Für einen Alleinunterhalter und Hamburger war Tirol nicht einfach. Ich verstand den Tiroler Dialekt schlecht, bis gar nicht. Auch war mir die Art des Umganges miteinander nicht vertraut. Mir wurde oftmals auf die Schulter geklopft. Einmal sogar mit den Worten: „Du bischt scho a Urviech, Gört.“
Ich spielte an jedem Wochenende im Festsaal des Goldenen Hirschen für fast ausschließlich deutsches Publikum. Zuerst traten die Stubaitaler Schnalzer, dann die Bramberger Klescher auf und zum Ausklang ich auf der Hammondorgel. Beim Zeiserlwirt spielte ich jeden Dienstag und Donnerstag. Ich sang unter anderem Heino und Freddy Quinn, was mit großem Jubel aufgenommen wurde.
Ich war im Goldenen Hirschen untergebracht. Ein kleines Personalzimmer. Neben mir wohnte Frieda, eine polnische Küchenhilfe. Sie riet mir, mich nicht unterkriegen zu lassen und erzählte mir, dass sie des Nachts besonders wild träume. Außerdem gäbe es in der Küche Ratten, aber wenn man das sagt, wird man rausgeschmissen.
An einem meiner freien Tage rief mich Anton von der Hotellobby an. „Du Gört, mogst amoi mitm Hubschrauber mitfliegn. Glei morgn. Da Fredi namad di mit zum Inspektionsflug.“
Ich hatte Fredi schon in der Hotelbar kennengelernt. Nach mehreren Zirbenschnäpsen hatte er uns etwas vorgejodelt und ich musste ihm nachjodeln, sehr zum Gaudium aller.
„Der deitsche Bazi kon sogoar jodeln“, rief er betrunken und prostete mir zu, samt Schulterschlag.
Ich sagte mit Freuden zu, da ein Flug im Helikopter eine Premiere für mich war. Abends, aufgewühlt von Gedanken an den bevorstehenden Flug, konnte ich schlecht einschlafen. Kaum war ich eingenickt, schreckte ich wieder auf. Traumfetzen umnebelten mich und ich entschloss mich, etwas Valium zu nehmen. Anschließend drehte ich mich in eine bequeme Lage und schloß die Augen.
Irgendwann klopfte es an meiner Tür. Fredi begrüßte mich mit den Worten: „Da schau, der deutsche Heino geht jetzt mit mir in die Lüfte. Du brauchst aber deine dunklen Glasln. Singa kaunst echt so wie er.“ Ich war überrascht, dass er mich abholen kam, doch folgte ihm sogleich.
Der Landeplatz war einige Minuten vom Hotel entfernt und ich trottete Fredi hinterher. „Tua weida, mir miasn aufi“, Kaum saß ich in der Maschine, stülpte er mir einen Helm über. „Do kinan ma redn mitanaunda per Funk.“ Kurz nach dem Start erklärte Fredi, dass der Hubschrauber ein Bell 505 sei und sich sehr gut für die Berge eignete. Ich nickte und musste feststellen, dass sich im Magen ein flaues Gefühl breit machte. Ich war über meinen Helm mit Fredi verbunden und ich konnte auch hören, wenn er mit Rosi von der Bodenstation sprach. Ich hatte sie kurz vor dem Abflug kennengelernt.
„Dö amerikanischen Kiwara fliagn a so an Hubschrauba“, ließ er mich wissen und die Rosi fragte er: „Gemma heit zammen tanzen, du Schnuckerl?“ Die Antwort war: „Geh hoit dein bledn Mund Fredi und schau, dass’d über die Berg kumst.“ Sie lachte.
Irgendwann, wir waren schon weit über den Berg und mir war nur noch flauer, sagte Fredi plötzlich: „Rosi hearst mi, mir gehts goar net guat…“ Zeitgleich sank er in sich zusammen und kippte leicht zur Seite. Ich war derart erschrocken, dass ich laut aufschrie.
