Advocatus Diaboli – Die Umarmung des Bösen

Advocatus Diaboli_

Advocatus Diaboli | Alle Fotos: Kleines Therater / Erika Mayer

Mit einer „aufrichtig erfundenen Wahrheit über Charles Manson“ konfrontiert der Autor und Regisseur Bülent Özdil das Publikum derzeit im Kleinen Theater. Der Anwalt des Teufels führt als  Conférencier durch den Abend: „Kommen Sie, kommen Sie und staunen Sie!“ Die Premiere am 22.3.2022 bot reichlich Stoff, um über ein sehr aktuelles Thema nachzudenken: die Macht der Manipulation.

Elisabeth Pichler

Von Elisabeth Pichler

Gefährlich lodern die auf einen Gazevorhang projizierten Flammen hinter dem Advocatus Diaboli, wenn er sich dem Publikum vorstellt. Die Worte sind voll Harmonie, spricht er doch nur von Weltfrieden und von einer besseren Welt durch Kunst, Musik und Bilder. „Seid geduldig und friedlich und stets ohne Hass!“ Umso verblüffender, wenn man gegen Ende dieses flammenden Monologs erfährt, dass der Text von Charles Manson persönlich stammt. Dieser versteht einfach nicht, warum alle Welt in ihm einen Serienkiller und Massenmörder sieht: „Ihr habt aus mir etwas gemacht, was ich nicht bin!“ Wo also liegt der Unterschied zwischen faktischer und gemachter Wahrheit?

Oft liegt die Schuld für eine Persönlichkeitsstörung in einer schweren Kindheit. Charles Manson hatte es wirklich nicht leicht. Da seine drogenabhängige Mutter nicht für ihn sorgen konnte, kam er zuerst zu einer Tante, landete aber bereits mit neun Jahren in einem Erziehungsheim. Nach mehreren Zwischenstopps in diversen Gefängnissen gründete er 1967 mit 32 Jahren eine sektenähnliche Hippie-Kommune in Kalifornien und scharte verlorene Teenager um sich. Im August 1969 erlangte er durch ein Massaker traurige Berühmtheit, denn vier Mitglieder der „Manson Family“ töteten brutal die schwangere Ehefrau des Regisseurs Roman Polanski und vier ihrer Freunde.

Im Gefängnis wurde Manson immer wieder von Medienvertretern aufgesucht. Die Faszination, die von ihm ausging, war enorm. So schaffte er auch den Einzug in die Popkultur, denn Bands coverten seine Songs und schrieben Lieder über ihn. Der US-amerikanische Musiker Brian Hugh Warner erfand sein Alter Ego Marilyn Manson – eine Kunstfigur zwischen Marilyn Monroe und Charles Manson. Und auch für Schriftsteller und Filmemacher diente Manson mit seiner „Family“ als Inspirationsquelle.

Ursula Deuker verkörpert den Advocatus Diaboli wirklich teuflisch gut und sehr überzeugend. Jan Walter wehrt sich als Charles Manson vehement gegen die Bezeichnungen Serienkiller und Mörder. Cassandra Rühmling schlüpft in die unterschiedlichsten Rollen und sorgt als Susan Atkins mit ihrer Schilderung des Mordes an Sharon Tate für Gänsehaut. Stefan Ried bringt als Chefankläger Vincent Bugliosi immer wieder Ruhe in die aufgeheizte Stimmung. Mit Videos des Massakers von Mỹ Lai wird das institutionelle Töten im Rahmen von Kriegshandlungen einem Mord durch Anstiftung gegenübergestellt. Auch hier kommt – wie während des ganzen Abends – die „ehrenwerte“ Presse gar nicht gut weg.

Kein Wunder, dass der Autor Bülent Özdil bei der Fülle von Material zwei Jahre an diesem ambitionierten Projekt gearbeitet hat. Der Lohn all dieser Mühe ist ein wohldurchdachter Theaterabend mit tollen Videoprojektionen, der dazu anregt, die Manipulation, die einer Meinungsbildung vorausgeht, zu hinterfragen, was im Zeitalter des Internets oft gar nicht so einfach ist.

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