Ein Geschwisterkrieg als Puppentheater für Erwachsene
Mit einem Gastspiel des Schubert Theaters Wien wurde am 18. Mai 2022 das VUGTAGÖ-Festival (Verrücktes und geniales Theater aus ganz Österreich) eröffnet. Schallmoos wurde bis 22. Mai zwischen OFF Theater und Kleinem Theater zum Kulturviertel und zur großen, gemeinsamen Bühne. Neben starken Gastspiel-Produktionen aus der freien Szene Österreichs wurden auch Workshops angeboten.

Erst wird dem Publikum eine entzückende Puppe im weißen Rüschenkleidchen mit rosa Schärpe und allerliebsten Stoppellocken vorgestellt. Mit kindlich piepsender Stimme trällert sie: „I’ve Written A Letter To Daddy.“ Dieses Lied werden wir im Laufe des Abends noch öfters zu hören bekommen, denn Baby Jane (eigentlich Jane Hudson) ist ein gefeierter Kinderstar und mit diesem Lied begeistert sie das Publikum. Mit ihren Starallüren quält sie allerdings nicht nur ihre Schwester Blanche, die stets in ihrem Schatten steht.
Doch schließlich wendet sich das Blatt und Blanche wird zum gefeierten Filmstar. Nach einem mysteriösen Autounfall sitzt Blanche aber nun im Rollstuhl und wird von ihrer Schwester gepflegt. Jane treibt ein grausames Spiel, sie schikaniert und quält ihre Schwester, wo sie nur kann. Als sie bemerkt, dass Blanche hinter ihrem Rücken das Haus verkaufen will, dreht sie völlig durch und schreckt selbst vor Mord und Totschlag nicht zurück.
Nikolaus Habjan, gefeierter Regisseur, Puppenspieler und Kunstpfeifer, hat den gleichnamigen Roman von Henry Farell, der vor allem durch den Spielfilm aus dem Jahre 1962, mit Bette Davis und Joan Crawford in den Hauptrollen bekannt wurde, inszeniert. Wer den Film gesehen hat, wird es kaum für möglich halten, dass eine Person die vielen Rollen schaffen kann. Die geniale Puppenspielerin Manuela Linshalm weckt aber nicht nur die zwei gruseligen Gestalten der Hudson-Geschwister zum Leben, sie schlüpft auch in die Rolle der Erzählerin und der neugierigen Nachbarin. Wenn sie sich eine weiße Schürze umbindet, kümmert sie sich als Hausmädchen liebevoll um die arme, vernachlässigte Blanche. Sie leiht aber auch den beiden lebensgroßen Puppen von Jane und Blanche ihre Stimme, brutal krächzend als Jane und armselig, weinerlich als Blanche. Wenn sie hinter der Puppe im weißen Kleidchen verschwindet, vermeint man wirklich, die böse Jane, die völlig den Bezug zur Realität verloren hat, vor sich zu haben. Sie glaubt, noch einmal durchstarten zu können, und so probt sie unermüdlich kindliche Tanzschritte, singt mit nicht mehr ganz so frischer Stimme und wirft Kusshändchen ins Publikum. Das ist so rührend, da könnte sie einem fast leidtun.
Nikolaus Habjan hat dieses Figurentheater seiner Kollegin Manuela Linshalm, die schon oft mit ihm gemeinsam auf der Bühne gestanden ist, auf den Leib geschneidert. Ich bin ein absoluter Fan von Habjans Puppentheater und habe schon viele seiner Stücke gesehen. Es ist aber immer wieder faszinierend zu beobachten, wie diese eigentlich total hässlichen Puppen zum Leben erweckt werden und dann so unterschiedliche Emotionen ausdrücken können. Chapeau!

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