Kunst und Literatur als Mittel der Entmündigung

Reifeprüfung

Am Weg zur Reifeprüfung | Foto: Karl Traintnger, Dorfbild.at

Deutsch-Zentralmatura wird immer problematischer

Nach ein paar Jahren leidlich gelungener Aufgabenstellungen hat das Themenpaket „Literatur – Kunst – Kultur“ der Deutsch-Zentralmatura 2021 einen neuen Tiefpunkt
erreicht.

Gesamtzusammenhang – Erste Rückmeldungen

Zum wiederholten Male sind die Anforderungen der drei Themenpakete äußerst unterschiedlich. Eine erste Umfrage der IG Autorinnen Autoren unter einem Dutzend Lehrer/innen der AHS und BHS, die dieses Jahr Maturaklassen betreuten, ergab, dass fast alle Kandidat/inn/en das zweite Themenpaket wählten, dessen Textsorten „Zusammenfassung“ und „Erörterung“ besonders einfach zu bewältigen waren. Lediglich ein musisches Spezialgymnasium mit „Literatur“ als Schwerpunkt meldete, dass acht von 22 Antretenden das Literaturthema riskierten. Die Lehrerin erhielt allerdings zahlreiche Rückmeldungen über die fehlenden Ansprüche der Aufgaben. Nicht zuletzt wurde die völlige Entmündigung beklagt, die ausgerechnet dort stattfindet, wo Kreativität und der kritische Zugang die größte Rolle spielen sollten, im Bereich von Kunst und Literatur.

Das Paket „Literatur – Kunst – Kultur“ – Themenstellungen

Das Paket besteht aus der Textinterpretation einer Kurzgeschichte von Werner Kofler aus dem Jahr 1985 sowie der Zusammenfassung eines Zeitungsartikels über die Malerin Frida Kahlo. Die Textsorte Zusammenfassung schließt per definitionem das Einbringen eigener Gedanken aus. Von den vier Aufgaben des literarischen Teils stellen drei ebenfalls auf Reproduktion bzw. (noch viel schlimmer) auf die bedingungslose Untermauerung vorgegebener Haltungen zum Text ab. Nur die verlangte Deutung des Verhaltens der zentralen Gestalt der Kurzgeschichte erlaubt in beschränktem Maß selbständige Überlegungen.

Kritik

Die literarische Aufgabenstellung ist völlig misslungen. Der gewählte Text „Im Verbrauchermarkt“ stellt in seiner unmissverständlichen Eindeutigkeit kaum Ansprüche, was Form und Inhalt anlangt. Wie immer geht es bei der Interpretation um reine Werkimmanenz, das heißt, die Persönlichkeit des Autors sowie daraus resultierende Kontexte bleiben ausgeblendet. Die „Infobox“ ist keine. Nützliche Informationen? Fehlanzeige. Kofler sei ein österreichischer Schriftsteller, heisst es, der Text dem dritten Abschnitt des Buches „Amok und Harmonie“ entnommen und Dr. Oetker ein deutsches Nahrungsmittelunternehmen.

Auch der literaturbezogene Teil des Paketes beginnt mit einer zu erstellenden Zusammenfassung (die im zweiten Teil über Kahlo die einzige Textsorte bleibt und damit über 50% der Matura ausmacht) und nicht mit der Interpretation selbst. Dass Interpretationen unbedingt mit der lähmenden Zusammenfassung des Gelesenen beginnen müssen, ist nämlich ein von den Textfabrikant/innen der Maturathemen kreierter Mythos. Die in der Folge verlangte Analyse der formalen und sprachlichen Gestaltung müsste bei einer nachlässig komponierten Prosa wie der angebotenen kurz ausfallen. Der Kommentar für die Korrektur offenbart den Lehrenden freilich die mangelnde Fachkompetenz der Aufgabensteller/innen. Diese listen eine Unzahl an den Haaren herbeigezogener stilistischer Merkmale des Textes auf, die zuweilen nur noch unfreiwillig komisch ausfallen: So wäre es wünschenswert, wiesen die Geprüften auf Alliterationen und Assonanzen hin, z. B. „Oetker Gewürz- wie Oetker Käse-Cracker […] mit krachenden Geräuschen“.

Drittens gilt es das Verhalten des Protagonisten zu deuten. Im Lehrerkommentar kommen die Aufgabenerfinder/innen dabei vom Hundertsten ins Tausendste. Vor allem aber bewegen sie sich unendlich weit weg vom Text, indem sie etwa behaupten, der Protagonist übe Kritik „an der spezifischen Vertriebsform ‚Großmarkt‘ im Gegensatz zum Greißler, der die Kunden bedient.“ Dafür gibt es keinerlei Beleg im Text. Jeder Deutungsansatz im Kommentar bezieht sich auf
rational motivierte Kritik am Konsumkapitalismus durch den Protagonisten und schließt alle anderen Deutungsmöglichkeiten de facto aus.

Schließlich werden die Kandidat/inn/en gezwungen zu begründen, warum der Text heute noch aktuell ist. Eine andere Ansicht darf nicht vertreten werden, jede Hinterfragung der vorgelegten Prosa ist verboten.

