Kosovo 2021

In den Pausen beim Schafscheren wurde zu traditioneller Musik getanztIn den Pausen beim Schafscheren wurde zu traditioneller Musik getanzt

Nach meiner nunmehr 26. Reise innerhalb von 16 Jahren in das Kosovo (Amselfeld, Kosovo polje), die nun pandemiebedingt nach zwei Jahren stattfinden konnte, ist es ernüchternd festzustellen, dass es in der unmittelbar anhaltenden Covid-Krise einen großen Unterschied zwischen einem reichen, westeuropäischen Land und einem wirtschaftlich armen Drittland in Südeuropa gibt.

Karl Bauer

Von Karl Bauer

Kosovo, das ist heute jenes Land, das als ehemalige jugoslawische Provinz zwischen Albanien und Serbien liegt und noch schwer von den Folgen des Kosovokrieges mit seinen Gräueltaten bis zur Jahrtausendwende geprägt ist, die noch überall präsent sind. Zur Befreiung und Unabhängigkeit haben die USA wesentlich beigetragen und Serbien bombardiert. Bill Clinton und Madelaine Albright genießen seither einen Kultstatus. Die USA haben gerade eine pompöse Botschaft in Pristina fertiggestellt und über ihr Militärcamp Bondsteel haben sie bis vor Kurzem ihre Truppen im Irak und in Afghanistan versorgt. Dort arbeiteten auch viele Kosovaren und verdienten gutes Geld; sie kamen nun zurück und sind jetzt arbeitslos. Der Staat Kosovo wurde nach seiner Unabhängigkeit bisher nur von über 100 Staaten anerkennt. Es fehlen dabei auch sechs EU-Staaten, die noch immer die Visumfreiheit für Reisen in die EU blockieren. Die politische Entwicklung wird seit dem letzten Regierungswechsel vor einem Jahr neu ausgerichtet und wird sich auch auf die Gemeinderatswahlen am 7. Oktober auswirken. Bewegt man sich am Balkan, kommt man mit zwei Seiten Stempeln mehr im Reisepass nach Hause. Es gibt generell zu kleine Staaten mit zu vielen Grenzen, Ethnien, Nationalismen, Kulturen und Religionen, die immer wieder für politischen Zündstoff sorgen und die weitere Entwicklung der Länder hemmen. Wirtschaftlich ist die Situation noch immer schwierig aufgrund der fehlenden Rechtssicherheiten, Investitionen und Infrastrukturen (Elektrizität, Raumordnung) für die Industrie, obwohl Kleingewerbe und der Handel boomen. Korruptionsfälle werden immer wieder aufgedeckt und bremsen die wirtschaftliche Entwicklung ab.


Schafscheren am 12.8. (300 Milchschafe) auf der Alm „Shutupeq i Vogel“ bei Peja im Rugova-Gebirge, Nord-Kosovo, auf 1500m nach der traditionellen Methode mit der Schere, wo jeder Bauer sein eigenes Muster hat, um seine Schafe zu erkennen.

Der Staat gewinnt zunehmend an Einfluss, wo zuvor Großfamilien mit ihren 1000 Cousins die Sicherheiten für das tägliche Leben boten. Andererseits reden unsere übermotivierten Politiker von Investitionen im High-Tech Sektor und einer Entwicklung zu einem „Silicon valley“ im Kosovo, was ich nicht erkennen kann, wenn ich die Call-Center in Pristina sehe, die wie Schwammerl aus dem Boden schießen und billige TelefonistInnen anstellen. Trotzdem ist es besser, dort zu arbeiten, als keine Arbeit zu haben. Dabei gibt es heute viele Möglichkeiten, internationale Hilfen in Anspruch zu nehmen: Die EU investiert in den Wiederaufbau, Infrastruktur, Rechtsnormen und Bildung, die Türkei und Saudi-Arabien in den Bau von Moscheen. Inzwischen ist das Kosovo gut in das europäische Autobahnnetz integriert und leicht erreichbar, auch wenn an den serbischen Grenzen nach wie vor oft Unklarheit herrscht. Das Land selbst lebt wirtschaftlich (BIP) zu jeweils einem Drittel von den eigenen Wirtschaftsleistungen, der Diaspora und von internationalen Organisationen. Der Staat wäre also ohne internationale Hilfsgelder wirtschaftlich nicht lebensfähig, hat aber nun über die Autobahn auch einen zollfreien Zugang zu einem Hafen in Albanien.

Kosovo, das ist ein Land zweier Welten, da inzwischen die Hälfte der Bevölkerung im Ausland lebt (Diaspora), die zuerst als Gastarbeiter kamen, später flüchten mussten und überall gut integriert sind. Fährt man im Sommer nach Süden, sieht man große Autos aus ganz Europa, die eines eint: Vielfach sind es geborene KosovarInnen, die dort urlauben, heiraten oder ihre Eltern und Verwandten besuchen, denen sie einen Teil ihres hart verdienten Geldes schicken, um zu überleben. Mit einem anderen Teil finanzieren und bauen sie sich ein eigenes Haus im Kosovo, wo sie dann ihren Urlaub verbringen und evtl. in der Pension leben wollen. Aber auch innerhalb des Landes wird in den serbischen Enklaven, wo die Kinder in getrennte Schulen gehen, die politische Spaltung aufrechterhalten, obwohl man sich in wirtschaftlichen Prozessen gut versteht.

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