„Das Floß der Medusa“ – ein Denkmal der Schande

Das Floss der Medusa

Das Schauspielhaus Salzburg hat eine Bühnenfassung von Franzobels 2017 erschienenem, viel gelobten Roman erstellt und bringt den Überlebenskampf auf hoher See erstmals auf eine österreichische Bühne. Ein Theaterabend, der als „Gleichnis der heutigen Gesellschaft“ (Franzobel) gesehen werden kann. Bei der Premiere am 16. Februar 2022 gab es viel Applaus für acht Schauspieler, drei Schauspielerinnen und einen Schlagzeuger, der mit 120 Beats pro Minute den Abend begleitete.

Elisabeth Pichler

Von Elisabeth Pichler

Isabel Graf (Ausstattung) hat für ein imposantes und sehr elegantes Bühnenbild gesorgt. In einem Museum wird das „Floß der Medusa“ ausgestellt. Rechts und links davon gibt es Büfetts mit Getränken und Häppchen, es dürfte sich daher wohl um die feierliche Eröffnung einer Ausstellung handeln. Wie aber ist es zu dem Unglück im Jahre 1816 gekommen?

Eine Flotte, geführt von der französischen Fregatte Medusa, wurde nach Saint-Louis im Senegal geschickt. Der völlig unfähige Kapital Hugues Duroy de Chaumareys setzte das Schiff auf eine Sandbank, was dem Gouverneur Schmaltz sehr missfiel: „Sinken wir? Wie provinziell! Wie vulgär!“ Die „durchlauchtigste Bagage“ setzte sich in die Rettungsbote, doch 147 Menschen fanden keinen Platz mehr. Man ließ daher ein Floß bauen und versprach, sie abzuschleppen. Doch „da ein Hund keinen Elefanten ziehen kann“, wurde einfach das Seil gekappt. Nach zwei Wochen konnten die letzten 15 Überlebenden, ausgemergelte Gestalten mit hohlen Augen und ausgedörrten Lippen, gerettet werden.

Diese historisch belegte Geschichte bot Franzobel den Stoff für seinen großen Roman. Dass sich das Schiffsunglück nicht vertuschen ließ, beweist Theodore Guéricaults Monumentalgemälde „Das Floß der Medusa“ im Pariser Louvre.

Susi Weber betont das Groteske der Figuren und macht die gesellschaftlichen Widersprüche in den Dialogen deutlich. Antony Connor gibt den unfähigen Kapitän („eine geschminkte Nudel mit Perücke“) und Marcus Marotte seinen ebenso lächerlichen Freund Richeford. Der neue Gouverneur im Senegal Schmalz (Olaf Salzer), seine Gattin (Susanne Wende) und die etwas unbedarfte, doch bildhübsche Tochter (Magdalena Oettl) wollen nur pünktlich ankommen, die neue Dienststelle wartet. Schon vor dem Unglück wird viel gestritten und intrigiert. Der Schiffsarzt Savigny (Theo Helm) liefert sich mit den Royalisten heftige Streitgespräche. Schließlich landet die untere Schicht auf dem fatalen Floß und der Hunger lässt zivilisierte Menschen zu Kannibalen werden. „Wo es kein Brot gibt, gibt es kein Gesetz mehr.“

Was bedeutet Moral, was Zivilisation, wenn es um nichts anderes geht als ums bloße Überleben? Dieser Frage geht Franzobel in seinem Roman nach. Ein wuchtiger Theaterabend, der Parallelen zur Flüchtlingspolitik der Europäischen Union aufzeigt.

„Das Floß der Medusa“ nach Franzobel. Regie: Susi Weber. Ausstattung: Isabel Graf. Musik: Wolfi Rainer. Licht: Marcel Busá. Dramaturgie: Jérôme Junod. Mit: Antony Connor, Marcus Marotte, Maximilian Thienen, Olaf Salzer, Susanne Wende, Magdalena Oettl, Theo Helm, Jannik Görger, Jakob Kücher, Wolfgang Kandler, Christiane Warnecke. Fotos: Jan Friese. Video: Schauspielhaus Salzburg

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