In Juli Zehs schräger Komödie geht es um überzogene Sicherheitsbestrebungen und Panikmache, denn seit 9/11 ist die Angst vor Terror allgegenwärtig. Alex Linse hat die grelle Farce als bizarres Kammerspiel inszeniert und sorgt damit, seit der Premiere am 24. Februar 2023, stets für ein volles Haus. Gratulation an das großartige Ensemble.
Jochen Dürrmann, Elitepolizist der GSG9 (Grenzschutzgruppe 9 der Bundespolizei), ist ein echter Glückspilz, ist es ihm doch gelungen, vor einem Frankfurter Blumenladen einen international gesuchten Terrorverdächtigen festzunehmen. Mit Hilfe des jungen, türkischstämmigen Polizeianwärters Cem bringt er ihn aufs Revier. Hier soll er nun vernommen werden, doch er mauert und schweigt beharrlich.
Die Euphorie über den Fahndungserfolg ist so groß, dass niemand merkt, dass es sich bei dem mutmaßlichen Al-Kaida-Kämpfer um einen großen Kaktus handelt. Wie gut, dass er wenigstens einen Ausweis bei sich trägt. Carnegiea Gigantea klingt verdächtig, könnte aber auch ein Deckname sein. Mit allen möglichen Tricks versuchen die beiden, ihn zum Sprechen zu bewegen, spielen „Good cop, bad cop“, doch weder Verbrüderungsversuche noch Gewaltandrohung führen zum Erfolg.
Polizeianwärterin Susi, die für Bürgerengagement wirbt und sich für alle möglichen Rechte einsetzt, stellt ständig lästige Fragen nach den Grenzen des Rechtsstaates. Als Dr. Schmidt, Polizeioberrat vom BKA, auftaucht, weht sofort ein anderer Wind, denn nun ist Schluss mit leeren Drohungen, jetzt wird gehandelt. Sie meldet Gefahr im Verzug, denn ein Anschlag auf den Flughafen sei geplant. Jetzt wird abgestimmt, ob nicht Folter ein durchaus legitimes Mittel wäre, um Menschenleben zu retten.
Die kleine Bühne, eigentlich der Aufenthaltsraum für die Polizeianwärter, ist mit dem Zuschauerraum fast verwachsen, sodass ein praktisch hautnaher Kontakt mit der kuriosen Befragung der Carnegiea Gigantea gegeben ist. Jakob Kücher glänzt als Jochen Dürrmann (GSG9 Agent) mit Spitznamen Dürrminator. Er versucht stets, wie ein Elitesoldat zu handeln, blitzschnell und kalt berechnend, seine Unsicherheit vertraut er nur dem Wasserspender an. Seine „krass geile Uniform“ imponiert Cem, dem einfachen Streifenpolizisten, schwer. In dieser Rolle überzeugt Thomas Pfertner mit einem herrlich unbedarften Blick. Er hat zwar nur Hauptschulabschluss, wirkt aber von der ganzen Truppe am sympathischsten. Seine Kollegin Susi, „die Süße“, (Diana Paul) hat hingegen Abitur und das lässt das ständig raushängen. Sie ist aber eindeutig die moralische Instanz in diesem Stück. Anja Clementi gibt den beinharten Polizeioberrat Dr. Schmidt, dem sich keiner zu widersetzen wagt, was aber verheerenden Folgen nach sich zieht.
Juli Zeh, die selbst 2008 beim deutschen Bundesverfassungsgericht eine Beschwerde gegen den biometrischen Reisepass eingereicht hat, plädiert „für ein Menschenbild, das den Menschen nicht grundsätzlich als potentielle Gefahr für sich und andere betrachtet“. Ihre Satire über einen harmlosen Kaktus, der in Verdacht gerät, ein gefährlicher Terrorist zu sein, wurde von Alex Linse, dessen Stimme im Stück nur aus dem Off zu hören ist, als schräges Kammerspiel, das viele Klischees bedient, in Szene gesetzt. Ein Abend, der auf unterhaltsame Weise die Grenzen des Rechtsstaates gnadenlos offenlegt.
„Der Kaktus“ – Farce von Juli Zeh. Regie und Bühnenbild: Alex Linse. Bühnenbau: Harald Schöllbauer. Ausstattung: Florian Strohriegl. Technik: Jonas Meyer-Wegener. Mit: Anja Clementi, Diana Paul, Jakob Kücher, Thomas Pfertner, Alex Linse, Tobias Gadringer, Sebastian Gebhard. Fotos: OFF Theater © Taro Ebihara
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