
Autor: Peter Reutterer
Titel: Der Filmwandler
Genre: Belletristik/Erzählende Literatur, Roman
Verlag: Arovell Verlag
ISBN: 978-3-9505498-0-5
Erschienen: 2024
Klappentext:
„Der Filmwandler“ ist eine magische Kinogeschichte. Dem Protagonisten gelingt es, in Filme hineinzuschlüpfen und in manchen Szenen mitzuwirken. (Literaturhaus Salzburg)

Rezension von Heinz Kröpfl
Zwischen Weltflucht und Selbstfindung: Peter Reutterers Roman „Der Filmwandler“
Ein Roman wie ein Film. Mit schnellen Schnitten. Durchdrungen von musikalischer Untermalung. Und, vor allem: von Filmen. Die auftauchen. Sich ausbreiten in Szenen, in Episoden. Um abgelöst zu werden. Vom nächsten Film. Vor allem aber: von der Realität. Und diese ist, mit einem Wort, trist.
Denn der Alltag des Ich-Erzählers besteht in einer frustrierenden Rolle als Teilzeit-Nachhilfelehrer an einem Institut. Was einzig dem Broterwerb dient. Denn von seiner literarischen Tätigkeit allein kann er nicht leben.
Widerspruchslos mimt er den Duckmäuser. Vor dem diktatorischen Direktor der Anstalt. Doch er leidet darunter ebenso wie unter dem Desinteresse und der Bildungsferne seiner halbwüchsigen Schülerschaft.
Hinzu kommt ein Mangel an zwischenmenschlicher Nähe und ganzheitlicher Liebe. Die eine oder andere erotische Affäre kann ihn nicht über die innere Leere und Einsamkeit hinwegtrösten. Selbst seine große Vorliebe, diejenige für das Kino, für Filme, kann er mit niemandem teilen.
So träumt er sich mehr und mehr in Filme hinein. Zunächst wird er noch gänzlich unvermittelt in Szenen katapultiert. Doch er lernt schnell, aus eigener Kraft in eine Sequenz hineinzuschlüpfen. Mehr noch: darin sogar mitzuwirken.
Vorzugsweise nimmt er dabei die Rolle eines Helden ein: indem er entweder eine Figur durch sich selbst ersetzt – oder sich gar eine eigene, zusätzliche Rolle auf den Leib schreibt. Was, wie im realen Leben, mit der einen oder anderen Unvorhersehbarkeit behaftet ist, auch wenn er sich davor scheut, entscheidenden Einfluss auf die Handlung und vor allem den Ausgang zu nehmen: „Der Regisseur Abdellatif Kechiche hat mich aus ‚Blue ist the warmest color‘ eiskalt hinausgeworfen […].“ (S. 135).
Angetrieben wird er dabei von zwei sehr starken Motiven: Zum einem ist es der Drang nach tiefer, erotischer und umfassender Liebe und Schönheit. Zum anderen ist er beseelt von dem Wunsch, Vergeltung zu üben, das Böse, die Verursacher des Schlechten auf der Welt, auszulöschen: „Ich bin stolz, den Tod Winnetous vorerst vereitelt zu haben.“ (S. 14).
Als Ursache dafür kommt nach und nach ein Trauma an den Tag: der frühe, mit Fragen behaftete Verlust der geliebten Mutter, die harte, abweisende Figur des noch lebenden Vaters.
Das Angebot zu einer Neuausgabe seiner „Kinogedichte“ ist schließlich Auslöser dafür, den verhassten Brotberuf an den Nagel zu hängen und sich ganz dem Schreiben zu widmen.
Die Schwierigkeiten dieses Unterfangens, der Existenzdruck, die Unwägbarkeiten und Abhängigkeiten im Literaturbetrieb, aber auch die Unzulänglichkeit realer menschlicher Begegnungen bringen ihn allerdings noch mehr dazu, sich in Filme davonzustehlen: „Den Filmwelten kann ich nicht entsagen. Sie sind mir verlässlicher Halt.“ (S. 106).
Auch die Angst vor dem Unvermeidlichen spielt hinein: „Filmbilder wären vor diesem unausweichlichen Verfall doch um einiges besser geschützt.“ (S. 116).
Als er unvermutet von der Existenz seiner Halbschwester Miriam erfährt, der ähnlich feinfühligen Tochter des gemeinsamen, hartherzigen Vaters, scheinen die Begegnungen mit ihr endlich Erfüllung und Halt in sein Leben zu bringen. Nicht nur die erträumte Harmonie, sondern auch gegenseitiges Verständnis bestimmt ihre Beziehung – als Filmvorführerin in einem Kino weiß sie seine große Leidenschaft zudem entsprechend zu teilen.
Doch die Veränderungen erzeugen innere und äußere Spannungen. Nicht nur in der Realität. Sondern auch im Film: Tauchen die beiden Verliebten doch nun manchmal sogar gemeinsam in Filme ein und füllen Szenen mit sich selbst aus. Was sehr schnell zu fatalen Missverständnissen führt. Wie sie auch im tagtäglichen Zusammenleben rasch auftreten.
Der Protagonist ergreift die Flucht. Nimmt sich eine Auszeit, indem er das Land seiner Kindheit, seiner Herkunft aufsucht. Wo er sich in das Schreiben vertiefen will – an einem Drehbuch, für einen Rachewestern, der ebendort angesiedelt ist.
In der dunklen Geborgenheit der Wälder gelingt ihm unverhofft Versöhnung. Freisprechung von der Vergangenheit.
Doch was bleibt, sind Zweifel. An der Zukunft. Die sich verstärken. Filmwelten werden nun noch wichtiger: „Obwohl ich Miriam nicht wenig liebte, unternahm ich einen weiteren Versuch, in einem Filmszenario eine neue Heimat zu finden.“ (S. 132).
Seine letzte Film-Absence gerät außer Kontrolle, hält ihn drei Tage gefangen, die wie im Flug vergehen, sich dabei als zeitlos erweisen: „Filmfiguren tragen Ewigkeiten in sich […], können nicht über ihre Filmwelt hinaus altern. (S. 131).
Das längst gefährlich gewordene Spiel wird zu lebensgefährlichem Ernst – bis er von seiner Halbschwester aufgefunden und gerettet wird. Wie die biblische Schwester von Mose und Aaron erweist Miriam sich als Prophetin, wie die biblische Miriam stellt sie sich gegen ihn, indem sie ihm die Augen öffnet: „Ich muss dir nun noch etwas ganz Böses beibringen, erklärte sie. Dir fehlt der angebrachte Respekt vor den filmischen Meisterwerken und ihren Schöpfern.“ (S. 135).
Auf die Einsicht folgt die Erkenntnis. Es ist Zeit geworden, seinen eigenen Lebens- und Liebesfilm mit der Geliebten zu beginnen. „Realszenen, wunderbar vielsinnig, Szenen, die mich und sie beglücken würden.“ (S. 136).
Durchzogen von cineastischem Bilderreichtum und in sprachlich hoher Musikalität, ist der „Filmwandler“ weitaus mehr als eine bloße Hommage an die Magie von Filmen. Er ist eine temporeiche Erzählung über Lust und Sucht, Frust und Flucht, Sehnsucht und Suche, Findung und Selbstfindung. Und damit ein psychologisch vielschichtiger Entwicklungsroman, der unaufdringlich existenziellen Fragestellungen nachgeht, um zuletzt einen ebenso filmreifen wie realitätsnahen Ausklang zu finden. Ein schmaler Band – doch ein großer Roman.
Siehe auch:
Peter Reutterer in der Dorfzeitung >

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