert. Im Schulhaus neben der Wallfahrtskirche „Maria im Mösl“ in Arnsdorf lebte und arbeitete der Lehrer Franz Xaver Gruber, der die Melodie für seinen Freund Joseph Mohr in dem 2 km entfernten Oberndorf schrieb, der den Text verfasst hatte. Das Lied für zwei Singstimmen und Gitarre wurde 1818 in der Pfarrkir-che St. Nikolaus in Oberndorf von den Beiden uraufgeführt.
Wider erwarten entwickelte sich die jüngste Gemeinde des Landes Salzburg prächtig. Industrie und Gewerbebetriebe siedelten sich an. Der Torf wurde weiterhin in großem Umfang abgebaut. Riesige Maschinen frästen ihn ab und im Torfwerk wurde er zu Dünger und Gar-tenerde verarbeitet. Erst im Jahr 2000 wurde der Abbau endgültig eingestellt. Ein Verein bemühte sich um die Renaturierung der Flächen und war so erfolgreich, dass ein großer Teil inzwischen zum Naturschutzgebiet erklärt worden ist. Ursprüngliches Moor gibt es allerdings nur mehr auf kleinen Flächen am Rande der Abbaugebiete.
Bild 15: Mit riesigen Maschinen wird der abgefräste Torf zusammengeschoben
Die Nachkommen der Glasmacher, Ziegelbrenner, Torfstecher und die vielen Zugezogenen leben heute in einer modernen Industriegemeinde mit viel Naturraum und einem Badesee, entstanden aus den Lehmgruben, aus denen die Ziegelei den Rohstoff entnahm. Unter den rund 5000 Einwohnern befinden sich Menschen aus 42 Nationen. Es ist trotz vieler Widrig-keiten eine Erfolgsgeschichte an gelebter Integration.
Bild 16: Das abgebaute Moorgebiet ist heute Naturschutzgebiet
Wer sich noch näher informieren möchte, kann sich die Ortschronik vom Gemeindeamt Bürmoos senden lassen:
Wolfgang Bauer – Reinhard Kaiser „50 Jahre Bürmoos – das Glasbläserdorf im Moor 1967 -2017“ Preis € 20.– plus Porto.
Die DVD „Die Glasbläser von Bürmoos“ kann direkt beim Autor bestellt werden E 15.– plus Porto.
Das Büchlein „Flüchtlinge, Internierte und Kriegsgefangene 1914 – 1918 im nordwestlichen Flachgau“ gibt es ebenfalls beim Autor für € 6.– plus Porto
Wolfgang Bauer
Julius Fritschegasse 29
5111 Bürmoos
Österreich
Mail: wolfgang1.bauer@aon.at
Sehr interrssanter, toller Bericht über die Glasmacher! Bin in Lamprechtshausen aufgewachsen, das Moor und seine Geschichte hat mich schon immer gasziniert.