
Autorin: Astrid Wagner
Titel: Es begann lange vor Oktober – Gespräche mit Menschen aus Palästina, Israel und Österreich
ISBN: 9783759793942
Verlag: BoD (Books on Demand)
Erschienen: Oktober 2024
Klappentext:
Astrid Wagner ist Strafverteidigerin und weiß, welch grausame Gewaltspiralen Unfreiheit, Unrecht und Unterdrückung auslösen können. Anhand der Lebenswege von Menschen aus dem Nahen Osten und Österreich zeigt sie auf, wie ein jahrzehntelang schwelender, eng mit der europäischen Geschichte verwobener und immer wieder blutig ausbrechender Konflikt die Schicksale einzelner beeinflusst.
Wir erfahren interessante, tragische und manchmal unfassbare Details, über die man in den etablierten Medien nichts lesen kann. Eine Kluft tut sich auf: zwischen der Lebensrealität von Menschen, die unmittelbar von Krieg, Gewalt und Tod betroffen sind, und der verzerrten Art und Weise, wie hierzulande darüber berichtet – oder vielmehr: geschwiegen – wird.
Dieses Buch vermag mitzureißen, man wird es kaum aus der Hand legen können, bevor man es fertig gelesen hat. Zugleich fördern die zahlreichen Interviews mit ganz unterschiedlichen Menschen neue Sichtweisen zutage, die zum Nachdenken anregen.

Rezension von Anni Lemberger
Am 7. Oktober 2023 griff die palästinensische Hamas eine Gruppe friedlich feiernder Menschen in Israel an, tötete viele Besucher einer Tanzveranstaltung sofort, entführte viele weitere und nahm sie als Geiseln. Weit über 1000 unschuldige Menschen waren betroffen. Bis heute sind nicht alle Geiseln freigelassen worden, obwohl die israelische Armee einen beispiellosen Krieg (auch) gegen die palästinensische Zivilbevölkerung führt.
Immer mehr Menschen weltweit fragen sich mittlerweile, ob die Befreiung der Geiseln überhaupt (noch) das vorrangige Ziel ist, oder ob die rechtsgerichteten Zionisten Israels rund um ihren Ministerpräsidenten Netanjahu nicht längst ganz andere Ziele verfolgen?
Die engagierte österreichische Strafverteidigerin Astrid Wagner wollte nicht länger wegschauen und schloss sich einer Gruppe an, die für die Freiheit Palästinas kämpft. Neben ihrem öffentlichen Kampf bei den „Pro-Palästina-Demonstrationen“ hat sie dieses Buch geschrieben und dafür mit Menschen verschiedener Ethnien und Religionen gesprochen.
Was für ein aufrüttelndes Buch, das die Erfahrungen der Autorin und ihrer Interviewpartner widerspiegelt.
Seit meiner Jugend beschäftige ich mich mit der Shoah, für die auch meine österreichischen Vorfahren mitverantwortlich sind. Seither gilt für mich (wie auch für einige meiner Freunde) der Satz: „Wir, die Nachgeborenen, sind nicht verantwortlich für diese Gräueltaten, aber wir sind verantwortlich dafür, dass so etwas nie wieder passiert“ – und damit schließe ich alle Menschen ein.
Trotzdem habe ich lange Zeit die Augen verschlossen, wenn über den sogenannten „Nahostkonflikt“ berichtet wurde. Ich wusste zwar, dass die „palästinensische Urbevölkerung“ durch die Ansiedlung von Juden in Israel aus ihren angestammten Gebieten verdrängt wurde, wollte mich aber nicht näher damit beschäftigen.
Nun bin ich aber schon vor der Veröffentlichung dieses Buches auf das „Pro-Palästina“-Engagement der von mir sehr geschätzten Buchautorin Astrid Wagner aufmerksam geworden – konnte ihr Anliegen aber in keiner Weise nachvollziehen.
Was mir aber gleichzeitig auffiel, waren die Vorwürfe in verschiedenen öffentlichen Medien, dass der Antisemitismus in Österreich wieder auf dem Vormarsch sei. Da kam mir das neu erschienene Buch von Astrid Wagner gerade recht, um diesen „neu aufflammenden Antisemitismus“ von dieser Seite zu beleuchten.
Aber: Selten habe ich nach der Lektüre eines Buches meine bisher durch die öffentliche Berichterstattung gefestigte Meinung so revidieren müssen. Denn schnell stellt der Leser dieses Buches fest, dass das Wort „Antisemitismus“ teilweise missbraucht wird, um die berechtigte Kritik an der Kriegsführung Israels im Keim zu ersticken.
Wer möchte schon mit unserer „Nazi-Großeltern-Generation“ auf eine Stufe gestellt werden? Wir, die Generation, die gerade dabei ist, die grausamen Judenmorde aufzuarbeiten, sollen schon wieder judenfeindlich sein?
Wie die Autorin und auch die von ihr Interviewten in diesem Buch betonen, funktioniert diese Schuldzuweisung sehr gut: Denn die öffentlichen Medien zeigen oft die israelischen Opfer der Terrororganisation Hamas, aber sie zeigen kaum Bilder der verfolgten und vertriebenen Zivilbevölkerung Palästinas, kaum Bilder von den Tausenden Toten und den zerstörten Gesundheitszentren. Wer es wagt, Bilder der, um ein Vielfaches höheren Opferzahlen auf palästinensischer Seite zu zeigen, wird vorschnell als Antisemit verunglimpft.
Und an den Demonstrationen in Österreich nehmen auch „antizionistische“ Juden teil. Auch das wird von den Medien gerne verschwiegen, denn viele Juden distanzieren sich von den immer weiter nach rechts driftenden Zionisten Israels. Und immer mehr eingebürgerte Zionisten besiedeln widerrechtlich fremdes Land und verdrängen die palästinensische Urbevölkerung immer weiter. Die Begriffe „Genozid“ und „ethnische Säuberung“ werden im Buch verwendet, um zu beschreiben, was der Krieg den Menschen in Gaza antut.
Eine der interviewten Frauen, Dalia Sarig, deren Großeltern von den Nazis vertrieben wurden, wird zitiert: „Sie liest den Treueschwur der befreiten Häftlinge des KZ Mauthausen vor: Solange wir können, werden wir dafür kämpfen, dass das, was uns widerfahren ist, nie wieder einem Menschen widerfährt“. (S.294).
Gilt das nicht für die palästinensische Bevölkerung oder werden sie nicht als Menschen gesehen, muss ich mich als Leser dieses Buches fragen?
Ein absolut aufrüttelndes Buch, schwer zu ertragen, aber ich kann es jedem empfehlen, der die Wahrheit sucht. Allerdings möchte ich darauf hinweisen, dass parallel zu diesem Buch unbedingt die historischen Fakten recherchiert werden sollten: Angefangen von der Diaspora der Juden, über die „Aneignung“ des heutigen Israel durch die Engländer – ein Land, das nie zu England gehört hat – bis hin zu den Kriegen der Gegenwart.
Nur wer beide Seiten objektiv betrachten kann, versteht, was in diesem Krieg geschieht, wer die wahren Opfer sind und welche Verantwortung Europa dabei trägt.

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