„Albert Herring“ – eine köstliche Gesellschaftsparodie

Albert Herring

Benjamin Brittens 1947 in Glyndebourne uraufgeführte komische Oper ist eine wunderbar frische Satire auf die spießige Verklemmtheit einer englischen Kleinstadt. Ein 13-köpfiges Sänger*innen-Ensemble auf der Bühne und ein Kammerorchester, in dem 13 Musiker für den perfekten Britten-Sound sorgten, bescherten dem Premierenpublikum am 7. Dezember 2022 einen großartigen Opernabend. Tosender Applaus!

Elisabeth Pichler

Von Elisabeth Pichler

In dem fiktiven Küstenstädtchen Loxford in Suffolk wird jedes Jahr am 1. Mai ein tugendhaftes Mädchen zur „Maikönigin“ gekürt. Diesmal hat die Spenderin des Preises, Lady Billows, jedoch ein Problem. Das Sittenkomitee – bestehend aus Bürgermeister, Pfarrer, Polizeichef, Schuldirektorin und Lady Billows’ Haushälterin, Florence Pike – kann kein Mädchen finden, das für alle ein Vorbild an Sittsamkeit sein könnte. So fällt die Wahl auf Albert Herring, einen verklemmten jungen Mann, der im Gemüseladen seiner Mutter schuftet und sehr streng gehalten wird. Gibt es halt erstmals einen „Maikönig“.

Ein befreundetes Pärchen, Sid und Nancy, erlauben sich einen Spaß und schütten bei den Feierlichkeiten anlässlich der Krönung Rum in Alberts Limonade. Diese neue Erfahrung enthemmt den jungen Mann derart, dass er sich nachts heimlich aus dem Staub macht. Als er am nächsten Tag verschwunden ist, wird eine groß angelegte Suchaktion gestartet. Die Trauer ist groß, als der Siegeskranz überfahren auf der Straße gefunden wird. Doch Albert kehrt zurück, völlig ramponiert von einer wilden Nacht, in der er nichts ausgelassen hat. Seine Mutter muss zur Kenntnis nehmen, dass nichts mehr so sein wird, wie es einmal war.

Schon die Sitzung des Findungskomitees lässt tief blicken. Bürgermeister (Chanyoung Kim), Pfarrer (Xiaofei Liu), Polizeichef (Emil Ugrinov) und die Schuldirektorin (Hee-Kyg Park) benehmen sich nicht gerade tugendhaft, lüsterne Blicke und Flirt-Versuche sind nicht zu übersehen. Einzig Lady Billows (Katarina Radovanovic) und ihre beflissene Haushälterin (Miriam Bitschnau) sind über jeden Verdacht erhaben. Mrs. Herring (beinhart und geldgierig Génesis López da Silva) lässt ihr Söhnchen schwer arbeiten.

Drei übermütige Jugendliche (Maria Luisa Geladari, Anja Rechberger und Thorhildur Kristinsdóttir) setzen dem Muttersöhnchen ganz schön zu. Kaum schaut er weg, haben sie auch schon eine Flasche Alkohol stibitzt. Jakob Hubmer beeindruckt als Albert Herring mit enormer Bühnenpräsenz. Allein sein Blick spricht Bände, erst verklemmt, dann völlig überfordert in dem lächerlichen Hemdchen bei der Krönung. Als er jedoch nach durchzechter Nacht heimkehrt, strahlt er trotz seiner Blessuren bereits einen Hauch von Selbstbewusstsein aus. Schlechtes Gewissen plagt Nancy (Florentina Serles) und Sid (Jakob Mitterrutzner), haben sie doch durch ihren Alkohol-Mix Alberts Absturz verursacht.

Die völlig in Weiß gehaltene Bühne (Bühne und Kostüme: Yea Eun Hong) lässt sich mit ein paar Requisiten in ein Klassenzimmer, den Salon von Lady Billows, einen Krämerladen und schließlich die Polizeistation von Loxford verwandeln. Das Kammerorchester der Universität Mozarteum Salzburg unter der Leitung von Gernot Sahler serviert souverän Brittens vielfältige Verweise quer durch die Musikgeschichte. Jeder Figur wird dabei ein musikalischer Stil zugeordnet, wobei das Tragische ebenso mitschwingt wie das Heitere.

Alexander von Pfeil hat mit dieser spritzigen Inszenierung bewiesen, dass eine moderne Oper durchaus amüsant sein kann. Für Jänner 2023 ist mit „The Turn of the Screw“ eine weitere Oper von Benjamin Britten geplant.

„Albert Herring“ – Komische Oper in drei Akten von Benjamin Britten op. 39. Libretto von Eric Crozier nach einer Erzählung von Guy de Maupassant. Eine Veranstaltung des Departments für Oper und Musiktheater in Kooperation mit dem Department für Gesang und dem Department für Bühnen- und Kostümgestaltung. Musikalische Leitung: Gernot Sahler, Maria Galkina (12.12). Szenische Leitung: Alexander von Pfeil. Bühne und Kostüm:Yea Eun Hong. Dramaturgie: Malte Krasting. Mit: Julia Heiler / Katarina Radovanovic, Miriam Bitschnau / Jovana Timotijevic, Jungeun Oh / Heekyung Park, Xiaofei Liu, Chanyoung Kim, Elias Ruben Mädler / Emil Ugrinov, Jakob Mitterrutzner / Franz Schilling, Brett Pruunsild (Studierauftrag), Johannes Hubmer, Lucas Pellbäck (Studierauftrag), Vera Bitter / Florentina Serles, Livia Hübel / Génesis López da Silva, Maria Luisa Geladari / Anja Rechberger, Maria Luisa Geladari / Anja Rechberger, Thorhildur Kristinsdóttir. Kammerorchester der Universität Mozarteum Salzburg. Fotos: Universität Mozarteum Salzburg/ Judith Buss

Sie schätzen unsere Bühnenberichte?

Das freut uns. Noch nie hatten wir mehr Leser! Freunde helfen der Dorfzeitung durch ein Abo (=Mitgliedschaft). Wir sind sehr stolz auf die Community, die uns unterstützt!

Dorfzeitung - Merkantiles

Das Zeitungsprojekt “Dorfzeitung” ist seit 1998 online. Fast alle Beiträge sind noch immer verfügbar und das soll auch so bleiben. Da wir aber trotz allem Engagement für unabhängige Berichterstattung Rechnungen bezahlen müssen, geht es nicht ganz ohne Ihre Hilfe. Daher ist es notwendig, mit der Dorfzeitung auch etwas Geld zu verdienen. Wir haben uns zu einem für die Leser sehr kostengünstigen Abo-System entschieden.

Bitte werden Sie mit einem Abo zum Freund der Dorfzeitung!

Im Folgenden finden Sie einfache Möglichkeiten, wie Sie uns unterstützen können.
Ganz NEU: Ein Abo verschenken >

INSERT_STEADY_CHECKOUT_HERE


Diesen Artikel empfehlen. Teilen mit:

Visits: 16

Dorfladen

Kommentar hinterlassen zu "„Albert Herring“ – eine köstliche Gesellschaftsparodie"

Hinterlasse einen Kommentar

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*