„Wos treibst denn schon wieda, du Hiafla“, hörte ich Rosi sagen. „Frau Rosi, der Fredi ist zur Seite gekippt und rührt sich nicht mehr“, rief ich verzweifelt. „Segiert er wieda seine Mitfliega, der Depp. Gib eam an Rempler, den Sechter, den bledn.“
Ich verstand kein Wort. „Der Fredi ist ohnmächtig oder tot und ich kann keinen Hubschrauber fliegen“, schrie ich völlig außer mir. „Gib ehm an Rempler, der pflanzt de nur, der Züpfihuaba.“ Dann sagte sie plötzlich: „Mei, du bist ja a Deitscher. du verstehst jo nix. Tippe ihn an. Er macht nur Spaß mit dir.“ Ich tippte Fredi mehrmals an, doch der rührte sich nicht. „Er rührt sich nicht“, schrie ich völlig außer mir. „Mei du hast gestern so schön Heino gesungen. Ich habe zuaghört, gelauscht.“ „Ja, der bin ich. Bitte helfen sie mir“, flehte ich. „Fredi bischt wirklich so abgekackt, oda spüst di nur bled?“ Und zu mir: „Herr Heino, bitte entspanne dich jetzt. Wenn der Fredi nicht mehr kann, dann musst du jetzt den Hubschrauber steuern. Wir haben da so eine Notfall-CD. Ich lege sie dir auf, dann steuerst du genau nach den Anweisungen der Stimme. So werdet ihr sicher landen. Vielleicht erholt sich der Fredi ja wieder.“
Sie schien die Ruhe selbst zu sein. Mein Magen hatte sich völlig verkrampft und ich rang um Luft. Mehrmals schrie ich laut „Fredi“ und stieß ihn teilweise heftig an, doch er gab keine Lebenszeichen von sich. Ich wollte nicht in Tirol sterben und nicht in einem Hubschrauber. Ich war so ein Idiot. Warum hatte ich mich auf dieses blöde Abenteuer eingelassen. In meiner Panik und Verzweiflung hörte ich aus den Kopfhörern plötzlich beruhigende Musik, dann eine Stimme. „Ich weiß, dass du jetzt gerade Hilfe brauchst und niemand da ist, der dir helfen könnte.“ Ich nickte heftig. „Können sie mir helfen, dass ich den Hubschrauber landen kann.“ Doch die Stimme sprach unbeirrt weiter. „Jetzt bist du gefragt. Du wirst all deine Kräfte sammeln, um mitten in deinem Leben zu landen. Darum schließe jetzt deine Augen und konzentriere dich auf deinen Atem.“ „Warum soll ich jetzt die Augen schließen“, schrie ich. Ich war echt am Ende.
„Hör zu Herr Heino. Das ist die Notfall CD. Ich kann dir nicht helfen. Ich kann ja nicht fliegen.“ Es war Rosi, die sich wieder eingeschaltet hatte, während die Stimme von der CD unbeirrt weiter redete. „Laß mit jedem Atemzug deinen Streß abklingen. Fühle dich gewappnet für das was kommt.“ „Der Absturz“, schrie ich. „Ergreife das Steuer deines Lebens.“ Ich fasste nach dem Steuer des Helikopters. „Ziehe es in die Richtung deiner inneren Absichten.“ Ich drehte das Steuer herum, zurück zum Landeplatz. Doch nichts geschah. Der Hubschrauber flog unbeirrt weiter. „Laß dich von etwaigen Rückschlägen nicht aus deiner inneren Ruhe bringen. Sei unbeirrbar in deinem Tun.“ Ich riss verzweifelt am Steuerknüppel hin und her. Nichts geschah.
„Frau Rosi, hören sie mich? Der Helikopter reagiert auf gar nichts.“ In meinem Kopf drehte sich alles und mein Magen begann zu rebellieren. „Frau Rosi, es geht um mein Leben. Bitte melden sie sich!“ Nichts. Nur die Stimme vom Band. „Vertraue deiner Atmung. Sie wirkt beruhigend. Schicken deinen Atem zu jenen Teilen in deinem Inneren, die der Hilfe und Segnung bedürfen.“ Ich atmete zu meinem Kopf, zu meinem Magen, zu meinem ganzen Körper, der panisch zitterte. Als ich hilfesuchend nach draußen blickte, schien es mir, dass der Helikopter Kreise flog. Vielleicht schon die ganze Zeit. „Frau Rosi, hören Sie mich?“ „Tschuldigung, ich bin wieder da. Die Aufregung hat auf die Blase gedrückt.“ Sie kicherte. „Funktioniert es mit den Anweisungen, Heino? Wie geht es dem Fredi.“
„Frau Rosi, kann es sein, dass wir im Kreis fliegen?“ Es krachte mehrmals in der Leitung, dann rief Rosi: „Der Fredi hat doch noch den Autopiloten eingeschaltet, bevor es ihn umgeworfen hat. So ein Glück für Sie.“
In dem Chaos begann sich plötzlich Fredi zu bewegen. Er richtete den Kopf auf, dann ging ein Ruck durch seinen Körper und er sah mich an. „Mei, jetzt hoats mi glei a bisserl wegtuscht. Des muas da Zirbenschnaps gestern gwesn sein. Oba wia schaust den du drein? Du bischt kasweiß und zitterst.“
„Bischt jo eh wieda am Daumpfa“, hörte ich Rosi sagen, „da Heino hoat si schon gsorgt. Der wollt glei söba hoamfliegn.“
„Atme in dein Karma hinein, dann lösen sich alle Probleme von selbst. Laß dich fallen.“ Das war das Letzte was ich hörte, bevor ich ohnmächtig wurde.
Zu mir kam ich im Rettungswagen und empfangen wurde ich mit den Worten: „Do sama wieda. Is eh ois guat gaunga, Herr Heino. Ist der Fredi wieda amoi schnö gflogn, oder hoat er an Luping mit Ihna draht? Woins a Schnapserl auf den Schreckn bevors gleich aufwachn?“ Ich erwachte mit dem Wort „aufwachen“ und brauchte eine geraume Zeit um mich zu sammeln.
Es war ein Traum! Die Frieda aus Polen hatte mich ja gewarnt vor den wilden Träumen und ich war mir jetzt nicht mehr sicher, ob ich mit Fredi den Flug im Helikopter machen sollte.

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