Marlen Schachinger-Pusiol: Landschaften in Schalen

Marlen Schachinger-Pusiol

Marlen Schachinger-Pusiol | Foto: Edition Arthof

Marlen Schachinger-Pusiol: Landschaften in Schalen

Autorin: Marlen Schachinger-Pusiol
Titel: Landschaften in Schalen
Kategorie: Roman
ISBN: 978-3-9505256-5-6
Verlag: Edition Arthof

Klappentext:

Demokratie, so fehleranfällig dieses System per se sein mag, ist dennoch die denkbar fairste und fähigste  Herrschaftsform, wenigstens in der Theorie. Wie rasch aber persönliches Machtstreben umfassende Korruption mit sich bringt und wohin diese führen kann, wackelt die 4. Säule im Staat, davon handelt dieser Roman

Wolfgang Kauer

Buchrezension von Wolfgang Kauer

Ein herausragender Roman, in dem man eine Menge über aktuelle Vorgänge in Konferenzzimmern, bei Verlagen und in Redaktionen erfährt, durch den man aber auch mit den Bedeutungsvarianten des kubanischen Spanisch vertraut gemacht wird. Die lebendige, authentische Erzählweise der Autorin, einer in Braunau geborenen promovierten Literaturwissenschafterin, die im Buchhandel arbeitete und nun selbst einen Verlag leitet, reißt Lesende mit, verlangt aber permanente Aufmerksamkeit, wegen zahlreicher Perspektivenwechsel. Beim Lesen dieses Buches fühlt man sich wie in einem emotionalen Tanz, der einen bei nachlassender Konzentration aus den Armen des Tanzpartners schleudert!

Viktor, Ich-Erzähler aus Wien-Währing, von Beruf Journalist bei einer Wiener Tageszeitung, reist im Jahr 2009 nach Kuba, wo er einen Untergrund-Autor interviewen möchte. Doch sein Unterfangen gestaltet sich als überaus schwierig, herrschen doch auf der Insel nach wie vor restriktive politische Verhältnisse, die bei einem Fehlverhalten, wie politischer Kritik, nicht nur einem Ausländer Schwierigkeiten bereiten können, sondern viel mehr noch seinen kubanischen Helfern. Trotz Mangelwirtschaft, die zur Verelendung des Einzelnen führt, lässt sich der Alltag auf Kuba durch Solidarität gut organisieren, sodass auch der linkische Viktor problemlos sämtliche Hindernisse meistert.

Um an den gesuchten Untergrund-Autor heranzukommen, muss er sich von Touristen deutlich abgrenzen und untertauchen. Er lässt sich folglich auf das Übernachtungsangebot von Benita ein, einer Universitätsprofessorin für Spanisch und Literatur, und schläft fortan dauerhaft bei ihr, was für sie beide per Haftstrafe verboten ist. Genauso ergeht es jeder innovativen Idee im Volk, die der Militärdiktatur zwar offiziell willkommen ist, gemäß der Parole „Ideen sind die Waffen von heute für eine Welt von morgen“ (vgl. S. 216), die ihr aber gleichzeitig zuwiderläuft, weil sie womöglich bestehende Verhältnisse verändern könnte. Die Romanautorin vergleicht die geistigen Pflänzchen der kubanischen Intellektuellen wiederholt mit den täglich gestutzten Pflanzen einer japanischen Bonsai-Schale.

Viktor muss über Wochen hinweg unerkannt bleiben, muss sich stumm stellen, sowohl bei Polizeikontrollen wie gegenüber möglichen Denunzianten, was der Romanhandlung einen gewissen komödiantischen Charme verleiht, der aber wegen zwischengeschalteter sozialutopischer Parteiparolen stets am harten politischen Alltag scheitert. Durch gemeinsam bestandene Abenteuer im Täuschungswirrwarr entwickeln Viktor und Benita eine zunehmend festere Paarbeziehung. Sie sind allerdings ein sehr ungleiches Paar und bleiben es auch, nachdem sich Viktor von dem gesuchten Untergrund-Autor durch die bewohnte Trümmerlandschaft Alt-Havannas führen hat lassen.

