Rote Karte für die Bälle

Foto: KTraintinger. Alle übrigen Fotos diser Seite: Agentur SÜDWIND

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Fußballproduktion: Arbeitsrechte im Abseits

Fußballnäherin Sunita

Was hat zwölf Fünfecken und 20 Sechsecken? Richtig, der Fußball, der nun tagtäglich Millionen Fans vor den Fernsehern versammelt und globale Euphorie hervorruft. Seine Produktion hingegen ist auf wenige Länder der Welt konzentriert und Euphorie löst er bei den großen europäischen und US-amerikanischen Markenunternehmen hervor, die in WM-Jahren wie diesem satte Gewinne schreiben. Pakistan, Indien und China, die Hauptproduzenten, stehen hingegen in einem bitteren Wettkampf um die Aufträge. Dieses Match wird auf dem Rücken der ArbeiterInnen ausgetragen, die tagtäglich unter schwierigen Bedingungen Fußbälle für die Welt nähen.

Die entwicklungspolitische Organisation Südwind nahm deshalb die Arbeitsbedingungen der NäherInnen in Nord-Indien unter die Lupe. Das Ergebnis: Sie zählen heute schon zu den VerliererInnen der WM.

Schon seit Ende des 19. Jahrhundert werden in der Region des heutigen Pakistans Sportartikel für den europäischen Markt produziert. Nach der Teilung Indiens fingen Nachfahren der pakistanischen SportartikelproduzentInnen an auch in Nord- Indien die Produktion aufzunehmen. Vor allem in zwei Städten, dem grenznahen Jalandhar im Punjab und Meerut in Uttar Pradesh, nicht weit von Delhi, werden aufblasbare Bälle aller Art und Sportbekleidung produziert.

Fußballnäherin Anju

Gesundheitsgefährdende Arbeit

In zahlreichen Fabriken wird das Rohmaterial vorbereitet: die Fünf- und Sechsecken müssen aus langen Hartplastikbahnen gestanzt werden, zu tausenden und abertausenden pro Maschine und Tag. Die Arbeiter stehen unter hohem Zeitdruck, denn sie werden nach gestanzter Wabe bezahlt. Es ist eine gefährliche Arbeit, denn die Stanzmaschinen sind tonnenschwer und haben oft keinerlei Vorrichtungen, um Finger und Hände zu schützen. Auch bemalt werden die Waben in den Fabriken. Beim Betreten der Lackierräume kann einem schon mal die Luft wegbleiben, denn Belüftungssysteme oder Schutzmasken gibt es nicht überall. „Die Inder sind die Lacke gewohnt und wissen nicht, was sie einatmen. Das riechen nur Europäer und es schadet den Indern nicht“ erklärte ein Fabriksbesitzer dem Südwind-Team.

Fußballnäherin in Nähzentrum

Nähen für einen Hungerlohn

Die anstrengende Arbeit des Fußballnähens wird großteils in Dörfer ausgelagert. In fast jedem Hinterhof oder auch in Tempeln findet man auf dem Boden sitzenden Menschen, die mit einer hölzernen zwischen die Knie geklemmten Zange, Wabe für Wabe mit einem harten Faden zusammennähen.

In der Früh bringen Unterhändler dieses Rohmaterial in Form von Näh-Sets von den Fabriken, um am Abend die fertigen Bälle abzuholen. Die Arbeit mit dem harten Kunststoff oder Leder ist anspruchsvoll und anstrengend, die Löhne liegen zwischen fünf und 30 Cent – je nach Qualität – pro Ball. Mehr als vier Bälle pro Tag und Person sind kaum zu schaffen, daher müssen oft ganze Familie nähen, um sich ernähren zu können.

Fußballnäher

Südwind traf die 25-jährige Anju. Sie hat vier Kinder und näht seit neun Jahren Fußbälle: für fünf Cent pro Ball. Am Ende des Tages holt der Unterhändler zehn bis 15 Bälle bei ihr ab – wer diese in ihrer Familie näht, erzählte sie nicht. Dafür aber berichtete sie über chronische Rückenschmerzen und darüber, dass sie keine Chance hätte auf bessere Bezahlung hätte: „Wenn wir uns über die niedrigen Löhne beklagen, bringen uns die Unterhändler einfach keine Näh-Sets mehr. Sie sagen, dass es genug andere gäbe, die unseren Job machen würden.“

Fußballnäherinnen - sie gehen vormittags zur Schule, am Nachmittag arbeiten sie

Die Unterhändler steigen besser aus: pro Monat sammeln liefern sie bis zu 3000 Bälle in den Fabriken ab und bekommen umgerechnet etwas mehr als 300 Euro. Ein Vielfaches als die NäherInnen also. Und umso weiter man in der Produktionskette geht, umso höher steigen die Gewinne. Der Konzern Adidas etwa rechnet heuer mit einem Überschuss von 430 bis 480 Millionen Euro.