Fazit

Das Literaturvertreibungsprogramm der österreichischen Schule, propagiert durch das Bildungsministerium, wird fortgesetzt. Die langjährige Forderung der IG Autorinnen Autoren, unterstützt auch von Persönlichkeiten aus anderen Bereichen, den Gegenstand „Deutsch“ in „Deutsch und Literatur“ umzubenennen, wird im Entwurf zu den neuen Bezeichnungen etlicher Schulfächer ab 2022 nicht einmal ignoriert. In der Primarstufe soll sogar Lesen und Schreiben aus der Fachbezeichnung gestrichen werden.

Transparenz wird im Bildungsministerium traditionell kleingeschrieben. Die typisch österreichische List, die ungeeignete zentrale Abwicklung der Reifeprüfung Deutsch aus der gesellschaftlichen Diskussion zu nehmen, indem ein besonders schlichtes Themenpaket geschnürt wird, wodurch es kaum ein Nicht genügend zu registrieren gibt, greift voll: Hauptsache durch. Niveau wurscht. Valide Zahlen über das verheerende Missverhältnis der gewählten Themenpakete, die theoretisch gleichen Schwierigkeitsgrad haben sollten, hält das Ministerium seit Jahren zurück.

Ein Umdenken ist dringend geboten.


Presseaussendung
Gerhard Ruiss, Ludwig Laher
IG Autorinnen Autoren
Wien, 21.5.202

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Dorfladen

2 Kommentare zu "Kunst und Literatur als Mittel der Entmündigung"

  1. Avatar-Foto eigendenken.at | 8. Juni 2021 um 00:40 |

    Die Schulpflicht wurde von Maria Theresia vor sehr langer Zeit erfunden, damit ihre Untertanen ihre Befehle lesen + beFOLGEN konnten.
    Seither hat sich die Zeit geändert – aber nicht die Ziele der Beschulungen – vom Kindergarten bis zur Uni!!!
    Die überaus traurigen Ergebnisse erleben wir als “NORMALITÄT”:
    * Wer das Alleinstellungsmerkmal der Menschen – das wunderbar leistungsfähige Gehirn – widmungsgemäß zum SELBSTÄNDIGEN Denken (von mir “Eigendenken” genannt) verwendet, wird als Störenfried gemieden, statt als DEMOKRAT/IN gesucht + geschätzt!!!
    * In Machtzentren (Parteigremien!) haben nur kritikunfähige Speichellecker eine Chance, öffentlich wirksam zu werden! Bürger/innen/orientierte mutige “Quereinsteiger/innen” werden vor Wahlen dem Stimmvieh – wie dem Esel die Karotte – vor die Schnauze gehalten, um danach rasch wieder zu verschwinden…
    * Ich vermisse machtvolle, parteiunabhängige Institutionen oder Kontrollstellen, die berechtigte Kritik von Bürger/inne/n öffentlich zur Diskussion stellen. – Bürgeranwält/innen/e, Rechnungshöfe, Konsumentenschützer/innen zeigen zwar die Richtung – sind aber viel zu zahnlos…
    * So geschieht es beispielsweise, dass gewissensbefreite Nahrungsmittelerfinder/innen seit Jahrzehnten zugesetzten Zucker im Produkt (“Frucht”jogurt,…) unter vielen “netten” Benennungen verstecken dürfen(!!!), damit die Käufer täuschen (=BETRÜGEN!) und unsere Kinder/Enkelkinder möglichst früh in lebenslanges SIECHTUM (Adipositas, Diabetes, …) treiben!
    * Dieses “traditionelle” “Bildungs”-ziel – Kritikunfähigkeit, Obrigkeitshörigkeit, … – ist seit über 100 Jahren überaus erfolg”reich”:
    ** Österreich ist eine Demokratie OHNE DEMOKRAT/INN/EN geworden!
    ** Aus der DEMOkratie [griech. Volksherrschaft] wurde nach nur wenigen Jahren eine PARTEIOkratie:
    Die “staatstragenden” Parteien haben sich alle Lebensbereiche der Bürger/innen unter den Nagel gerissen und in “schwarze” + “rote Reichshälften” aufgeteilt: von Kinder-, Jugend-, Sportorganisationen, Sozial-, Hilfs-, sogar Rettungsorganisationen bis Altenbetreuung gibts nur parteiisch eingefärbt!
    Wer fasst die Räuberbanden + holt uns Bürger/inne/n UNSERE ANLIEGEN in UNSERE eigenen Arme zurück???

  2. Die Verblödung der Jugend macht doch Sinn! Wie sonst könnte ein Kickl glauben, dass er in der Politik noch einmal wirklich wichtig werden könnte? Eigentlich bekleidet es jetzt schon ein viel zu hohes Amt für die bescheidenen Wortspenden, die er von sich gibt. Leider ist die gesamte Opposition zur Zeit nicht wirklich ernst zu nehmen. Da punkten nicht nur der rote Leichfried oder die pinke Meinl-Reisinger mit verzichtbaren Meldungen. Der Bildungsminister glaubt auch noch immer, dass es den Studenten gut geht. In Wirklichkeit wurden die die ganze Pandemie über ganz einfach vergessen.

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