Die Undine von Anif

Ein Märchen erzählt von Christian Ploier

“Ob Reichtum von Übel ist? Wer kann das sagen?”
“Weiß nicht”, sagte die Eule.
“Vielleicht wissen es die Ameisen. Sie verkehren überall und hören viel.”
“Die Ameisen. Sie scheuen das Wasser und meiden das Feuer. Was können sie also erzählen”, empörte sich Tschutscha der Hund.
“Was würden sie im Wasser erfahren. Wen nennt man dort reich? Huu, Tschutscha, antworte.”
“Ist man reich, wenn man riechen kann wie die Seele leuchtet, Eule?”
“Was ist mit dem Wasser?”, beharrte die Eule.
“Das Wasser?! Ach, hör zu Eule. Es hat manchmal ein smaragdenes Fell und es spricht zu mir.” Und Tschutscha erzählte.

Zu Anif gab es einmal viele Undinen. Die vielen kleinen Flüßchen, die Teiche, das große Moor und der nächtliche Nebel galten ihnen alles. Auch den hohen Berg, der die weite Ebene begrenzte, liebten sie auf ihre Weise, obwohl sie ihn mieden. Er war ihnen heilig. Noch mehr liebten sie den nächtlichen Gesellen, den Mond. Zu Vollmond tanzten sie bis zur Grenze der Nebel und in ihrem Übermut zeigten sie sich. Manchmal sah ich sie sogar.

Nein, gebissen habe ich keine von ihnen, obwohl sie mich frech und unverfroren neckten. Nicht nur mich, sie neckten so manchen späten Wanderer, vor allem aber den jungen Grafen der Gegend, wenn er nachts trunken zum Schloß ritt. Gerne eilten sie an verschwiegene Plätze, wo der Jüngling sich mit schönen Weibern den Lüsten und Leidenschaften aufkeimender Begierden hingab. Umarmungen und begehrliche Küsse waren den Undinen fremd. Diese seltsamen Liebesverrenkungen erstaunten sie in unglaublichem Maß. Und nichts fesselte sie mehr. Manchmal verspürte der Jüngling im abklingenden Rausch der Leidenschaft eine seltsame Kühle, die ihn umfing und zu betasten schien. Er schrieb es dem Mond zu und dem Zauber der Nacht.

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Unter den Undinen nannte man eine IaElee, die weit dem Berge zugewandt wohnte und nur selten mit ihren Schwestern zum Reigen im Mondlicht kam. Es hieß, sie stünde mit dem Herrn des Berges in mancherlei Verstricktheit. IaElee hatte schon mehrmals die hitzige Stirn des jungen Grafen gespürt, wenn er trunken vor Lebenslust selbst dem Tod die Herrschaft streitig machte. Sie hatte ihn schon als Kind gekannt. Mit welcher Stille hatte er dazumal die Luft des Waldes geatmet. Mit seinen dunklen, klaren Augen faßte er nach einem Leben, an dessen Anfang er erst stand. Oftmals gesellte sie sich zu diesem Kind und floß mit seinem ernsten Blick hinaus in das Blau des Himmels. Dieses Bild lebte in ihr, wenn sie manchmal den jungen Grafen zusammen mit ihren Schwestern neckte. Noch immer liebte sie es ihm durchs Haar zu streichen bis er sich unmutig mit der Hand darüber strich. In seinem Blick spiegelte sich der Mond und das wilde Verlangen nach einem ganzen Leben. Sie sang ihm, wenn er müde vom vielen Wein an einem Bach sein Gesicht erfrischte und sie genoß es mit ihm allein zu sein. Ihr schien als würde er in solchen Augenblicken ihre Anwesenheit spüren. Dafür wurde sie von ihren Schwestern gescholten. Denn diesen galten die Menschen nicht viel.

Auf Befehl des Vaters nahm sich der junge Graf ein Weib seines Standes, was dazu führte, daß er sein wildes Leben nur noch toller trieb. Zum Wein und den Liebschaften gesellte sich die Lust zu spielen. Die Würfel verwuchsen mit seiner Hand und besessen wie kein Zweiter weihte er die Nacht dem Würfelspiel. “Dem Teufel würd’ ich die Nägel von den Zehen würfeln, wenn er die Schneid` hätte mit mir zu spielen”, prallte er. Seine Kunst im Würfeln ließ sogar vornehme Herrn aus Rom anreisen. Und als ein hoher Würdenträger Geld, Schloß und Mätressen verspielt hatte, beschloß der junge Graf sich für einige Zeit auf seinen neuen Gütern in Rom niederzulassen. Das, so sagt man, waren die besten Jahre des Grafen, was immer darunter zu verstehen sei. Zurück kam er krank und mit grauen Strähnen im Haar. Er litt an einer seltsamen Krankheit, einem wulstartigen Kropf, der ihm die Sprache raubte. Sein Gemüt war verdunkelt, es schien als hätte der Tod in ihm Platz genommen. Kaum daß er seine Umgebung wahrnahm.

