Adolf Hitler kam aus Braunau am Inn. Die kleine Stadt in Österreich würde das gern vergessen. Erst recht jetzt, wo es neue Gerüchte gibt: über einen Russen, der die Geburtsstätte des Diktators kaufen möchte.

Von Cathrin Kahlweit
Braunau – Vieles wäre leichter gewesen, wenn Braunau nicht Braunau hieße. Schöntal vielleicht oder Sonnenberg, irgendetwas Heiteres im Namen hätte sicher geholfen, davon ist man in der Stadt überzeugt.
Aber Städte können sich nun mal nicht so leicht umbenennen, und so trägt der kleine Ort am Inn nicht nur die Farbe der Nationalsozialisten in seiner ersten Silbe und etwas Düsteres dazu, sondern auch einen zweiten Makel. Eine „Punze“ nennen sie das in Braunau: Adolf Hitler ist hier geboren. Salzburger Vorstadt Nummer 15, einen Katzensprung vom Zentrum.
Die Einheimischen kennen das zur Genüge. Und natürlich fragen die Fremden, die Touristen nach der heimlichen Sehenswürdigkeit. Manchmal lässig: „Ey, wo ist denn hier die Hütte vom Führer?“ Andere politisch: „Wo steht das Haus, in dem der größte Verbrecher der Menschheitsgeschichte zur Welt kam?“ Manchen sieht man an, dass sie gern eine Kerze anzünden würden, andere bummeln nur schnell vorbei und schauen eilig, verschämt an der gelben, leicht vergammelten Fassade hinauf. Vergitterte Fenster unten, bröckelndes Mauerwerk im ersten und zweiten Stock, hinter dem Haus ein überquellender Mülleimer und ein Parkplatz, ein unbeschriftetes Klingelschild. Neben dem Haus eine hölzerne Imbissbude. Offenbar setzt der Betreiber auf Passanten, die nicht demonstrativ stehen bleiben wollen und deshalb bei einem Glühwein und Keksen starren: auf den verblassten Schriftzug „Volksbücherei Braunau“ und das verschlungene MB im Schmiedeeisen über dem Tor. MB – für Martin Bormann, Reichsminister und Privatsekretär Hitler…
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Markus Metz: Die Diskussion um Adolf Hitlers Geburtshaus aus der Sicht eines Auslands-Braunauers
Ich bin gebürtiger Braunauer, 27 Jahre alt und habe dort 20 Jahre meines Lebens verbracht, bis ich 2006 meinen Gedenkdienst in Yad Vashem, der nationalen Holocaust Gedenkstätte Israels, angetreten habe. Damals sind Zeitungsartikel in Braunauer Lokalzeitungen mit Titeln wie „Erster Gedenkdiener aus Braunau leistet Zivildienst in Israel“ erschienen. Es war für mich sehr interessant zu beobachten, wie die Menschen in Israel und speziell in Yad Vashem darauf reagierten, wenn sie hörten, dass ich aus Braunau komme. Jene, die Braunau kannten, reagierten überrascht und interessiert! „Gibt es das Geburtshaus noch? Was ist jetzt in dem Geburtshaus?“, lauteten einige der Fragen. Schon damals hätte ich mir gewünscht, dass ich auf solche Fragen antworten kann: “Das Geburtshaus ist nun ein ‚Haus der Verantwortung‘!“ Nach einem Biochemiestudium in München bin ich seit 2010 wieder in Israel, um mein Studium fortzusetzen, und ich höre nach wie vor dieselbigen Fragen.
Die Berichterstattung über die Nutzung des Geburtshauses ist auch nach Israel vorgedrungen. Und ich kann Braunau beruhigen: Die jüdische Bevölkerung Israels ist Österreich sehr wohlgesonnen. Man hat Österreich für die Mitschuld am Holocaust schon lange vergeben. Man macht Braunau natürlich keine Vorwürfe, man erwartet auch keine Demutsgesten. Die Israelis lächeln nur über die scheinbare Ratlosigkeit der kleinen Provinzstadt. Ein selbstbewussteres Auftreten nach außen würde da Braunau nicht schaden.
Auch wenn die Weltöffentlichkeit die Sache gar nicht so eng sieht – zumindest die Israelis nicht – ist es mir als Braunauer ein Anliegen, diese Chance, die wir jetzt haben, nicht zu verspielen.
„Haus der Verantwortung“ ist meines Erachtens ein ausgesprochen schöner Begriff. Dieser Name allein sagt im Prinzip schon alles. Jeder Mensch ist dazu aufgefordert, verantwortlich zu handeln. Jeder Mensch hat Verantwortung für seinen Nächsten. Und auch Braunau ist dazu aufgefordert, verantwortlich zu handeln. „Verantwortung“ bedeutet für Braunau, dass die Stadt durch den geschichtlichen Zufall die Verantwortung geerbt hat, für die Weltöffentlichkeit ein bedeutungsvolles Zeichen zu setzen. Nicht mehr und nicht weniger.
Ich möchte nicht länger auf meine Heimatstadt angesprochen werden und antworten müssen, dass man dort nicht so recht weiß, wie man mit dem unerwünschten Erbe umgehen soll. Ich möchte antworten können: Dort steht nun das „Haus der Verantwortung“. Die positive Strahlkraft solch eines Namens darf nicht unterschätzt werden.
Es liegt nun in Braunaus Händen, was die Menschen außerhalb Österreichs über Hitlers Geburtshaus zu hören bekommen!
Markus Metz in der Dorfzeitung:
Erster Braunauer Gedenkdiener beendet seinen Dienst in Yad Vashem, der nationalen Holocaust Gedenkstätte Israels.
danke für diesen hervorragenden beitrag!
Ein höchst informativer Artikel, den hoffentlich auch alle Lamprechtshausener (das Dorf ist ja eine der ganz wenigen Gemeinden, in denen 1934 ein Putschversuch stattfand) gelesen haben! Dieser Beitrag passt sehr gut zu: Entnervt – Debatte um Hitlers Geburtshaus will nicht enden von Norbert Mappes-Niediek. Ein Dankeschön auch an die Dorfzeitung, die diese Texte publiziert!