Während sich Benita sehr impulsiv in Szene setzt, von der Autorin angelegt als eine den Lesenden selten sympathische und mitreißende Figur, erweist sich Viktor als devoter zaudernder Feigling, der es am Ende sogar verabsäumt, den Verlobungsring aus der Tasche zu ziehen, bevor er das Land verlassen muss.

Dieser großartige Roman schildert in selten authentischer Weise ein ganz anderes Kuba, als es Touristen zu kennen glauben. Die Autorin erweist sich nicht nur als Meisterin im Erzählen lokaler Details und im Zeichnen authentischer Charaktere, sondern sie lässt Lesende überdies Dialoge in Originalsprache miterleben, was von ihrer profunden Land-und-Leute-Kenntnis und ihren sprachlichen Erfahrungen als Übersetzerin ins Spanische zeugt. Notwendige Erläuterungen flicht sie dabei so geschickt in die Syntax ein, dass sie weder den lateinamerikanisch anmutenden Wahrnehmungsfluss noch den für Lateinamerikas Spanisch so typisch vorwärtsdrängenden Sprechrhythmus stören. Über den gesamten Kuba-Block hinweg klingt ihre für das Lese-Verständnis notwendige Zweisprachigkeit nicht weniger cool als die Satzmelodie des originalen kubanischen Spanisch. Dessen nuancierte Bedeutungen erfahren die Lesenden und sie erlernen ganz nebenbei die einer unterdrückten Gesellschaft notwendige Geheimsprache aus Periphrasen, wie beispielsweise „die Schuhe anziehen“ als Metapher für „ausreisen“.

Nur mit Tricks können sich Intellektuelle gegenüber den Denunzianten behaupten, sich an ihnen vorbei unterhalten, verabreden, aber auch das Überleben sichern, denn die Mangelwirtschaft erfordert Tauschgeschäfte auf dem Schwarzmarkt, wofür langjährige Haftstrafen drohen, mitunter verbunden mit Folter und Vergewaltigung oder dem endgültigen Verschwindenlassen einer unerwünschten Person, wie etwa Benitas Mutter.      

Die auktoriale Erzählerin belässt es jedoch nicht bei der trotz ihrer gesellschaftlichen Tragik sehr unterhaltsamen kubanischen Romanhandlung, sondern wechselt zur personalen Erzählperspektive und stellt ein weiteres Bonsai-Biotop vor. Die Mehrzahl an Bonsai-Schalen hat bereits der Romantitel verheißen, genauso wie der vergessene Verlobungsring erfahrungsgemäß kein Happy End ankündigt.

Ein ganzes Jahrzehnt nach seiner Kuba-Liaison hat Viktor nur noch zwei Berufsjahre bis zum Ruhestand vor sich, muss jedoch an seinem Arbeitsplatz Mobbing, Ghosting, Kündigungsängste und andere Demütigungen aussitzen, wenn er bis zur Auszahlung der Pension in voller Höhe durchhalten möchte. Rücksichtslosigkeit und Denunziantentum und vor allem Bestechlichkeit haben inzwischen an seinem Wiener Arbeitsplatz Einzug gehalten. Außerdem wird der politische Druck von oben schier unerträglich. Der von Wirtschaft und Politik gedrängte Herausgeber und in der Folge dessen Chefredakteur eliminieren vor allen jene Untergebenen, die so verantwortungsbewusst sind, dass sie Objektivität in der Berichterstattung einfordern. Eigenes Denken wird also auch hier sanktioniert, genauso wie auf Kuba. Stattdessen übernehmen Parteigänger jeden Unwesens die Informationslandschaft, denn es zählt nur noch, die Auflagenzahl zu erhöhen. Auf der anderen Seite müssten sich Konsumenten eines Medienprodukts eigentlich manipuliert statt informiert vorkommen. Dabei könne die Wahrheit gar nicht Schmerz zufügen, sage Meister Shi, wenn sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort in der richtigen Art und Weise ausgesprochen werde. (vgl. S. 123)

Viktor ist längst in die unbedeutende Feuilleton-Abteilung versetzt worden, wo der Abgeschobene eine „ruhige Kugel schiebt“, sich zurückzieht, abschaltet, alles an sich abperlen lässt. Er, der früher einen Politiker „angepinkelt“ hat, widerspricht nun nicht mehr, egal, was auf ihn zukommt. Bloß nirgends anecken. Als Sonderling verschrien glaubt er an sein berufliches Überleben.

