Eine Literaturperformance im Toihaus
Helene Adlers Debütroman wurde von der Presse hochgelobt und landete 2020 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises sowie auf der Shortlist des Österreichischen Buchpreises. Die Tänzerin und Choreografin Mirjam Klebel und die Schauspielerin Nicola Schößler setzen sich, musikalisch unterstützt von Benjamin Lageder, mit den Nöten der namenlosen Infantin, die auf einem Bauernhof groß wird, auseinander. Eine wilde Performance ganz ohne Stallgeruch.

Mirjam Klebel sitzt stumm auf einem weißen Flokati und starrt wütend ins Leere. Sie ist mit ihrer Familie absolut nicht zufrieden. Nicola Schößler leiht ihr die Stimme und zitiert Passagen aus dem Buch. Ihr Vater sei für sie ein Grizzley mit fatalem Hang zum Alkohol, ihre bigotte Mutter ein Greifvogel mit Pfauenkopf. Die älteren Zwillingsschwestern mit ihren blassen Gesichtern und den blonden Zöpfen erinnern zwar an zwei Engel, doch sind sie bösartig und spielen ihr übel mit. So drohen sie ihr ständig: „Morgen kommt der Tierarzt mit der Spritze und dann wirst du eingeschläfert.“ Doch schon das zarte Kind weiß: „Irgendwann werde ich größer sein als ihr und dann ist Zahltag“. Die Urgroßeltern, deren Haus und Hof alle gemeinsam bewohnen, sind für sie „Charakterköpfe mit verbügelten Gesichtern“ und „noch nicht ganz abgestorbenen Seelen“. Wenn es der Infantin zu viel wird, versteckt sie sich im Stall bei den Wolfshunden. „Ich lerne meine Muttersprache neu, sie besteht jetzt aus Bellen und Knurren, während das menschliche Wort zugrunde geht.“

So viel Wut ist nicht alleine zu verkraften und so durchwandern die beiden Künstlerinnen gemeinsam die grausame, brutale Kindheit auf dem voralpinen Bauernhof. Als die Infantin ins Gymnasium kommt, gibt es endlich ein neues Motto: „Schule absitzen und dann feiern!“
Mirjam Klebel und Nicola Schößler gelingt es großartig, die ungeheure Sprachwut der Autorin in Bewegung umzusetzen und die Bilder von Dämonen, Zyklopen, Vogelscheuchen, Menschenfressern und anderen gemeinen Teufeln lebendig werden zu lassen. Kein Wunder, dass die Infantin der Meinung ist: „Niemals ist das meine Familie, ich bin allein auf meinem Heimatplaneten.“ Durch den stimmigen Sound, den Benjamin Lageder mit seinen vielen Instrumenten kreiert, wird die Rebellion eines jungen Mädchens gegen Konventionen und gesellschaftliche Zwänge fast greifbar.

In meiner Vorstellung am 23. Oktober 2021 dürften die meisten Besucher das Buch bereits gelesen haben. Sie ließen sich daher von der deftigen, oft witzig sarkastischen Sprache nicht irritieren und zeigten sich begeistert von der absolut gelungenen Performance.
„Die Infantin trägt den Scheitel links“ – Literaturperformance basierend auf dem gleichnamigen Buch von Helena Adler, erschienen im Verlag Jung & Jung. Eine Ko-Produktion von Toihaus Theater und Literaturfest Salzburg. Performance und Stückentwicklung: Mijam Klebel, Nicola Schößler, Benjamin Lageder. Team: Cornelia Böhnisch, Katharina Schrott. Technik: Alexander Breitner, Robert Schmidjell. Fotos: Toihaus/ Erika Mayer
Rezension von Peter Reutterer
Die Infantin trägt den Scheitel links

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