Der italienische Dramatiker Stefano Massini hat drei Jahre über die aus Bayern in die USA emigrierten Lehmann-Brüder recherchiert und einen Text verfasst, der 2013 in Frankreich uraufgeführt, mehrfach prämiert und in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde. Claus Tröger inszeniert das Werk mit nur drei Schauspieler*innen in über 120 Rollen. Ein intensiver dreistündiger Theaterabend in den Kammerspielen des Salzburger Landestheaters.
Als Heyum Lehmann am 11. September 1844 Amerika, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, betritt, wird aus ihm schnell Henry Lehman. Er eröffnet ein kleines Geschäft in Montgomery, Alabama und schaut voll stolz auf sein neues Schild: „H. Lehman, Tuchwaren und Kleidung“. Bald folgen ihm seine Brüder: der unternehmungslustige, etwa aufbrausende Mendel, aus dem bald ein Emanuel wird, und Mayer, der Jüngste. Dieser soll nun als „geruchlose Kartoffel“ zwischen Kopf (Henry) und Arm (Emanuel) vermitteln. Das Türschild wird ausgetauscht, denn nun residieren hier die „Lehman Brothers“.
Das Geschäft blüht und gedeiht, es geht rasant aufwärts. Bald handeln sie in großem Stil mit Rohbaumwolle. Als ein Feuer viele Plantagen vernichtet, gelingt ihnen der Umstieg auf Kaffee, später kommen Tabak und Erdöl dazu. Selbst die beiden Weltkriege sind für sie gewinnbringend. Emanuels Sohn Philip und Mayers Sohn Herbert führen die Geschäfte äußert erfolgreich weiter. Sie sind beteiligt am Bau der Eisenbahn zwischen der Ost- und Westküste und später am Bau des Panamakanals.
Selbst die Krise von 1929, die viele Börsianer in den Selbstmord treibt, überstehen sie dank Philips Sohn Bobby, der immer in die Zukunft investiert, ob nun in Flugzeuge für den Krieg oder in Filme für die Unterhaltung. Mit ihm stirbt 1969 der Letzte der Lehmans. Ihre Bank wird mehrfach verkauft, ändert immer wieder den Namen, doch am Montag, dem 15. September 2008 ist endgültig Schluss und die Insolvenz der US-Investmentbank der Lehman Brothers ist nicht mehr aufzuhalten. Zu diesem Zeitpunkt war allerdings kein Lehman mehr in die Bankgeschäfte involviert.
Britta Bayer, Axel Meinhardt und Matthias Hermann gelingt es scheinbar mühelos, die vielen Charaktere der Familiengeschichte oft nur durch kleine Gesten lebendig zu machen. Der ständige Wechsel zwischen Erzähl- und Dialogpassagen erfordert ein exaktes Timing, und das beherrscht das Trio perfekt, keine Kleinigkeit bei den gewaltigen Textmengen. Ihre Kleidung wird nach jeder Pause gewechselt und der jeweiligen Situation angepasst. So werden aus einfachen Einwanderern ehrenwerte Bürger mit Zylinder und schließlich erschreckend aalglatte Makler an der Börse (Kostüme: Stephanie Bäuerle).
Äußerst humorvoll sind die sehr persönlichen Passagen, wenn etwa die Herren auf Brautschau gehen. Britta Bayer darf dann in die Rollen der unterschiedlichsten, oft sehr schrägen Damen, die zur Auswahl stehen, schlüpfen. Entzückend Axel Meinhardt als kleiner Philip, der von seinem Vater Emanuel gerne als Wunderkind präsentiert wird.
Claus Tröger inszeniert den geschickt gekürzten Text temporeich und serviert dem Publikum die Familiengeschichte der Lehmans, die viele Tiefschläge und etliche Kriege überstehen, bis ihre Bank von den sinkenden Börsen-Zahlen erschlagen wird. Der dreistündige Abend ist dank zweier Pausen leicht zu verkraften. Schauspiel-Theater vom Feinsten!
„Lehman Brothers“ von Stefano Massini. Deutsch von Gerda Poschmann-Reichenau. Inszenierung: Claus Tröger. Bühne: Erich Uiberlacker. Kostüme: Stephanie Bäuerle. Musik: Julius von Maldeghem. Mit: Britta Bayer, Axel Meinhardt, Matthias Hermann. Fotos: © SLT / Tobias Witzgall. Videotrailer: SLT
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