Eigentlich wollte er einmal seine Kuba-Erlebnisse in Buchform niederschreiben, doch erledigt das längst die Erzählerin für ihn, ohne sein Wissen. Sie ist es aber auch, die sich wiederholt als ein zweites Ich zwischen spannende Abschnitte des Romans hineindrängt und dann in hölzernem Stil die Umstände ihrer Medienarbeit beklagt, die aber eben dann auch über ihn, Viktor, schreibt und urteilt. So stiehlt sie dem Mann kurzerhand sein Erzähler-Ich. Aus dem Viktor-Ich wird dann ein Viktor-Er gemacht und dieser Er verkommt zu einer stummen Figur, die sich die Ich-Erzählerin jederzeit im Geist abrufen kann, wie sie es beispielsweise bei einer Wanderung bei Mariazell tut, indem sie ihn in kubanischer Tracht am Wegrand warten lässt.

Der Tagesablauf der aufdringlichen Ich-Erzählerin entpuppt sich allmählich als Recherche-Alltag der Romanautorin selbst. Mehr noch als über Viktors Untätigkeit klagt diese über österreichische Bonsaischalen, in denen Medienarbeiter*innen vegetieren müssen. Ihr geistiges Beschnitten-Werden unterscheidet sich nur wenig vom Rundum-Schnitt bei kubanischen Geistespflanzen. „Landschaften in Schalen“ beiderseits des Atlantiks also. Mit den Worten „Ich übergebe dir eine Bonsai-Pflanze zur Pflege“, umschreibe übrigens ein japanischer Arbeitgeber die Kündigung eines Arbeitnehmers. (vgl. S. 116)

Am Arbeitsplatz hat nur das Fauchen der Espressomaschine bzw. der Espressokanne Bestand, hier wie dort. Viktor wird von der Autorin ein zweites Mal in die Karibik geschickt, indem er stante pede die Urlaubstage einer Kollegin übernehmen soll. Natürlich denkt er an Urlaub in Kuba. Ein Jahrzehnt lang hat er nichts von den kubanischen Freunden gehört, hat sie vernachlässigt, hat sie abgeschrieben, selbst seine Geliebte Benita. Bei Nachforschungen erfährt er nun, dass alle die Insel verlassen haben und in der freien Welt verstreut leben, mit Ausnahme von Benita, die nun keiner mehr vor Nachstellungen des Regimes schützen kann. Da fühlt Viktor, der Bequeme, der ewig Zaudernde, dass für ihn die Stunde des Handelns gekommen sein könnte. Bloß, wo steckt jetzt wieder der Verlobungsring?


Dorfgockel

Sie schätzen die Buchkritiken in der Dorfzeitung?
Freunde helfen der Dorfzeitung durch ein Abo (=Mitgliedschaft)! Wir sind sehr stolz auf die Community, die uns unterstützt! Auf diese Weise ist es möglich, unabhängig zu bleiben.

Es gibt zwei einfache Wege, zum Freund der Dorfzeitung zu werden.

  1. Überweisung der Abogebühr (ohne Kreditkartenabo)
    Sie werden für ein Jahr ein außerordentliches Vereinsmitglied (ohne Rechte und Pflichten) des Herausgebervereins (Kulturverein Dorfzeitung KULTUR online) zum Jahrespreis von 54 €. Es ist dazu ihre Post- und E-Mailadresse notwendig, damit wir die Rechnung für den Mitgliedsbeitrag schicken können. Nach Eingang der Zahlung bekommen Sie einen Steady-Gastzugang für 1 Jahr. Verlängerungen sind möglich. Kontaktformular >
  2. Direktabo mit Kreditkartenzahlung
    Ein weiterer Weg ist ein Direktabo via Steady, wie es im Folgenden beschrieben und angeboten wird.

INSERT_STEADY_CHECKOUT_HERE

Views: 38

Dorfladen

Kommentar hinterlassen zu "Marlen Schachinger-Pusiol: Landschaften in Schalen"

Hinterlasse einen Kommentar