Schnaps, Kaffee, Zeitung, Fenster auf, Fenster zu, Ruhe – darauf reduziert sich die Kommunikation zwischen Geesche und ihrem ersten Mann Miltenberger. Wir befinden uns in Bremen zwischen 1820 und 1830. Diese Ehetragödie glauben wir heute, 150 Jahre später, als nicht mehr zeitgemäß getrost abhaken zu können.
Von Ulrike Guggenberger
Was will diese Geesche, die rohe, gewalttätige Männer, Ehemänner und unbequeme KritikerInnen mittels kleiner weisser Kügelchen im Kaffee mund(mause)tot macht? Sie will etwas, was auch heute noch keine Selbstverständlichkeit ist: Selbstbestimmt leben und das noch dazu als Frau!
Sie spürt instinktiv „ … das war kein Leben, das Mutter führte“, und lässt sich – auch mit Gewalt – nicht einreden: „ … du denkst zuviel, das strengt das hübsche Köpfchen an“. Solche gut gemeinten Ratschläge von Männern dienen nur deren eigener Bequemlichkeit, von Geschlechtsgenossinnen aber deren eigener Beruhigung.
Die Verhältnisse im Fassbinder Stück spitzen sich zu. Geesche wird von allen Seiten immer mehr in die Enge getrieben. Da sich ihre Befreiungsphantasien, ihre für die damalige Zeit unpassenden sexuellen Wünsche und ihr Streben nach geschäftlicher Unabhängigkeit nicht verwirklichen lassen, führt das dazu, dass sie wie ein eingesperrtes, rasendes Tier ihre Brut tötet. Von diesem Augenblick an hat sie nur mehr bedingt mit den Sympathien des Publikums zu rechnen. „Mir ist es wichtig verständlich zu machen, warum diese Frau Täterin wird“, erklärt Regisseur Reinhard Tritscher.
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„Gut ist die Geesche nicht,…sie ist auch keine erste Frauenrechtlerin, aber es ist trotzdem wichtig, dass eine aufsteht und sich wehrt…“ so äußert sich Ulli Fißlthaler, die Hauptdarstellerin zu ihrer Rolle. „Sie hat Mut und Courage und spricht aus, was sie denkt, und versucht zu leben, was sie leben will“, darin liegt die Faszination dieser Frauenfigur für Wolfgang Mayr. Er scheint für aufmüpfige Frauenzimmer ein besonderes Interesse zu haben. Das ebenfalls von ihm erarbeitet Stück „Erde“ von Ludwig Anzengruber oder auch „Magdalena“ von Ludwig Thoma, lassen das vermuten.
„Ich musste eine Rolle spielen, die heute so nicht mehr gelebt werden kann, ich habe mich nicht sehr wohl dabei gefühlt“, sagt Roman Ferrari, der zweite Ehemann von Geesche.
Das spürt auch der Zuschauer. Die Männer haben sich allesamt schwer getan mit ihrer groben, rücksichtslosen Rolle. Geesche spielt ihren Part autonom und ausdruckstark. Weil sie sich mit ihrer Rolle identifizieren kann, spielt sie die Männer an die Wand. Den zwei anderen Frauen im Stück, Mutter und Freundin Luise, gibt der Autor viel persönliches Profil. Schade, sie setzen diese starken persönlichen Eigenschaften nur ein um ihr Verhalten bedingungslos an die Gesellschaft anzupassen. Die darstellerische Leistung von Martina Kardeis und Gerhilde Heißel bringt diese vergeudete persönliche Stärke gut zum Ausdruck.
Immer wiederkehrende Schlüsselszenen werden von Reinhard Bitzinger musikalisch hervorgehoben. Seine vibrierende Musik spiegelt viel von der seelischen Anspannung der Heldin wider.
Das Bühnenbild erscheint im Gegensatz zum hochdramatischen Inhalt des Stückes sehr geglättet und geschönt, was wiederum den gesellschaftlichkritischen Sachverhalt verdeutlicht : „Es trügt der schöne Schein.“
Mayr wollte übergeben, Tritscher hat gerne angenommen. Wolfgang Mayr kann auf seine Theaterarbeit, die mit dem Franz Eberherr Preis ausgezeichnet wurde, stolz sein. Sein Entschluss sich zurückzuziehen entstand aus dem Wunsch, mit einer neuen Person dem Theater einen frischen Impuls zu geben.
In Einem ergänzen sich die Wünsche des scheidenden Regisseurs Wolfgang Mayr und des momentanen Gastregisseurs Reinhard Tritscher im Antheringer Laientheater sicherlich:
Mayr war Mitbegründer der Elisabthbühne, 1980 übernahm er das Antheringer Laientheater. Mayr spürt, dass in sperrigen Stücken viel unbequeme Wahrheit, aber auch starke Aussagekraft liegt. Inszenierungen wie „Besuchszeit“ von Felix Mitterer zählen zu seinen größten Erfolgen. Das Stück „Bremer Freiheit“ hat Mayr noch ausgesucht. „.Ich mag Fassbinder, er macht geradliniges, dramaturgisch wunderbar gebautes Theater.“
Reinhard Tritscher fühlt einen besonderen Zugang zu Menschen in bestimmtem gesellschaftlichen Konstellationen. Die Geschichte der Bremer Geesche entspricht seinem künstlerischen Programm, worin es immer wieder um das „Aufzeigen von Zwängen in einem bürgerlichen Wertesystem geht – gleichgültig ob es einen Mann oder eine Frau betrifft“.
Reinhard Tritscher arbeitet schon seit Jahren vorzugsweise mit engagierten Amateuren, die Schauspieltruppe von Anthering hat einen ausgezeichneten Ruf. Dieses Kompliment ist auch an Wolfgang Mayr gerichtet. Tritscher schätzt die Arbeit mit Bühnen am Land aus besonderen Gründen. Das gemischte Publikum, das sich, wie hier in Anthering, aus städtischem und ländlichen Publikum zusammensetzt, empfindet Tritscher als stimmig für die Aufführung seiner Stücke. Die geschichtliche Vergangenheit ist am Land oft noch stärker spürbar, das erhöht die Erlebnisfähigkeit des Publikums. Das Theater kann selbstverständlich keine allgemeinen Wahrheiten anbieten, besitzt aber als Ort der Kommunikation eine hohe Bedeutung. Das richtige Stück am richtigen Ort zu inszenieren ist ein wesentlicher Aspekt für die Theaterarbeit. Seit neunzehn Jahren arbeitet Tritscher auch mit Behinderten und macht Theater mit ihnen.
Premiere im Antheringer Kulturraum am 21. März 2003 / Regie und Bühne: Reinhold Tritscher / Besetzung: Geesche Gottfried, zuletzt Unternehmerin – Ulli Fißlthaler; Miltenberger, ihr erster Mann – August Liebenwein; Timm, ihr Vater – Hermann Lechner; Mutter – Gerhild Heißel; Gottfried, ihr zweiter Mann – Roman Ferrari; Zimmermann, ein Freund – Friedi Lebesmühlbacher; Rumpf, ein Freund – Josef Steiner; Johann, ihr Bruder – Thomas Ehinger; Bohm, ein Vetter – Günther Havriluk; Luisa Mauer, eine Freundin – Martina Kardeis; Pastor Markus – Engelbert Havriluk
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