Autorin: Helena Adler
Titel: Miserere – 3 Texte
ISBN: 978-3-99027-407-1
Verlag: Jung und Jung
Erschienen am 11.7.2024
Klappentext:
Am 5. Januar 2024 ist Helena Adler gestorben, mit vierzig Jahren, viel zu früh. Für drei Bücher hat die Zeit gereicht, und mit diesen Büchern, vor allem aber mit »Die Infantin trägt den Scheitel links« ist es ihr gelungen, sich in die Geschichte der neueren deutschsprachigen Literatur einzuschreiben.
Mit überschäumender Sprachlust, mit unbändigem Wortwitz, auf Leben und Tod und mit Hohn und Spott und Zähnen und Klauen hat sie sich ihrer Herkunft gestellt und der Alptraumidylle der österreichischen Provinz auf der Wetterseite einen frischen Anstrich verpasst.
Sie hat auf Biegen und Brechen alle Register gezogen, denn ihre Literatur war nicht nur ein sehr großer Spaß, sondern immer auch eine sehr ernste Angelegenheit. Das zeigt sich auch an den drei noch zu Lebzeiten abgeschlossenen Texten, die dieser Band versammelt. Sie wüten und sie poltern wie eine Liebeserklärung an das Leben, die das letzte Wort behalten will – und behält!
Von Peter Reutterer
Autor und Musiker, Henndorf
Danke
Der Jammer über das viel zu frühe Ableben der Autorin sitzt uns noch schmerzlich in den Knochen. Wir freuen uns umso mehr über das bei Jung und Jung posthum erschienene Buch „Miserere“, das auf knapp achtzig Seiten drei bemerkenswerte Prosatexte versammelt. Diese sind zwischen 2022 und 2023 entstanden.
Die beiden längeren Texte beeindrucken und faszinieren auf recht unterschiedliche Weise. „Ein guter Lapp in Unterjoch“ nimmt die sprachmächtige Abrechnung von „Die Infantin trägt den Scheitel links“ und „Fretten“ mit der verlogenen Alpenidylle eines Dorfes auf. Als innovative Provinzliteratur bejubelt, hatte es Helena Adler 2020 auf die Longlist des deutschen Buchpreises geschafft. Am schlimmsten sind die Frauen dran. „…eine Gemeinde, in der zehn kleine Jägermeister auf eine einzige Cousine kommen, weil es bloß einer von zehn Frauen gelingt zu türmen, während die restlichen acht Suizid begehen, bevor oder nachdem sie von ihren Brudercousins und Cousinsbrüdern gerudelt werden.“ (S.11) Wie man dem Zitat entnehmen kann, erblüht Adlers Sprachfuror aus Satire, Klangspiel und neuer Metapher auch in diesem Büchlein. Die Gewalt geht von den Männern aus, am ärgsten vom Bürgermeister Joch, dem „Gemeindepascha“ Unterjochs, der alles besitzt. Auch an der künftigen Schwiegertochter Maria hat er sich bereits vergriffen. Neben den unterjochten Frauen ist es der gutmütige Josef, der auf gemeinste Weise ausgebeutet wird. Als Maurer und ehrenamtlicher Hochzeitlader war er über lange Zeit allen dienstbar und gut, widersetzte sich nie. Erst als er bereits, nicht zuletzt aus Überanstrengung, an einem Gehirntumor erkrankt ist, rafft er sich zur befreienden Tat auf. Keineswegs will er Maria, die ihn um Hilfe bittet, den gierigen Machenschaften des Bürgermeisters und seiner Handlanger überlassen. Als Hochzeitlader entführt er zunächst die Braut von der Festtafel, dann betoniert er die verrottete Tischgesellschaft ein. Auf die im rasch eingeleiteten Blitzbeton Arretierten dringen zuletzt Gärgase aus einer von ihnen selbst illegal unter dem Wirtshaus angelegten Jauchengrube ein. „Ihre eigene Verpestung kriecht immer weiter durch das Loch am Boden,“ … (S.25) Über die literarische Qualität sprachlicher Details hinaus besticht „Ein guter Lapp aus Unterjoch“ durch eine schlichte wie klare Strukturierung. Im Finale ist man schön davon berührt, wie ein Licht der Hoffnung aufleuchtet. Endlich wurde eine Frau aus dem niederträchtigen patriarchalischen Sumpf Unterjochs gerettet, außerdem …“schrumpft das Gewächs in Josefs Gehirn, als er endlich Zeit hat innezuhalten.“ (S.25)
Der andere längere Text „Miserere Melancholia“ brilliert einerseits wiederum in dem für Helena Adler einzigartigen Sprachgemenge, das weder klanglich noch metaphorisch ein Halten oder Tabu kennt. („du Arschwarze des Teufels (S.46)). Zudem wagt sich „Miserere“ in seiner radikalen Gestaltung über gängige Grenzen hinaus. Auf der emotionalen Seite lässt uns der nicht leicht entschlüsselbare Text andererseits in den Ausruf Klaus Kastbergers „Oh, Gott“ (ORF, 3.7.24) einstimmen. Beklemmender als hier kann der Kampf mit einem Dämonen nicht formuliert werden. Man wünscht sich Gnade und Erbarmen, was dem aus der kirchlichen Liturgie entnommenen Wort „Miserere“ entspricht. Das schreckliche Ungetüm variiert sein Gesicht, tritt als Gnom, Golem, Zwerg, Mistkerl, Bastard, Pest, Ekel usw. auf. Trotz heftigen Widerstands ist diesem Dämonen nicht zu beizukommen, das unabwendbare tödliche Unheil zeigt sich bereits am Anfang des Textes: „Die Lärchen überfiel eine Gänsehaut, sie stachelten sich goldgelb auf wie pelzige Raupen, streckten ihre Fingerwurzeln durch alle noch so schmalen Gesteinsspalten, um sich irgendwo festzuhalten und sich selbst in den Griff zu bekommen. Für das, was kommen sollte, waren sie weder gewappnet noch geerdet.“ Die Umklammerung durch das bösartige Gegenüber mündet in einen quälenden Dialog, der die Beklemmung bis zum Äußersten steigert. Welt wird literarisch einzigartig hergestellt. Der alles bestimmenden Melancholie vermögen sich weder Erzählerin noch Leser zu entziehen. „Ihre Literatur geht zu Herzen“, möchte ich mit Klaus Kastberger sagen. (Die Presse, 29.7.24). Nicht zu vergessen ist, in diesem Horror blinkt zwischendurch ganz explizit die Liebe zum Leben auf. „….Ich liebe es (das Leben) und verneige mich davor…“ (S.64), heißt es da schon ganz am Ende.
Wie man unschwer bemerkt, möchte ich dieses posthum erschienene Meisterwerk von Helena Adler allen Literaturinteressierten nachdrücklich ans Herz legen. Meine Besprechung schließe ich mit zwei Hinweisen: Erstens ist es vor allem Thomas Friedmann zu danken, dass es ab 2025 den „Helena Adler Preis für rebellische Literatur“ geben wird. Ein wichtiger Beitrag, um das schmale, aber herausragende Lebenswerk der Autorin fortan im Gedächtnis zu bewahren. Zweitens möchte ich an das selten genannte Erstlingswerk „Hertz 52“von Helena Adler erinnern, es wurde 2024 bei arovell neu aufgelegt. So sehr uns das neue Buch „Miserere“ Freude schenkt, so traurig bleibt der viel zu frühe Tod dieser wunderbaren Schriftstellerin.
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