Basierend auf Shakespeares Tragödie schuf der junge brasilianische Ballettchef Reginaldo Oliveira sein erstes abendfüllendes Handlungsballett für das Salzburger Landestheater.

Von Elisabeth Pichler
Die charakterstarken und komplexen Figuren des Dramas scheinen wie geschaffen zu sein für eine tänzerische Umsetzung. Das Premierenpublikum bedankte sich am 3. November 2018 mit Standing Ovations für einen großartigen, intensiven Theaterabend.
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Der Migrant Othello hat es geschafft, karrieremäßig und privat. Dass sich die schöne, von vielen begehrte Desdemona für ihn entschieden hat, gefällt nicht allen. Die abfälligen, schiefen Blicke, die das junge Liebespaar auf sich zieht, sprechen Bände. Als Othello seinen Fähnrich Jago bei einer Beförderung übergeht, will sich dieser für diese vermeintliche Ungerechtigkeit rächen. Mit geschickten Intrigen weckt er Othellos Eifersucht und treibt ihn schließlich zum Mord an seiner Frau.

Nachdem Flavio Salamanka und Márcia Jaqueline als klassisches Traumpaar in „Cinderella“ und im „Nussknacker“ mit Happy End das Salzburger Publikum begeisterten, sind diesmal andere Gefühle gefragt: wilde Eifersucht, Wut und Hass bei Flavio als Othello sowie Unverständnis, Furcht und Angst bei Márcia als Desdemona. Vom grandiosen Liebes-Pas-de-deux zu Beginn bis zum tragischen Finale wird ihr Wechselbad der Gefühle, verstärkt durch eine intensive musikalische Untermalung, klar und deutlich sichtbar.

Schon während der Hochzeitszeremonie kriecht Jago (Iure de Castro) wie ein lästiges Ungeziefer unter der Schleppe der Braut hervor, um Rodrigo (Pedro Pires) für seine Intrigen zu gewinnen. Beim großen Maskenball provoziert dieser daher den betrunkenen Cassio (Lúcio Kalbusch), was zu dessen Degradierung führt. Jagos Ehefrau Emilia (Larissa Mota) hat es nicht leicht mit ihrem eitlen Mann, der sich zu Hause als Macho aufspielt. Faszinierend die klar choreografierten Ensemble-Szenen, in denen sich die Herren im eleganten, militärischen Stechschritt fortbewegen, bevor sie gemeinsam mit der weiblichen Dienerschaft gekonnt Stühle und Tische kippen lassen.

Dass diese Verbindung nicht gutgehen kann, haben sie alle schon geahnt. Und sie sollten Recht behalten, denn nach der Pause liegt die stabile Mauer, die bisher von allen Seiten bespielt wurde, in Trümmern. Nach dem Mord stolpert der verzweifelte Othello, den Leichnam seiner Frau auf Händen tragend, über die riesigen Steinbrocken, auf die ein Aschenregen niedergegangen ist. Ein großartiges, eindrucksvolles Bild des Jammers und grenzenlosen Leides, das an eine Pieta erinnert.

Reginaldo Oliveira hat Shakespeares Text perfekt ins Tänzerische umgesetzt, so vermeint man im letzten Bild fast zu hören, wie Othello seine Frau bestürmt: „Hast du zur Nacht gebetet, Desdemona?“ Den düsteren Charakter des Stücks betonen auch die ausgewählten Musikstücke von Lera Auerbach, Arvo Pärt und Alfred Schnittke. Zum Maskenball hingegen erklingt Camille Saint-Saëns Danse Macabre op.40.

Ein ganz außergewöhnlicher Ballettabend mit grandiosen tänzerischen Leistungen und starken Bildern. Modernes Tanztheater vom Feinsten.

„Othello“ – Ballett von Reginaldo Oliveira nach William Shakespeare. Uraufführung. Szenische Konzeption und Choreographie: Reginaldo Oliveira. Bühne: Sebastian Hannak. Kostüme: Judith Adam. Mit: Flavio Salamanka, Márcia Jaqueline, Iure de Castro, Larissa Mota, Lúcio Kalbusch, Pedro Pires. Ensemble: Karine de Matos, Naila Fiol, Chigusa Fujiyoshi, Gabrielly Juvêncio, Mikino Karube, Anna Yanchuk, Diego da Cunha, Lucas Leonardo, Niccolò Masini, Paulo Muniz. Fotos: © Anna-Maria Löffelberger
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