Ein guter Song soll eine Geschichte erzählen können, bei instrumental vorgetragenen Stücken wird es schon ein wenig schwieriger. Da geht es in erster Linie darum, die fehlenden Worte in Töne zu übersetzen, die Dramaturgie der Geschichte in Tonart, Tempo, Stil, Gefühl und sogar Pausen auszudrücken.
Von Leo Fellinger
Einer, der das beherrscht wie kaum jemand anderer, ist Martin Listabarth. Auf seiner zweiten Veröffentlichung “Dedicated”, mit dem er als Piano Solo Programm derzeit durch die Lande tourt, kehrt er den impressionistischen und introspektiven Storyteller hervor und zeigt in knapp siebzig Minuten auf beeindruckende Weise seine instrumentale Virtuosität und seinen kompositorischen Einfallsreichtum. Dabei gelingt es ihm, eine Reihe von sich überschneidenden Emotionen auszudrücken, auf die er bei der Schaffung seiner komplexen und fesselnden Stücke zurückgreift.
Der Wiener Jazzpianist verwendet als Ausgangspunkt seiner musikalischen Reise die Geschichten von zehn Menschen, die ihn fasziniert und somit auch inspiriert haben. Darin finden sich sowohl reale als auch fiktive Persönlichkeiten wie Hercule Poirot, Michael Köhlmeier oder Diego Maradona, den Zauberkünstler Basilio Calafati, die Malerin Marianne Werefkin und den britischen Mathematiker und Kryptoanalytiker Alan Turing, um nur einige zu nennen. Bei letzterem formt er eine Grundmelodie aus dessen Sterbedatum, also immer den jeweiligen Ton aus der Tonleiter: 7-6-1-9-5-4 (wie das mit der 9 funktioniert, hab ich wahrscheinlich nicht verstanden, da ja eine Tonleiter nur 8 Töne hat….).
Eine ganz andere Inspiration holt er sich von den peruanischen Nasca-Linien, diese riesigen Zeichnungen in der Landschaft, die noch immer ein ungelöstes Geheimnis sind und erst aus großer Höhe decodiert werden können. Es gelingt Listabarth, diese Höhenunterschiede, die unterschiedlichen Perspektiven in nachvollziehbare Klänge zu verwandeln. Melancholisch und von einer tiefen und mitreißenden Romantik erfüllt. Seine dichten und geschwungenen Linien mischen klassische Eleganz und eine warme Lyrik. Mit seiner spontanen Akrobatik und seinen ausladenden Arpeggien schafft er eine strukturierte Melodie, die gleichzeitig dunkel getönt und hell schimmernd ist. Sphäre für Sphäre erklimmt man als Zuhörer die Höhe, um dann endlich die Motive zu erkennen – oder besser gesagt – zu erhören.
Bei Calafati’s Carousel begleiten wir den Pianisten dann in den Wiener Prater, um mit ihm im Ringelspiel zu erleben, wie nah einander Leichtigkeit und Übelkeit kommen können beim schnellen Drehen. Rastlose Akkorde erzeugen eine soundtrackartige Atmosphäre, manchmal mit einer einlullenden Verspieltheit, manchmal mit einer unglaublichen Dichtheit. Bei Fairy Tales and Myths, das dem Dichter Michael Köhlmeier gewidmet ist, eröffnet Listabarth mit einem grüblerischen Fragespiel, gefolgt von lieblicher Poesie, beschwingte Gelassenheit kennzeichnen sein geschmeidiges Klavierspiel. Er versteht es meisterhaft, die ruhige und wehmütige Stimmung mit einer aufregenden und drängenden Eindringlichkeit zu versehen. Überhaupt verwebt er die Einflüsse von Jazz, klassischer und Filmmusik in fein abgestimmter Dramatik zu einem authentischen Tuch, mit dem nur er sich einhüllen kann.
Zusammengefasst: Mit “Dedicated” zeigt Martin Listabarth sowohl seinen charmanten Erfindungsreichtum wie auch seinen reifen und einzigartigen Stil. Diese Attribute führen zu einem enorm stimmigen und thematisch einheitlichen Konzertprogramm, das alles enthält: Anmut, Zartheit und Einfachheit ebenso wie Momente der solistischen Brillanz. Er hat die Fähigkeit, ein Publikum tief zu bewegen, die funkelnde Musik ist ständig im Fluss und verändert sich auf eine Art und Weise, die den Zuhörer sowohl fesselt als auch lächeln lässt. Und selbst wenn der Komponist nicht auf äußerst charmante Weise seine Hinter- und Beweggründe der einzelnen Stücke beschreiben würde – es bliebe immer noch wunderbar auskomponierte und virtuos vorgetragene Musik….
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