Fabriksarbeiter beim Lochen der Waben

Keine durchgängigen Kontrollen

In WM-Jahren wie diesem werden rund 40 Millionen Fußbälle produziert. 95 Prozent davon sind jedoch so genannte „Promotion-Fußbälle“ – jene Masse von Bällen, die als Werbefläche dienen oder als billige Eigenmarken verkauft werden. Während Markenunternehmen eher im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen und daher darauf achten müssen, nicht mit schlechten Arbeitsbedingungen und insbesondere mit Kinderarbeit in Verbindung gebracht zu werden, kümmern sich so genannte No-Name-Unternehmen weniger um ihre soziale Verantwortung.

Zwar gibt es in Indien und Pakistan seit den späten 90er Jahren von den Exporteuren und der FIFA geförderte Initiativen, die Maßnahmen gegen Kinderarbeit setzen, aber solange die Löhne der Erwachsenen keine menschenwürdige Existenz zulassen, wird Kinderarbeit nicht nachhaltig verhindert werden können. Zudem erzählten Fabriksbesitzer dem Südwind-Team, dass sie zwar keine Kinder mehr anstellen würden, diese jedoch nun in anderen Bereichen ihr Auskommen suchen müssen: in Ziegeleien oder Sportbekleidungsfabriken…

Arbeit auf Abruf versus faire Produktion

Um die Produktionskosten zu drücken, werden die Anstellungsverhältnisse immer weiter prekarisierte und in die informelle Heimarbeit ausgelagert- die ArbeiterInnen werden auf Abruf gehalten und, ob das Kinder oder Erwachsene sind, ist nicht mehr nachvollziehbar.

Waben aus denen später Fußbälle gefertigt werden

Für Südwind ist klar, dass die Unternehmen ihre Einkaufspraktiken ändern und Verantwortung übernehmen müssen, um die Arbeitsbedingungen in der Zulieferkette für alle nachhaltig zu verbessern. Dazu gehört, dass die Anstellungsverhältnisse formalisiert und somit die Rechte der ArbeiterInnen einforderbar werden, sie existenzsichernde Löhne bezahlt bekommen, und das Recht auf Organisierung garantiert wird.

Fußbälle

Auch heuer werden verschiedene NGOs mit diesen Forderungen an die FIFA herantreten. Sie sind überzeugt, dass nur durch permanenten Druck auf die verantwortlichen Sport- und Unternehmensverbände die Arbeitsbedingungen in der Fußballproduktion verbessert werden können.

Bis es flächendeckend so weit ist, rät Südwind kritischen KonsumentInnen schon jetzt durch den Kauf von Fairtrade zertifizierten Bällen Fairness in der Fußballproduktion zu unterstützen.

Mag.a Christina Schröder
Öffentlichkeitsarbeit – Südwind Agentur
1080 Wien

www.suedwind-agentur.at

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Dorfladen

2 Kommentare zu "Rote Karte für die Bälle"

  1. Christine | 11. Juli 2010 um 18:08 |

    Hanns hat Recht. Und ich höre oft Argumente wie: …besser, die Kinder arbeiten statt zu hungern.
    Das ist doch krank!!! Und das einzige, das wir tun können: den fairen Handel unterstützen (so es welchen gibt). Ist eh wenig genug.

  2. Es ist doch nichts Neues, dass bei uns viele Artikel aus Billiglohnländern kommen. Dorf gibt es keine Arbeitsrechte oder Umweltauflagen. Wahrscheinlich ist es oft sogar erwünscht, dass diese Länder arm und abhängig bleiben. Von wegen Entwicklungshilfe. Da passen die Fußbälle gut ins Gesamtbild. Gratulation zum informativen Artikel!
    Hanns

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