Zum Schweigen verurteilt ging er stundenlang durch seine Besitzungen und manchmal zog es ihn an die Plätze seiner Kindheit und er fühlte nach dem Kind, das er einmal war. Es ergriff ihn keine Trauer, auch nicht als er sein Gesicht im Spiegel des Teiches sah. “Ist mein Reichtum das Übel?”, fragte er stumm das Wasser. “Oder bin ich es?”, wiederholte er.

“Was erzählst du da, Tschutscha”, rief die Eule aufgebracht. “Erzählen sich solches die Hunde.”
“Warum nicht, Eule. Eine Geschichte ergibt die andere. Und wer sagt, daß wir nur Träger vieler Flöhe wären?”

Und so erzählte er weiter.

Auf jeden Fall hat IaElee ihn an einem Wintermond, als er in Pelz gehüllt am Rande eines Teiches stand, gespürt. Ohne davon ihren Schwestern zu sagen, umfloß sie den Teich und den Baum woran er lehnte. Still blickte er in die Nacht, und das Mondlicht füllte seine Augen. IaElee lachte und schmiegte sich in sein graues Haar. Sie spürte seine Kinderaugen und spürte darin sein krankes Licht. Er fühlte den Windhauch und strich sich übers Haar. Von nun an begleitete sie ihn immer öfter bei seinen verschwiegenen Gängen. Er wurde ihr noch lieber. IaElee ahnte ihr Schicksal, doch sie begann ein menschlich Kleid zu weben. Sie hatte Angst Mensch zu werden. Sie hatte Angst sterblich zu werden. Es wurde die Gestalt einer kleinen, zierlichen, blaßhäutigen Frau. Und als sie sich das erste Mal im Spiegel des Teiches sah, war sie ein wenig unzufrieden damit. Viele ihrer Schwestern fühlten das Sterben IaElees und welkten leise mit ihr mit, bevor sie sich im Reigen wieder schlossen. Sogar der Herr des Berges trauerte um die Undine.

“Daran also glauben Hunde”, sagte die Eule.
“Sie riechen es”, murrte der Hund und redete weiter.

Wie IaElee den kranken Fürsten traf, weiß ich nicht mehr. Auf jeden Fall war er erschrocken über die flüchtige Erscheinung der mondleichten Gestalt. Sie ließ ihn den Duft der Stechapfelblüte riechen, um ihn zu heilen und später im Jahr schmiegte sie sich zum ersten Mal an ihn. Einmal als sie bei ihrem Liebsten saß und seine wiederkehrenden Kräfte spürte, sagte er: “Dich kenn’ ich von meiner Kindheit an, scheint mir. So als wärst Du schon immer bei mir gewesen.” IaElee lachte und dachte an ihre Schwestern.

Als der Graf wieder bei Kräften war, begann er seine Geschäfte zu ordnen. Er bedachte sein Weib und seine Kinder großzügig und schenkte ihnen seine Güter in Rom. Ans Schweigen gewöhnt zog er sich in die Abgeschiedenheit zurück. Schließlich wußten die Leute des Dorfes nicht mehr ob er noch lebte, oder längst tot war. Allein IaElee lebte mit ihm. Sie spürte wie ihr Menschenkörper zu welken begann und sie spürte den Glanz mit dem ihre Schwestern sie an manchen Abenden umhüllten. Aus ihrem Liebsten mit den Kinderaugen war ein alter stiller Mann geworden. Sein Blick glich mehr denn je der Farbe eines dunklen Sees. Noch immer liebte IaElee ihn. Auch wenn sie wußte, daß sie dafür sterben würde.

Tschutscha der Hund war aufgestanden und ergriffen sang er.

Das Leben ist kürzer als meine Gedärme.
Der Tod ist länger als mein Schwanz.
Und er schlug die Trommel viel sechszehn mal.

“Bist du verrückt, Tschutscha”, krächzte die aufgescheuchte Eule.
“Sag´mir, hat der Graf gewußt, wer seine Liebste war?”
“Nein, Eule. Wer will sagen, daß er weiß wer seine Liebste ist.”
Hat er es geahnt, Tschutscha?”
“Geahnt vielleicht schon. Aber was hilft das schon.”

Ja, so ist das gewesen.


Fotos (6): KTraintinger, Dorfzeitung

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