Das Théâtre d’Un Jour aus Belgien führt das Publikum in seinem kleinen Compagniezelt in eine geheimnisvolle Traumwelt, denn Patrick Masset hat uralte Rituale Zentralasiens neu interpretiert. Das Stück wurde 2023 mit dem Maeterlick-Kritikerpreis ausgezeichnet und erlebte am 28. November 2024 seine Österreich-Premiere beim Winterfest. Das Publikum sollte keine Berührungsängste haben, denn wo man auch Platz nimmt, den Artisten entkommt man nicht. Ein wahrlich aufregender, intensiver Abend, der mit Standing Ovations endete.
Die erste Reihe ist nur einen halben Meter von einem Boxring entfernt, in dessen Mitte ein Hackstock steht. Wenn die Absperrung entfernt wird, wirkt das bereits äußerst bedrohlich. Auch der Artist, der neben mir sitzt und in aller Ruhe seine Socken auszieht, verheißt nichts Gutes.
Eine junge Frau kommt mit einer Puppe auf die Bühne, legt diesem Kleinkind eine Augenbinde um und hüllt es in ein Lammfell. Dann beginnt ein lautstarker, wilder ritueller Tanz, bei dem vier Männer gemeinsam mit der jungen Frau die Bühne umkreisen. Wenn sie sich Masken wilder Tiere aufsetzen, wird aus ihnen eine wütende, aggressive Horde von Bestien. Eine Sängerin versucht zwar, sie mit sanfter Stimme zu beruhigen, und verteilt Feuerschalen. Doch das aufgebrachte Rudel gibt nicht so schnell auf. Nun haben sie es auf die Schuhe der Besucher abgesehen. Bei meinen Stiefeln haben sie allerdings Pech. Alleine der Versuch ist aber schon beängstigend.
Es ist faszinierend, dass sich in dem kleinen Rund scheinbar mühelos Hand-auf-Hand-Akrobatik ausgeht. Auch die zwei Cellistinnen werden nicht verschont. Selbst auf der Spitze eines Turms wird weiter gefiedelt. Die Sopranistin versucht, mit beruhigenden Liedern und Arien Ruhe in die aufgebrachte Meute zu bringen. Das gelingt ihr aber nicht immer, denn auch sie wird zum Opfer und steht plötzlich auf den Knien eines Besuchers. Oder war es doch ein Artist?
Die Kinderpuppe hat das höllische Ritual bisher unverletzt überlebt und blickt erstaunt ins Publikum. Doch ob sie auch das Finale überstehen wird, ist fraglich. Denn nun wird die weiße Matte, die auf der Bühne liegt, ordentlich gerüttelt und geschüttelt. Da ist wieder Teamarbeit gefragt. Jet…
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