Es war einmal ein schöner Nachmittag im März. Ich saß gemütlich im Caffè C., genoss einen Eiskaffee und dachte nichts Böses. Die Zeitung hatte ich schon gelesen, ich blinzelte in die Sonne. Ein Schatten verdunkelte meine Aussicht, und eine wunderschöne, elegante Klapperschlange stand vor mir.

Von Michael Honzak
Seekirchen
Ich erschrak. „Ist bei Ihnen noch frei?“, zischte sie, und ich bejahte. Sie bestellte einen Tomatensaft, und wir kamen ins Gespräch. Die Salzburger Festspiele waren ihr zu bombastisch, sie mochte lieber Jazz. Ich spitzte die Ohren. Eine Klapperschlange, die Jazz mochte? Was sie wohl zu Jackson Pollock sagen würde? Ja, der gefalle ihr ausgezeichnet, besonders die Auffassung, der Ursprung der Kunst liege im Unbewussten, habe sie sehr beeindruckt. Ich merkte, wir waren auf einer Linie. Bei Spinoza ließ sie mich allerdings ein bisschen hängen. Dass die Unendlichkeit Gottes ihn überall und nirgends sein lässt, war ihr zu agnostisch. Ich bestellte zwei Gläschen Frascati, und beim Anstoßen blickte sie mir tief in die Augen. Ihre waren graugrün – meine Lieblingsfarbe.
Die nächste Runde bestellte Anita, so hieß sie. Ich vergaß langsam, dass sie eine Klapperschlange war, ja, mir schien sogar, dass ich mich anfangs unserer Bekanntschaft geirrt hatte. Ein kleiner Grappa kam zur rechten Zeit. Sie flüsterte mir ins Ohr, ich sei ihr sehr sympathisch, und dass ich Buchhändler sei und gerne schreibe, fand sie äußerst interessant. In der Architektur vermissten wir beide die Farbe. Auch der Gedanke, dass Zivilcourage und Mut zu Neuem in unserer Gesellschaft selten seien, war uns beiden vertraut. Dass sie alleinstehend war, wusste ich schon, und als wir gingen, nahm ich sie mit nach Hause.
Im Auto lächelte sie mich an, und ihre Zähne glänzten im Mondenschein. Sie schienen mir etwas zu lang für ihr sonst so ebenmäßiges Gesicht, doch ein zarter Kuss verwischte meine Bedenken. Bill Evans spielte für uns – My Romance – und ich hatte mich verliebt. Ihre Haut war glatt und kühl. Bei der ersten Umarmung hatte ich das Gefühl, umschlängelt zu werden, doch es war schon zu spät. Sie biss mich in den Hals, und ich spürte, wie sich alles entfernte. Ich fing an zu schweben, zu zerfließen – ich wurde Musik, ich wurde das Haus, breitete mich in den Garten aus, kannte keine Grenzen mehr, wurde Natur, wurde Wiesen und Wolken, wurde der Wind. Ich dachte noch einmal an Spinozas Unendlichkeit, an meinen Buchladen, an die Liebe – und dann schwanden mir die Sinne.
Heute sitze ich wieder im Caffè C. und denke an dieses Abenteuer, bei dem ich gerade noch davongekommen bin. Viel ist mir nicht passiert, ich muss die Klapperschlange wohl irgendwie beeindruckt haben, sonst wäre diese Geschichte wohl dramatischer ausgegangen. Vor Klapperschlangen mache ich in Zukunft einen großen Bogen – obwohl der unendliche Gott Spinozas auch in einer Klapperschlange ist. Als sich jedoch am Nebentisch ein Eichhörnchen niederließ, verließ ich fluchtartig das Kaffeehaus. Von Tieren hatte ich eine Zeit lang genug.

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