Der Besuch der alten Dame
In den Kammerspielen inszeniert Josua Rösing Friedrich Dürrenmatts tragische Komödie mit einer reduzierten Dorfgemeinschaft. Auch die schwerreiche Heimkehrerin Claire Zachanassian, geborene Wäscher, muss mit nur einem Butler auskommen.
Es gibt natürlich auch kein Empfangskomitee mit Blasmusik und Kinderchor wie auf der Seebühne in Seeham 2017. Das 1956 im Schauspielhaus Zürich uraufgeführte Werk begründete den internationalen Erfolg des Autors. Das Interesse scheint nach wie vor groß zu sein, die Aufführungen sind restlos ausverkauft, bleibt nur die Hoffnung auf Restkarten oder zusätzliche Vorstellungen. Große Begeisterung bei der Premiere am 21. November 2024.
Bürgermeister (Lisa Fertner), Pfarrer (Tina Eberhardt) und Lehrer (Axel Meinhardt) erwarten Claire Zachanassian, eine spendable Wohltäterin, die für ihre Großzügigkeit bekannt ist. Sie ist ein Kind aus Güllen, musste das in letzter Zeit sehr heruntergekommene Örtchen aber mit 17 Jahren verlassen. Nun ruhen alle Hoffnungen auf ihrem ehemaligen Liebhaber, dem Krämer Alfred Ill (Christoph Wieschke). Vielleicht kann er sie ja dazu bewegen, Geld lockerzumachen.
Die feine Dame kommt mit eigenwilligem Personal. Zwei Kaugummi kauende Gangster tragen ihre Sänfte. Aber was hat es eigentlich mit den zwei blinden Eunuchen auf sich? Neben einem schwarzen Panther führt sie noch einen edlen Sarg mit sich, den sie täglich mit frischen Blumen und Kränzen schmücken lässt.
Bald stellt sich heraus, dass Claire nachtragend ist. Sie hat nicht vergessen, wie schmählich Alfred sie einst verlassen hat, als sie ein Kind von ihm erwartete. Ihr Angebot ist äußerst großzügig: eine Milliarde, 500.000 für die Stadt und 500.000 verteilt an alle Bewohner von Güllen. Dafür verlangt sie aber Alfreds Leiche, der Sarg steht schon bereit, ebenso ein Mausoleum in ihrer Residenz auf Capri. Erst ist die Entrüstung groß, doch die Gier ist größer.
Das unmoralische Angebot ist aber auch wirklich zu verlockend. Alfred merkt bald, dass es mit der Solidarität nicht weit her ist. Nicht nur die neuen Kirchenglocken geben ihm zu denken, auch die modernen gelben Schuhe, die plötzlich überall auftauchen, verheißen nichts Gutes. Eine Gemeindeversammlung wird über Alfreds Schicksal entscheiden. Vielleicht sollte Alfred ja wirklich besser auswandern. Ob die Dorfgemeinschaft damit einverstanden sein wird?
Britta Bayer legt als elegante Claire mit überdimensionalem Hut einen wahrlich großen Auftritt hin. Ihren ehemaligen Liebhaber begrüßt sie mit den Worten „Du bist grau geworden, fett und versoffen.“ Das lässt nichts Gutes ahnen. Die windige Dorfprominenz aber ist begeistert, für sie ist Claire der Goldesel, der Güllen bessere Zeiten verspricht. Claire beobachtet von einem per Video eingeblendeten Balkon aus das makabre dörfliche Treiben. Ihr Butler (Matthias Hermann), ebenso eiskalt wir seine Chefin, stellt uns auch Toby & Roby und Koby & Loby vor. Deren Vorgeschichten sind skurril und erklären so einiges.
Josua Rösing lässt Dürrenmatts Regieanweisungen mitsprechen. So kommt trotz aller Brutalität der verspielte Komödienton bestens zur Geltung. Die Frage nach Moral und Gerechtigkeit wird viel diskutiert und bringt sicherlich auch das Publikum zum Nachdenken. Zu welcher Schandtat wäre man wohl für so viel Geld bereit? Ein grandioser Theaterabend über einen sinistren Deal, der unter die Haut geht.
„Der Besuch der alten Dame“ – Eine tragische Komödie von Friedrich Dürrenmatt. Inszenierung: Josua Rösing. Ausstattung: Vanessa Habib. Bühnenmusik: David Riaño Molina. Mit: Britta Bayer, Matthias Hermann, Christoph Wieschke, Lisa Fertner, Tina Eberhardt, Axel Meinhardt. Fotos: © SLT / Christian Krautzberger
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