Reinhard Lackinger:
Die westliche Hochkultur

Kaum krieg´ ich e-Mails von Freunden, mit Berichten von all dem Schönen, das sie im Sommer an glänzenden und nicht unteuren Theater -, Opern -, und Konzertaufführungen erleben haben durften…  von Bregenz bis Mörbisch…  krieg´ ich auch schon wieder einen Anfall ekelhaften Entwicklungsneides. Ich gebe es auch stehenden Fußes zu, dass ich mich in solchen Momenten nach Österreich zurücksehne, und dass mir der Glamour der mitteleuropäischen Kulturszene hier im Nordosten Brasiliens sehr abgeht.

Diese Sehnsucht dauert aber nur wenige Augenblicke und so lange bis ich mich an den Duft jenes “schtingatn Kas´” unter jeder alpenländischen Käseglocke erinnere. Dann werde ich auf der Stelle wieder nüchtern und vernünftig. Meine Freunde wiederum werden meine diesbezüglichen Stänkereien wieder lange weder verdauen noch verzeihen. Nur einer schreibt zurück und sagt, er würde angesichts meiner garstigen Mail den Appetit auf mitteleuropäische Hochkultur nicht verlieren.

Brasilianische Gedanken über unsere “westliche Hochkultur”

Österreich, Land der Dome… unzähliger Schlösser und einiger Schauspiel – und Opernhäuser. Zeugen einer Zeit, als das Soziale noch kein Thema war und die weltlichen Herrscher ihr Geld in prunkvollen Palästen anlegten, Architekten, Bildhauer und Maler engagierten… sofern die noblen Herrschaften friedlich waren und ihr Geld nicht in den Krieg gegen böse Nachbarn steckten. Die Kirchenfürsten wiederum ließen sich Dome bauen. Es wurden auch auf beiden Seiten kompetente Kapellmeister eingestellt und auf den Orgeln strampelten die begabtesten Organisten. Das war damals und zu Kaisers Zeiten unsere Hochkultur. Der Hof mit allen fürstlichen Speichelleckern durfte seine Freude haben, sich wie im Himmel auf Erden fühlen. Der Pöbel gaffte mit weit offenem und zahnlosem Maul auf Fresken und Gobelins, sofern ihm das erlaubt war.

Irgendwann gab es dann Bauernkriege. Auch bastelte einer an einer Erfindung, die Guillotine genannt wurde. Plötzlich sprach jeder von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Nachdem etwas mehr als ein Dutzend Menschen verstand, was damit gemeint war, besonnen sie sich und beschlossen, das Ganze auf europäischem Grund und Boden zu belassen. Andere Kontinente wie Afrika und Asien und Lateinamerika wären ohnehin nicht reif für derart hochgeistige Errungenschaften.

Heute werden diese Prunkbauten Österreichs kaum noch von Fürsten bewohnt. Vielfach wurden die Schlösser längst in Museen verwandelt, damit der Pöbel etwas zu gaffen hat. Das Ensemble der Schauspiel – und Opernhäuser bezahlt jetzt der Vater Staat. Der Mensch, der sich insgeheim nach der “Guten Alten Zeit” sehnt, ist glücklich, weil er sich bei schöner Musik und erhabenen Schau – und Hörspielen wie am Hofe der blaublütigen und eitlen Noblesse fühlen darf.

Wenn früher der Pöbel durch den Prunk der Reichen eingelullt, für einen Moment seinen Hunger vergaß, so gilt heute das selbe für die “Neue Noblesse”. Unser neuer Adel besteht aus einem mit sozialen Zuwendungen voll gestopftem Monster, das mich irgendwie an eine gestopfte Gans, an foie gras erinnert. Das sieht unsereins an arbeitslosen Staplerfahrern, die sich Urlaubsreisen nach Übersee leisten können. Ein brasilianischer Hochschullehrer kann das nicht.

Das hat natürlich nichts mit dem Zerstören anderer Hochkulturen zu tun. Das hat nichts mit dem Zerstören der Hochkulturen der Azteken, der Inkas der Mayas zu tun.

Nein, im Gegenteil! Recht geschieht es uns Lateinamerikanern, Afrikanern und Asiaten. Wir sind ja schuld an der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Sackgasse Europas! Wir hätten uns nicht von Spaniern, Portugiesen, Holländern, Belgiern, Engländern und Franzosen berauben lassen dürfen…  War es doch unser Gold und unser Silber… waren es doch unsere Diamanten und Smaragde, die einst die eitle Renaissance und später die europäische Industrialisierung finanzierten, Kopf und Herz der Europäer aus dem Gleichgewicht brachten.

Heute bedarf es in Österreich vieler schöner Aufführungen, damit der kleine Mann für einen Moment die Ausweglosigkeit vergisst, die makellos gepflasterte Sackgasse, in die das Volk durch die alberne Übersozialisierung getrieben wird.

Westliche Hochkultur, wenn wir die “Eroberung” Amerikas und die Kolonialkriminalwirtschaft betrachten, bestand ja fast ausschließlich aus morden und meucheln und rauben… aus abmurksen und fladern, um es derb deutsch auszudrücken. Wenn wir in Krisengebiete wie Palästina, Afghanistan oder Irak blicken, drängt sich die Frage auf, womit wir die Hochkultur der “größten Demokratie der Welt”, also der Nordamerikaner vergleichen sollen. Aber so einen “schtingatn Kas” gibt es gar nicht im Universum der Milchderivate.

Wie schaut es mit der österreichischen Hochkultur heute wirklich aus?

Die Urbanisten und Architekten haben durch unsinnige Fußgängerzonen das restliche Leben aus den Altstadtkernen verbannt und in die Ghettos der Einkaufszentren gertieben. Die Gastronomie verschrieb ihre Seele der nouvelle cuisine. Die paar alpenländischen Schmankerln, die wir nach allem Französischen und Italienischen aus der kiloschweren Speisekarte lesen, sind wegen überfeinertem Firlefanz wie Soufflé, Dressing und Dekoration kaum wiederzuerkennen. Den Interpreten altehrwürdiger Musikstücke geht es an erster Stelle längst nicht mehr um die Freude am Musizieren. Sie wurden bereits in Roboter verwandelt. Leidende und schmachtende Grimassen und vor Inbrunst zerfliessende Gesichter sind bei unseren Geigern und anderen Solisten immer seltener. Was sich die bildenden Künstler erlauben ist egal. Unser Auge gewöhnt sich mit der Zeit an alles… wie unser Geruchssin an den schimpligsten Quargel…  Diejenigen, die weder ein Talent zum Malen, noch ein Gehör für Musik haben, setzen sich halt vor den computer und werden von heute auf morgen zu DichterInnen und BuchautorInnen.

So sehe ich die europäische Hochkultur von heute. Eingegipst und zubetoniert!

Ich wünsche Europa in naher Zukunft möglichst viele Zuwanderer aus armen Ländern wie Afghanistan, Bolivien, Sudan, Mauretanien und Belutschistan. Einzige Möglichkeit, eine neue Europäische Hochkultur zu schaffen.

Uallahu akbar

Reinhard Lackinger
Beislwirt aus Bahia

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