
Autor: Birgit Schwaner
Titel: Alice und ich
Genre: Belletristik/Erzählende Literatur
Verlag: Klever-Verlag
ISBN-10: 3903110981
ISBN-13: 978-3903110984
Erschienen: 12. Dezember 2024
Klappentext:
Kurz vor Neujahr landet die Erzählerin dieser Aufzeichnungen im Krankenhaus. Hier begegnet sie der schillernden Künstlerin Alice – einer veritablen Namensvetterin von Lewis Carrolls „Alice in Wonderland“. Carrolls Figur Alice war 1941 von französischen Surrealisten zur Sirene des Traums ernannt worden.
Nun, 84 Jahre später, während draußen der erste Tag des Jahres 2015 mit Böllern und Donauwalzer begrüßt wird, bringt Alice im Krankenzimmer eine Sirenenmaschine ins Spiel, mit deren Hilfe man sich, zumindest im Kopf, aus der bedrückenden Lage einer Patientin befreien könne. Selbst angesichts der schwerwiegenden Diagnose Eierstockkrebs, mit der sie und die Erzählerin zurechtkommen müssen.
Keine Frage, ein solcher Versuch, der Spitalswirklichkeit und der Angst vor einer tödlichen Krankheit zu entfliehen, muss am Ende scheitern. Wie alles. Aber vorher wird die Kunst zur Überlebenskunst, das Schreiben zur Möglichkeit, der Realität ein Schnippchen zu schlagen.

Buchrezension von Wolfgang Kauer
Dieser – gemäß eigenem Bekenntnis – durchwegs autobiografische Text spiegelt in collageartig versetzten Gedankenschüben Unsicherheiten und Ängste, denen man bei einer schweren Krebsdiagnose ausgesetzt ist. Die Ich-Erzählerin, bewaffnet mit dem Wortschatz des Märchens und der Idylle und als Schriftstellerin gewohnt, Herrscherin über ihr eigenes Sprachvermögen zu sein, prallt in der Krankenstation auf medizinische Fachsprache, von deren Realitätsnähe sie regelrecht erdrückt wird. Um die eigene Resilienz zu schützen vor der Übermacht medizinischen Vokabulars, welches um jeden Konjunktiv des Hoffens gebracht Anatomien, Diagnosen, Medikamente und Behandlungsarten präzisiert, klammert sich ihr Ich leitmotivisch an vertraute sprachliche Talismane, wie Schnee-Eule, Mondfisch und Plüschhase.
Doch die eigenen Sprachwelten geraten zunehmend ins Wanken, augenscheinlich in der Neigung zu Satzfragmenten, Wortumkehr und dem Verlust an korrekter Silbenzugehörigkeit. Von vornherein scheitert die Ich-Erzählerin am Versuch, die Sprache der Ärzte zu übernehmen, verknüpft sie doch alles mit Ekelgefühlen, was sie eigentlich retten sollte. Lebhaft stellt sie sich vor, was die Ärzte in ihrem Bauch vorfinden und daraus hervorholen werden und was sie in der Folge für ein befreites Weiterleben verlieren könnte, etwa ihre Gebärfähigkeit. Da sie, die Sensible, einer solchen Konfrontation nicht gewachsen ist, zerfallen ihr die Märchenbilder im Kopf und werden von Sekreten des Ekels durchtränkt. Kurz vor der alles entscheidenden Operation nimmt ihr zudem eine Patientin namens Franticek eine jede Hoffnung, indem sie eine von der Erzählerin angebotene Speise mit den Worten zurückweist: „Genießen Sie’s, solang Sie noch können. Bald ist es sowieso vorbei“ (S.84).
Ein letzter Strohhalm ist die Freundschaft mit Alice, der Bettnachbarin aus dem ersten ihr zugewiesenen Krankenzimmer. Alice erweist sich als robuster, wehrt sich mit allen Mitteln gegen das mit der Erzählerin geteilte Schicksal „Eierstockkrebs“. Dies geschieht vor allem durch befreiend wirkendes Notieren von Einfällen. Traumeingebungen sowie André Bretons „Écriture automatique“, d.i. assoziatives Schreiben, das Unbewusstes ins Bewusstsein holt, verleihen Alice Überlebenskräfte. Sie antwortet auf absurde Realitäten im Krankenhaus/Krakenhaus mit ebenso absurden, aber die Seele heilenden Neologismen. Aus „Alice im Wundenland“ darf so wieder eine „Alice im Wunderland“ werden.
Wie ist Alice mit surrealen Schreibtechniken in Kontakt gekommen? Es geschah durch Mutter Lucy, der die Autorin den kubanischen Maler Wifredo Lam begegnen lässt, und zwar im Marseille des Jahres 1941. Ihren Namen hat Tochter Alice nach einer von Lam gemalten Alice-in-Wonderland-Tarotkarte erhalten, in der er und der Freundeskreis um den französischen Surrealisten André Breton eine „Sirene des Traums“ sahen. Mutter Lucy fasst schließlich in Wien fuß und entwickelt aus traumwandlerischen Eingebungen die „Sirenenmaschine“, ein simples poetisches Verfahren, das zwei Nomen, die sich teilweise überlappen, zu einem neuen Kompositum zusammenfügt und daran wieder Komposita reiht, die die Überlappungen fortschreiben. Mithilfe des Notierens von verspielten Formulierungen schafft sich nun ebenso ihre Tochter Alice eine Gegenwelt.
Verzweifelt versucht inzwischen auch die Ich-Erzählerin, die Schreibtechnik „Sirenenmaschine“ zu übernehmen, um marternde Ängste überwinden zu können. Besteht Hoffnung, dass sie die OP am Eierstock überlebt? Etwa aufgrund ihrer Jugend? Birgit Schwaner präsentiert uns erstmals kein Buch, das tröstet. Aber müsste es das, wenn hinter der nächsten Tür Gevatter Tod auf eine(n) wartet?

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